Du weisst, wir bleiben einsam: du und ich, Wie Stämme, tief in Gold und Blau getaucht, Mit freien Kronen, die der Seewind streift; So nah, doch ganz gesondert, ewig zwei. Und zwischen beiden webt ein feines Licht Und Silberduft, der in den Zweigen spielt, Und dunkel rauscht die Sehnsucht her und hin.
(Paul Wertheimer, Seelen, aus: Neue Gedichte, 1904, Online-Quelle)
Melancholie
Von weit her Hundebellen Klingt durch die nächtliche Ruh. Es spülen die schwarzen Wellen Mein Boot dem Ufer zu.
Die blauen Berge der Ferne Winken am Himmelssaum. Auf in den Lichtbann der Sterne Trägt mich ein Traum.
Stumm ziehen wilde Schwäne Über das Wasser hin. Mir kommt eine müde Träne. Ich weiß nicht, warum ich so bin.
»Warum sollen denn nun diese Arbeiten, wenn sie nicht vortrefflich sind, gar vernichtet werden?« »Weil ein Gedicht entweder vortrefflich sein oder gar nicht existieren soll; weil jeder, der keine Anlage hat, das Beste zu leisten, sich der Kunst enthalten und sich vor jeder Verführung dazu ernstlich in acht nehmen sollte.«
(Johann Wolfgang von Goethe, aus: Wilhelm Meisters Lehrjahre, 2. Buch, 2. Kap., Online-Quelle)
Ein Gedicht, dessen Lektüre nicht mit einem stillen, tiefen Einatmen endet, ist kein solches ersten Ranges.
(Carl Ludwig Schleich, aus: Erlebtes Erdachtes Erstrebtes, 1928, Online-Beleg)
Die Leute die den Reim für das Wichtigste in der Poesie halten, betrachten die Verse wie Ochsen-Käufer von hinten.
(Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799), aus: Sudelbücher KS, KA141, Online-Quelle)
Man gibt über lyrischen Gedichten oft die Versart an |— ◡◡ | — — — — | — ◡◡◡ | pp. Wenn man die Gedanken darin mit Eins und den Nonsense mit Null anzeigte, so würde es zuweilen so aussehn: 000 | 000 | 000 oder so.
(Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799), aus: Sudelbücher J, J294, Online-Quelle)
* * *
Avant-propos
Ich kann mein Buch doch nennen, wie ich will Und orthographisch nach Belieben schreiben! Wer mich nicht lesen mag, der laß es bleiben. Ich darf den Sau, das Klops, das Krokodil Und jeden andern Gegenstand bedichten,
Darf ich doch ungestört daheim Auch mein Bedürfnis, wie mir’s paßt, verrichten. Was könnte mich zu Geist und reinem Reim, Was zu Geschmack und zu Humor verpflichten? – Bescheidenheit? – captatio – oho!
Und wer mich haßt, – – sie mögen mich nur hassen! Ich darf mich gründlich an den Hintern fassen Sowie an den avant-propos.
Ich selbst schreibe keine Gedichte, und ich mag Reimereien selten. Aber ich habe großen Respekt vor allen, die sich daran versuchen und ihr ganzes Herz darein legen, dass es „gut“ wird, was auch immer sie unter „gut“ verstehen.
Der Abend spricht mit lindem Schmeichelwort die Gassen In Schlummer und der Süße alter Wiegenlieder, Die Dämmerung hat breit mit hüllendem Gefieder Ein Riesenvogel sich auf blaue Firste hingelassen.
Nun hat das Dunkel von den Fenstern allen Glanz gerissen, Die eben noch beströmt wie veilchenfarbne Spiegel standen, Die Häuser sind im Grau, durch das die ersten Lichter branden Wie Rümpfe großer Schiffe, die im Meer die Nachtsignale hissen.
In späten Himmel tauchen Türme zart und ohne Schwere, Die Ufer hütend, die im Schoß der kühlen Schatten schlafen, Nun schwimmt die Nacht auf dunkel starrender Galeere Mit schwarzem Segel lautlos in den lichtgepflügten Hafen.
(Ernst Stadler, Dämmerung in der Stadt, 1911, Erstdruck in: Das neue Elsaß. Jg. 1, Nr. 4, 20. Januar 1911, Online-Quelle)
ERLEBNIS
Mit silbergrauem Dufte war das Tal Der Dämmerung erfüllt, wie wenn der Mond Durch Wolken sickert. Doch es war nicht Nacht. Mit silbergrauem Duft des dunklen Tales Verschwammen meine dämmernden Gedanken, Und still versank ich in dem webenden, Durchsichtgen Meere und verließ das Leben. Wie wunderbare Blumen waren da, Mit Kelchen dunkelglühend! Pflanzendickicht, Durch das ein gelbrot Licht wie von Topasen In warmen Strömen drang und glomm. Das Ganze War angefüllt mit einem tiefen Schwellen Schwermütiger Musik. Und dieses wußt ich, Obgleich ichs nicht begreife, doch ich wußt es: Das ist der Tod. Der ist Musik geworden, Gewaltig sehnend, süß und dunkelglühend, Verwandt der tiefsten Schwermut. Aber Seltsam! Ein namenloses Heimweh weinte lautlos In meiner Seele nach dem Leben, weinte, Wie einer weint, wenn er auf großem Seeschiff Mit gelben Riesensegeln gegen Abend Auf dunkelblauem Wasser an der Stadt, Der Vaterstadt, vorüberfährt. Da sieht er Die Gassen, hört die Brunnen rauschen, riecht Den Duft der Fliederbüsche, sieht sich selber, Ein Kind, am Ufer stehn, mit Kindesaugen, Die ängstlich sind und weinen wollen, sieht Durchs offne Fenster Licht in seinem Zimmer – Das große Seeschiff aber trägt ihn weiter, Auf dunkelblauem Wasser lautlos gleitend Mit gelben, fremdgeformten Riesensegeln.
(Hugo von Hofmannsthal, Erlebnis, aus: Gedichte, 1922, entstanden 1892, Online-Quelle)
Und abermals wirst du geboren werden
Und abermals wirst du geboren werden auf andern Sternen, deiner selbst nicht kundig, und wirst auf die Wege gehen allen Lebens, in Schmerzen bald und manches Mal in Lächeln, Doch steigt aus Dämmerungen einer Nacht gleichwie aus Schächten, die verschüttet sind, ein Bildnis auf, ein Schatten und ein Ruf, so wisse du: der Bruder ruft nach dir, der abermals dem Tode sich entrang gleich dir und abermals das Leben wandelt auf andern Sternen fern und trauervoll.
(Walter Calé, Und abermals wirst du geboren werden, aus: Nachgelassene Schriften, 1907, Online-Quelle 3. Auflage 1910)
Schläft ein Lied in allen Dingen, Die da träumen fort und fort, Und die Welt hebt an zu singen, Triffst du nur das Zauberwort.
(Joseph von Eichendorff, Wünschelrute, erschienen 1838 im Deutschen Musenalmanach, aus: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, Nachlese, Die Feier, 1962, Artikel Wikipedia, Online-Quelle)
Regen weit und breit
Da draußen regnet es weit und breit. Es regnet graugraue Verlassenheit. Es plaudern tausend flüsternde Zungen. Es regnet tausend Erinnerungen. Der Regen Geschichten ums Fenster rauscht. Die Seele gern dem Regen lauscht.
Der Regen hält dich im Haus gefangen. Die Seele ist hinter ihm hergegangen. Die Insichgekehrte ist still erwacht, Im Regen sie weiteste Wege macht. Du sitzt mit stummem Gesicht am Fenster, Empfängst den Besuch der Regengespenster.
(Max Dauthendey, Regen weit und breit, aus: Gesammelte Werke, Bd. 2 „Aus fernen Ländern“, S. 588/589, Albert Langen, München 1925)
Die Nicht-Gewesenen.
Über ein Glück, das du flüchtig besessen, Tröstet Erinnern, tröstet Vergessen, Tröstet die alles heilende Zeit. Aber die Träume, die nie errung’nen, Nie vergeß’nen und nie bezwung’nen, Nimmer verläßt dich ihr sehnendes Leid.
(Isolde Kurz, Die Nicht-Gewesenen., aus: Gedichte, 1888, Online-Quelle)
Aus tausend Quellen quillt die Nacht
Aus tausend Quellen quillt die Nacht Und übernimmt den Himmel unsrer Träume. Da ist ein Licht noch – dort noch Bäume, Dann nichts mehr. Sintflut. Nur noch Nacht.
Aus Ozeanen ohne Licht erheben sich Gedanken, Wie Meerestiere schwimmen unsre Träume Mit schweren Flossen durch die Finsternis der Räume Und kreisen um die Hoffnungsschiffe, die versanken.
(Guido Zernatto, Aus tausend Quellen quillt die Nacht, entstanden 1942 in New York, aus: Die Sonnenuhr, Gesamtausgabe 1961, Online-Quelle)
Hörst auch du die leisen Stimmen
aus den bunten Kerzlein dringen?
Die vergeßenen Gebete
aus den Tannenzweiglein singen?
Hörst auch du das schüchternfrohe,
helle Kinderlachen klingen?
Schaust auch du den stillen Engel
mit den reinen, weißen Schwingen? …
Schaust auch du dich selber wieder
fern und fremd nur wie im Traume?
Grüßt auch dich mit Märchenaugen
deine Kindheit aus dem Baume? …
Noch ist Herbst nicht ganz entflohn, Aber als Knecht Ruprecht schon Kommt der Winter hergeschritten, Und alsbald aus Schnee’es Mitten Klingt des Schlittenglöckleins Ton.
Und was jüngst noch, fern und nah, Bunt auf uns herniedersah, Weiß sind Türme, Dächer, Zweige, Und das Jahr geht auf die Neige, Und das schönste Fest ist da.
Tag du der Geburt des Herrn, Heute bist du uns noch fern, Aber Tannen, Engel, Fahnen Lassen uns den Tag schon ahnen, Und wir sehen schon den Stern.
Vom Himmel in die tiefsten Klüfte Ein milder Stern herniederlacht; Vom Tannenwalde steigen Düfte Und hauchen durch die Winterlüfte, Und kerzenhelle wird die Nacht.
Mir ist das Herz so froh erschrocken, Das ist die liebe Weihnachtszeit! Ich höre fernher Kirchenglocken Mich lieblich heimathlich verlocken In märchenstille Herrlichkeit.
Ein frommer Zauber hält mich wieder, Anbetend, staunend muß ich stehn; Es sinkt auf meine Augenlider Ein goldner Kindertraum hernieder, Ich fühl’s, ein Wunder ist geschehn.
Auch zu Adventüden-Zeiten gibt es die Montagsgedichte. Normalerweise ist ja bei der „lieben Weihnachtszeit“ mein Kitschlevel erreicht und ich bin raus, aber ich dachte, dass das Thema Erinnerungen thematisch zu der heutigen Adventüde ganz gut passt. Ich hoffe, ihr findet es gelungen …
Kommt gesund und heiter (na ja) in und durch die Woche!
Wenn jedes Menschen geheimes Weh Ihm an der Stirn geschrieben man säh‘, Wir wären oft zu Thränen bewegt Für den, der heute Neid erregt. Es finden so Viele, in deren Brust Das Herz voll Leid will weinen, All ihren Trost, all ihre Lust Darin – uns glücklich zu scheinen.
(Autor: Unbekannt, Falscher Schein, aus: Fliegende Blätter, Nr. 1835, in: Bd. LXXIII, Nr. 1823–1848, Online-Quelle)
Trost
Erlosch einer Hoffnung Schimmer, Laß nur der Zeit ihren Lauf; Begrabene Hoffnung steht immer, Als Weisheit wieder auf. Die führt dich auf schweren Wege treulich ein gutes Stück, Jenseits vom Trauerstege Wartet ein neues Glück.
Auch zu Adventüden-Zeiten gibt es die Montagsgedichte. Es mag eine etwas freie Interpretation sein, aber ich WOLLTE mich thematisch an die heutige Etüde annähern und hoffe, ihr findet es gelungen …
Stell auf den Tisch die duftenden Reseden,
Die letzten roten Astern trag herbei
Und lass uns wieder von der Liebe reden
Wie einst im Mai.
Gib mir die Hand, dass ich sie heimlich drücke,
Und wenn man’s sieht, mir ist es einerlei,
Gib mir nur einen deiner süßen Blicke
Wie einst im Mai.
Es blüht und funkelt heut auf jedem Grabe,
Ein Tag im Jahre ist den Toten frei;
Komm an mein Herz, dass ich dich wieder habe,
Wie einst im Mai.
(Hermann von Gilm zu Rosenegg, Allerseelen, aus: Sophien-Lieder, 1844, Online-Quelle)
Seelen
Du weisst, wir bleiben einsam: du und ich,
Wie Stämme, tief in Gold und Blau getaucht,
Mit freien Kronen, die der Seewind streift;
So nah, doch ganz gesondert, ewig zwei.
Und zwischen beiden webt ein feines Licht
Und Silberduft, der in den Zweigen spielt,
Und dunkel rauscht die Sehnsucht her und hin.
(Paul Wertheimer, Seelen, aus: Neue Gedichte, 1904, Online-Quelle)
Nennt ihr das Seele, was so zage zirpt
Nennt ihr das Seele, was so zage zirpt
In euch? Was, wie der Klang der Narrenschellen,
Um Beifall bettelt und um Würde wirbt
Und endlich arm ein armes Sterben stirbt
Im Weihrauchabend gotischer Kapellen, –
Nennt ihr das Seele?
Schau’ ich die blaue Nacht, vom Mai verschneit,
In der die Welten weite Wege reisen,
Mir ist: Ich trage ein Stück Ewigkeit
In meiner Brust. Das rüttelt und das schreit
Und will hinauf und will mit ihnen kreisen …
Und das ist Seele.
(Rainer Maria Rilke, Nennt ihr das Seele, was so zage zirpt, aus: Erste Gedichte/Gaben an verschiedene Freunde, Insel 1913, Online-Quelle)
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg Deinen Schatten auf die Sonnenuhren
und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern wenn die Blätter treiben.
(Rainer Maria Rilke, Herbsttag, aus: Das Buch der Bilder, 1. Buch Teil 2, S. 48, 1902 (Entstehungsdatum), Online-Quelle)
Wende
Heut liegt der Garten schon von gelben Blättern voll.
Da sinkt auf meinen Weg ein fast noch grünes nieder:
Das ist der Tod: ich seh ihn wieder
am Werk, das lautlos sich vollenden soll.
Die Berge hat der Nebel aus der Welt gebracht.
Noch gestern standen sie hoch vorm hellen
ganz blauen Himmel. Gold aus warmen Quellen
durchströmte sommerlich die Luft. Nun wird es Nacht.
Dorthin geh, wo die Andern nicht sind,
Weit hinaus in die freie Einsamkeit,
Wo dir Wolken, Berge, Bäume und Wind
Großes reden von Später und Ewigkeit.
Und dort schöpfe, fasse und füll dir die Brust,
Daß – kommt einst die Stille zu dir als Braut –
Daß du die Hand ihr gibst in tiefster Lust,
Weil du schon lange mit ihr vertraut.
(Joachim Ringelnatz, Dorthin geh, wo die Andern nicht sind, aus: Gedichte, 1910, Online-Quelle)
Könntet ihr vielleicht mal nachschauen, ob ihr das Gedicht von Schaukal in euren Gedichtbüchern findet? Ich habe mir für den eher dürftigen Quellennachweis echt die Finger wund gesucht (ihr wisst, ich möchte eine (digitalisierte) Originalquelle, nicht irgendeine Gedichteseite, zumindest bei Zitaten sind die Zuweisungen an die Verfasser oft mehr als zweifelhaft, da schreibt einer vom anderen (falsch) ab).
Kommt gut und gesund und heiter in und durch die neue Woche!
Wenn du zur Arbeit gehst
am frühen Morgen,
wenn du am Bahnhof stehst
Mit deinen Sorgen:
da zeigt die Stadt
dir asphaltglatt
im Menschentrichter
Millionen Gesichter:
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider –
Was war das? vielleicht dein Lebensglück …
vorbei, verweht, nie wieder.
Du gehst dein Leben lang
auf tausend Straßen;
du siehst auf deinem Gang,
die dich vergaßen.
Ein Auge winkt,
die Seele klingt;
du hasts gefunden,
nur für Sekunden …
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider;
Was war das? kein Mensch dreht die Zeit zurück …
vorbei, verweht, nie wieder.
Du mußt auf deinem Gang
durch Städte wandern;
siehst einen Pulsschlag lang
den fremden Andern.
Es kann ein Feind sein,
es kann ein Freund sein,
es kann im Kampfe dein
Genosse sein.
Es sieht hinüber
Und zieht vorüber …
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider.
Was war das?
Von der großen Menschheit ein Stück!
Vorbei, verweht, nie wieder.
(Kurt Tucholsky/Theobald Tiger, Augen in der Großstadt, aus: Arbeiter Illustrierte Zeitung, 1930, Online-Quelle)
Balkons in der Vorstadt
Stuben an Stuben, langhin aneinandergestaut,
Stockwerk auf Stockwerk getürmt, Wolken und Sterne verbaut.
Weithin Stein und Asphalt —
Wächst irgendwo Weizen und Wald?
Dunst, Rauch, Staub —
Rauscht irgendwo Welle und Laub?
Nie von starkem Leuchten besonnt.
Wie gemauerter Nebel starrt die unendliche Front.
Doch an jedem Haus, jedem Geschoss, immer zu zweit,
Balkone, schwebende Zimmer, hangen
In langen
Fluchten zur Rechten und Linken die Straße hinuntergereiht,
Aus Wein und aus Efeu geflochten Wände aus Grün,
Irdene Töpfe, drin rote Geranien und Fuchsien blühn,
Stücke Wiese und Wuchs, verwehte, verstreute, —
Land der landlosen Leute.
(Ernst Lissauer (Wikipedia), Balkons in der Vorstadt, aus: Der Strom, 1916, Online-Quelle)
Inmitten der großen Stadt
Sieh, nun ist Nacht!
Der Großstadt lautes Reich
durchwandert ungehört
der dunkle Fluß.
Sein stilles Antlitz
weiß um tausend Sterne.
Und deine Seele, Menschenkind?
Ward sie nicht Spiel und Spiegel
irrer Funken,
die gestern wurden,
morgen zu vergehn, –
verlorst
in deiner kleinen Lust und Pein
du nicht das Firmament,
darin du wohnst, –
hast du dich selber nicht
vergessen, Mensch,
und weiß dein Antlitz noch
um Ewigkeit?
(Christian Morgenstern, Inmitten der großen Stadt, aus: Ich und die Welt, 1898/1911, Online-Quelle)
Kennt irgendjemand von euch Ernst Lissauer? Mir passiert es zwar öfter, dass ich über Dichter stolpere, von denen ich vorher nie etwas gehört habe, aber dass das Internet so wenig zu ihnen hergibt, ist inzwischen eher selten …
Kommt gut in und durch die neue Woche und bleibt gesund und heiter! 😉
Es lacht in dem steigenden jahr dir
Der duft aus dem garten noch leis.
Flicht in dem flatternden haar dir
Eppich und ehrenpreis.
Die wehende saat ist wie gold noch,
Vielleicht nicht so hoch mehr und reich,
Rosen begrüssen dich hold noch,
Ward auch ihr glanz etwas bleich.
Verschweigen wir was uns verwehrt ist,
Geloben wir glücklich zu sein,
Wenn auch nicht mehr uns beschert ist
Als noch ein rundgang zu zwein.
(Stefan George, Es lacht in dem steigenden jahr dir, aus: Das Lied der Seele, 1897, Info (Wikipedia), Online-Quelle)
Septembermorgen.
Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.
(Eduard Mörike, Septembermorgen., aus: Die Gedichte (1838), entstanden 1827, Online-Quelle)
Meine Haare fliegen
Meine Haare fliegen,
Bin auf hellen Winden,
Bin auf Flügelfüßen
In die Lüfte gestiegen.
Und mein Haupt steht golden
In den Abendwolken,
Purpurn wanken die Dolden
Meiner Liebesgedanken.
(Max Dauthendey, Meine Haare fliegen, aus: Reliquien, in: Gesammelte Gedichte und kleinere Versdichtungen, Albert Langen, München 1930, S. 97)
Rondel
Verflossen ist das Gold der Tage,
Des Abends braun und blaue Farben:
Des Hirten sanfte Flöten starben
Des Abends blau und braune Farben
Verflossen ist das Gold der Tage.
Kommt gut in und durch die neue Woche! (Kalendarischer) Herbstanfang ist dieses Jahr am Dienstag, 22. Spetember, um 15:31 Uhr MESZ. Genießt die Tage und bleibt heiter!
Du weisst, wir bleiben einsam: du und ich,
Wie Stämme, tief in Gold und Blau getaucht,
Mit freien Kronen, die der Seewind streift;
So nah, doch ganz gesondert, ewig zwei.
Und zwischen beiden webt ein feines Licht
Und Silberduft, der in den Zweigen spielt,
Und dunkel rauscht die Sehnsucht her und hin.
(Paul Wertheimer, Seelen, aus: Neue Gedichte, 1904, Online-Quelle)
Kommt gut in und durch die neue Woche, egal, ob ihr noch Urlaub habt oder nicht … 😉
Update ADVENTÜDEN: Bisher sind erfreuliche 13 Texte da und 13 weitere sind versprochen. Danke an alle, deren Texte ich bereits habe!
Ihr habt noch knapp zwei Wochen. Ich sags nur.