OP-Termin | abc.etüden

Hellgrüner Kittel, grelles Licht, grüne OP-Maske. Ich liege auf dem OP-Tisch und der Doc sieht auf mich herab wie auf eine Amöbe.

»Tja, gute Frau, das mit der Lokalanästhesie, um die Stellschraube zu entfernen, war ja prinzipiell eine gute Idee, aber …«

Oh-oh. Das klingt nach Komplikationen. Ich erstarre bei dem Tonfall und der gerunzelten Stirn. Der Fluchtreflex übernimmt. Ich geh ja schon. Mit der Schraube. Gibt ja noch andere Krankenhäuser.

»… das sieht so aus, als ob die bei Ihnen über die Wochen so verwachsen ist, dass ich da wirklich so nicht rankomme. Vielleicht ist die Schraube sogar gebrochen, das konnte ich nicht erkennen. Dafür muss ich den Knöchel aufschneiden und würde Sie gern in eine Vollnarkose legen, damit Sie auch ganz sicher nichts mitbekommen. Keine Angst, Sie brauchen keinen neuen Termin, das können wir alles gleich integrieren, unser Anästhesist steht schon bereit.«

O nein! An was für einen Vollprofi bin ich denn da geraten? Kennt der Typ überhaupt meinen Namen? Hat der die richtigen Röntgenbilder? Zum Glück ist das Edding-Zeichen auf dem richtigen Bein!

Wenn ich schon mal hier bin, beruhige ich mich. »Ach bitte«, bettele ich, »können Sie es nicht doch versuchen?«

»Na gut«, seine Stimme klingt deutlich weniger leutselig als zuvor, »aber auf Ihre Verantwortung.«

Am liebsten will ich eigentlich nur weg, aber ich nicke. Das kann nicht gut gehen! Wie in Zeitlupe beobachte ich, dass Doktor Schrecklich nach einem großen Schraubendreher greift, ihn ansetzt und … es quiiiiiiiiiiiiiiiiiietscht. Wie altes, sprödes Metall. Wie Kreide auf einer Schultafel. Wie …

Ich fahre hoch. Es quiiiiiiiiiiiiiiiiiietscht. Wie scharrende Katzenpfoten an einer Fensterscheibe. Fahles Morgenlicht dringt herein. Draußen plumpst der Fellträger vom Fensterbrett und bewegt sich zur Tür. Ich schwinge die Beine aus dem Bett. Morgenroutine. Katze füttern, Katze kuscheln, hoffentlich gemeinsam ein bisschen eindösen.

Nur ein Albtraum.


abc.etüden 2023 19+20+21+22 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

Für die abc.etüden, Wochen 19*20*21*22**2023: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Wortspende stammt von mir und meinem Blog Irgendwas ist immer. Sie lautet: Stellschraube, leutselig, integrieren.

Natürlich wollte ich zu meiner eigenen Wortspende etwas aus meinem aktuellen Leben beisteuern 😉. Meine Stellschraube ist draußen, und ich kann euch versichern, dass die Szenerie in NICHTS der oben beschriebenen ähnelte. Den Doc kannte ich bereits (und er mein Sprunggelenk), die OP-Schwestern waren jung, souverän und einfach nur großartig und das Prozedere zu keiner Zeit angsteinflößend. Ich war zum ersten Mal bei einer OP nicht in Narkose – und habe den Sichtschutz ein bisschen bedauert. Die Stellschraube durfte mich begleiten, sie glänzt und ist knapp 5 Zentimeter lang und wohnt in ihrem Döschen jetzt bei mir.

Katzenpfoten (die Fußballen) quietschen auf Fensterscheiben allerdings wirklich. Jedenfalls die von einem gewissen Fellträger.

 

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Nicht mehr unversehrt | abc.etüden

Nachts, wenn sie sich schlaflos auf ihrer Couch herumwälzt, betreiben die schwarzen Vögel Nestbau, kommen die Gedanken, die sie tagsüber wegdrückt, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Was ist, wenn doch was nachbleibt? Werde ich jemals wieder richtig gesund, das heißt schmerzlos und ausdauernd gehen, laufen, wandern, tanzen können? Wird alles wieder richtig gut? Und wie lange, falls ja, wird es dauern, und woher weiß ich, was ich machen sollte und was nicht?

Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht. Ist nicht so, dass sie sich im Leben schon mal was gebrochen hätte, nie, und dann gleich das. Das Jahr geht jetzt schon in die Annalen ein.
Sie kann es nicht mehr hören, dass sie »nur Geduld« haben muss.

Und wann werde ich endlich wieder imstande sein, die Stiege hinaufzuklettern, um endlich wieder richtig im Bett schlafen zu können – und, viel wichtiger, auch wieder hinunter, auch im Halbschlaf? Wann ist wieder »normal«?

Das alles ist Jammern auf hohem Niveau, und sie weiß es, meistens jedenfalls. Aber manchmal ist ihr egal, dass alles ja noch viel schlimmer sein könnte, da fühlt sie sich allein und von allen guten Geistern verlassen, da brechen Albträume durch, da hört sie frostige Stimmen, denen ihre Angst nichts bedeutet, da flieht sie nachts weinend, allein und panisch durch gesichtslose Häuserschluchten … und schreckt irgendwann auf.

Dann hält sie die Stille nicht aus. Und wenn sich dann am Fenster ein gewisser Fellträger bemerkbar macht, dann ist sie dankbar, greift freudig nach ihren Krücken, humpelt zur Tür, lässt ihn rein, redet auf ihn ein und erneuert sein Futter, hofft, dass er bleibt, sich nach dem Fressen bei ihr Streicheleinheiten abholen kommt und sich schließlich zu ihren Füßen schnurrend zusammenrollt und sie für ein paar weitere Stunden in einen traumlosen Schlaf gleiten kann.


abc.etüden 2023 14+15+16+17+18 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

Für die abc.etüden, Wochen 14*15*16*17*18**2023: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Wortspende stammt von Anna-Lena mit ihrem Blog Meine literarische Visitenkarte. Sie lautet: Nestbau, frostig, tanzen.

Krankheiten und Unfälle machen was mit einem. Wie immer, wenn man es nie selbst zuvor erlebt hat, fehlt ein Stück – die Erfahrung, mir etwas gebrochen zu haben, erweitert gerade meinen Horizont. Bitte lest diese Etüde nicht komplett autobiografisch, ich habe schon das eine oder andere überspitzt, und ich entschuldige mich jetzt schon prophylaktisch bei denen, die wirklich durch Krankheit dauerhaft eingeschränkt sind – mir ist bewusst, dass ich davon keine Ahnung habe.

Andererseits ist sind die Etüden meine Möglichkeit, nicht ständig aus meinem Herzen eine Mördergrube zu machen. Ich muss da durch und ich habe es ziemlich satt, das ist die Wahrheit …

 

Das Geheimnis | abc.etüden

Julias Stimme schwoll bedrohlich an. Ruhig, dachte sie, ruhig. Reiß dich zusammen. Es ist nur deine verdammte Schwester. Du schaffst das.

»Was soll das heißen, du kannst heute Abend nicht kommen?«

Wochenlang hatte sie Alexander bekniet, doch auch Dr. Mohr zu ihrer Gartenparty einzuladen. Dr. Mohr, der neue Arzt in der Kleinstadt, der so hervorragend in die Runde ihrer gesellschaftlich nicht uninteressanten Feierlichkeit passen würde, und der, viel interessanter noch, unverheiratet und demnach auch hoffentlich ungebunden war. Was tat man nicht alles für die einzige Schwester, das Mauerblümchen. Natürlich scheute die davor, verkuppelt zu werden, deshalb hatte man ihr ja auch nichts gesagt, und war so eine Gelegenheit etwa nicht unverbindlich genug?

»Es tut mir leid. Du weißt doch, eure Gartenpartys sind nichts für mich, und du hast ja die Mädchen, die dir helfen können.«

»Wo willst du denn so plötzlich hin?«

»Literatursalon. Die Lesung. Sehr bekannter Autor. Lyrik.«

Das war doch ein Widerspruch in sich! Flippte ihre sonst so genügsame Schwester jetzt völlig aus und machte in Kunst? Sie musste es wenigstens probieren.

»Die ist doch abgesagt.«

Hörte sie ein Stocken in der Stimme ihrer Schwester?

»Ist sie nicht. Ich hatte vorhin Kontakt zu dem Veranstalter.«

Okay, es war den Versuch wert gewesen. Literatur interessierte sie eh nicht.

»Wenn du es dir anders überlegst, komm jederzeit her.«

»Gern, Julchen, danke. Ich wünsch dir einen gelungenen Abend.«

»Dir auch.«

Daniela legte auf. Puh, gerade noch mal gut gegangen. Sie war überzeugt, dass wieder ein, zwei unbeweibte Herren den Rasen schmücken würden und dass sie sich wie immer furchtbar gelangweilt und zu viel getrunken hätte. Eigentlich traurig. Hoffentlich war die Discokugel immer noch kaputt.

Aber jetzt war es langsam Zeit, sich für den Abend zurechtzumachen. Julia hatte irgendwie schon recht gehabt: Es gab keine Dichterlesung. Der Dichter las für sie. Privat.



Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

Für die abc.etüden, Wochen 10*11*12*13**2023: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Wortspende stammt dieses Mal von Werner Kastens und seinem Blog Mit Worten Gedanken horten. Sie lautet: Dichterlesung, genügsam, verkuppeln.

Myriade, ist dir das Discokugel-Mosaikstück nah genug dran für die Impulswerkstatt? Falls ja, würde ich zu dir verlinken.

 

Die Patentante | abc.etüden

Was soll das heißen, du willst dir die Krallen permanent lackieren lassen? Du bist doch kein Mädchen!? Was werden die anderen denn dazu sagen?«

Ja, total unfair, ich weiß, aber es ist erstaunlich, wie leicht er noch zu beeinflussen ist. Hat vermutlich zu viele Serien geschaut, wo es um edel, Zwieback und gut ging. Das Übliche. Er ist noch zu jung für Überlegungen zur Sexualität, jedenfalls hoffe ich das sehr – bitte keine »Divers«-Diskussionen!

Ich auf jeden Fall bin so eine Art Patentante. Das bin ich für fast alle, die hier durchgeschleust werden, die Ärmsten kommen meist aus schlechten Verhältnissen unterschiedlichster Art. Manche bleiben Jahre. Viele sind echte Rüpel und spucken Feuer, wenn sie sich angegriffen fühlen, aber wenn man sie einfach akzeptiert, hat man viel Spaß. Ich habe sogar häkeln gelernt, um jedem seine eigene Kuscheldecke schenken zu können, es ist oft das erste Mal, dass sie was Eigenes besitzen.

Er schaut mich todtraurig an. Das wird mal ein Herzensbrecher, so viel ist sicher, fehlen nur noch die Krokodilstränen.

»Lass mich raten«, sage ich. »Sie sollen blutrot werden, richtig, damit du wirklich gefährlich aussiehst?«

Er nickt zögernd.

»Und hinterher willst du bestimmt deinen Namen ändern lassen? Gorrrch der Schreckliche oder so?«

Er nickt. Deutlich verschämter.

Ach, Kind. Die Sache mit den Rollenbildern ist bei Menschen schon nicht leicht, aber als Drache muss es völlig katastrophal sein.

»Angst machen macht einsam, Süßer«, sage ich, »ich würde mir das noch mal überlegen. Glaub einer alten Frau.«

Er kommt zu mir, legt seinen Kopf auf meinen Schoß (mehr passt da auch nicht rauf), schließt die Augen und fängt prompt an, leise zu schnarchen, wobei ihm kleine Feuerzungen entweichen. Ich schüttele sachte den Kopf, während ich ihn kraule.

Morgen sollte ich mal wieder einen Satz feuerfeste Klamotten bestellen, mein Rock ist schon fast durchgeschmurgelt.

 

abc.etüden 2023 04+05 | 365tageasatzaday

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Für die abc.etüden, Wochen 04/05.2023: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Wortspende stammt dieses Mal von mir (Christiane) und meinem Blog Irgendwas ist immer. Sie lautet: Drache, edel, häkeln.
Außerdem greift sie die Etüde von der Fledermaus auf (unbedingt hier klicken), ich konnte speziell dem Bild (unten) nicht widerstehen. Ich glaube, ich brauch gerade was Niedliches. (Ja, der Fellträger kann auch so gucken.)



Quelle: Pexels

 

Miniatur. Gedankenfetzen. Ein Versuch | abc.etüden

 

Na denn –

renn!

Immer schneller, immer höher, immer weiter!

Zögere nicht! Denk nicht! Leb deine Träume! Dich erwartet noch so viel Wunderbares! Wir füttern Körper, Geist und Seele nur mit erlesener Qualität. Versprochen. Unterschreib hier.

Renn weiter!

 

Ich will alles! Ich will Spaß, ich geb Gas!

Hurra! Was ist der Schnee schön weiß! Was ist der Wald schön grün! Was sind die Blumen schön bunt!

 

Drah di net um …

Siehst du nicht, dass alles zerschellt? Hast du keine Angst?

Nutze deine Freiheit! Bleib nicht stehen!

Renn weiter!

Flieh ins Café am Ende der Welt …

– hinter den Nebeln –

bevor die Klimakatastrophe kommt

oder die nächste Pandemie

oder der Krieg

oder die Inflation

… du hast es dir verdient! Mit deinem Leben!

Renn weiter!

 

Ver-ant-wor-tung? So-li-da-ri-tät? Mit wem denn und wofür? Wir sind gute Bürger, wir gehen zur Wahl und dann lassen wir die Politiker ihren Job machen.

Atlas wirft die Welt ab …

Muss ich das verstehen?

Und die blaue Kugel rollt, haha, sehr witzig. Faites vos jeux, aber gerne doch. Hundert auf Rot!

… und überrollt auch die Fluchtsieger …? Wie bitte?

Rien ne va plus.

Gleich kommt, dass ich eine Maske tragen muss, wetten?

Wie … nein?

 

abc.etüden 2023 02+03 | 365tageasatzaday

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Miniatur für die abc.etüden, Wochen 02/03.2023: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Wortspende stammt dieses Mal von Ludwig Zeidler, dem Etüdenerfinder, der nicht mehr bloggt. Sie lautet: Fluchtsieger, füttern, wunderbar.

Mein Kopf ist gerade etwas unsortiert und wehrt sich gegen nette Geschichtlein. Ich kenne das, das bedeutet, dass nichts Gescheites nachkommt, wenn ich es nicht wenigstens zum Teil rausschreibe, also habe ich es mal versucht, in der Hoffnung, dass wer von euch etwas damit anfangen kann, auch wenn die Form für mich eher unüblich ist.

„Atlas wirft die Welt ab“ ist übrigens der Titel eines Buches, das ich nicht gelesen habe (und nicht lesen werde, aber dafür hat Alexander es gewohnt kundig in epischer Breite besprochen: hier klicken), aber ich mochte das Bild von dem blauen Ball, sei er, was er sei …

Myriade: Erfüllt meine Zeile dein Kriterium für die Teilnahme (Rahmen) an der Impulswerkstatt, auch wenn sie weder am Anfang noch am Schluss steht? Dann füge ich dir noch den Link ein …

Frage: Nutzt schon jemand die neue Jetpack-App (statt des Readers) auf dem Handy und kann darüber berichten? Mir wird sie derzeit öfter angeboten, aber ich hab mich noch nicht getraut …

 

Weihnachtspause

Ich hatte gerade ein Dejá-vù: Ich könnte meinen letztjährigen Post (wenn auch aktualisiert) fast eins zu eins wiederholen, so wenig hat sich grundlegend geändert. Das hat mich überrascht … 😉

Ihr Lieben, alle Türchen der Adventüden haben sich geöffnet, alle Etüden haben Freude, Entzücken und Entsetzen ausgelöst, haben zu Gelächter und Nachdenken, Trauer, Trost und Staunen eingeladen und ihren krönenden Abschluss gefunden ❤ – so unterschiedlich, so schön.

Und weil vielleicht viele in der Adventszeit nicht dazu gekommen sind, gibt es jetzt hier noch mal die komplette Liste zum Nachlesen. Viel Freude!


27.11.  Alle Jahre wieder
28.11.  Aufruhr im Lehrerzimmer
29.11.  Eine Liebeserklärung der anderen Art
30.11.  Alle Jahre wieder
01.12.  Deine Zeit
02.12.  Schöne Bescherung
03.12.  Nicht alltäglich
04.12.  Advent
05.12.  Wieder ein Weihnachtsdilemma gelöst
06.12.  Der Einbrecher
07.12.  Ein besonderer Adventskalender
08.12.  Das letzte Mal
09.12.  Wieder daheim
10.12.  Der Umweg
11.12.  Eine Liebeserklärung
12.12.  Eine Adventsgeschichte
13.12.  Das Ross
14.12.  C+M+B IV
15.12.  Weihnachten ist nie wie im Bilderbuch
16.12.  Zeitenwende
17.12.  Das Adventsessen
18.12.  Hoppala
19.12.  Ein Weihnachtswunder?
20.12.  Ein unverhofftes Geschenk
21.12.  Gute Nachbarschaft
22.12.  Dritter Besuch
23.12.  Erinnerungen sind wie Sterne
24.12.  Fräulein Honigohrs Weihnachtswanderung


Ich danke euch allen, die ihr Teil der Adventüden wart, aktiv oder passiv, als Schreiber*innen, Kommentator*innen, Leser*innen und Liker*innen. Schön, dass ihr da wart, für euch, für uns alle passiert das hier, ich kann es nur immer wieder wiederholen, deswegen halte ich die Etüden am Leben. Und danke an euch, dass ihr die Arbeit seht, die dahintersteckt.
Frische Begriffe für die Etüden gibt es erst wieder am 8. Januar 2023, ich nehme mir die erste Woche des neuen Jahres noch etüdenfrei.


Mein Blog schlurft jetzt langsam in den Feiertagsmodus und ich mit ihm: Ich schließe ihn nicht, auch zwischen den Jahren nicht, denn natürlich werde auch ich weiter durch die Blogs bummeln, aber ich lasse ihn liegen, bis ich Lust habe, mich darum zu kümmern … ich habe ein großes Bedürfnis nach Wärme und Couch und lieben Menschen, dem schnarchenden Fellträger, meinem Weihnachtsbuch und, und, und.

Kommt gut und gesund an Körper und Seele und entschleunigt durch diese Tage, mögen sie bei euch stressarm und heiter ausfallen, und passt auf euch und eure Liebsten (Menschen und Tiere) gut auf.


Adventüden 2022 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

Die Musik auf der Seite hinter dem Link unten spricht vermutlich nicht jede*n an, aber ich bekomme Gänsehaut beim Hören und finde sie irgendwie heilsam, und das ist bei mir echt selten.

Lichtgebet · Elbcanto & Helge Burggrabe · Text aus der Sufi-Tradition

 

24.12. – Fräulein Honigohrs Weihnachtswanderung | Adventüden

Stopp! Pause!« Herr Brummeck stemmt die Hände in die Hüften und schnauft.

Fräulein Honigohr wippt ungeduldig auf den Zehenspitzen. Es ist nicht mehr weit und die Zeit drängt. Die Bäume ragen kahl empor, der Weg hat schon vor längerer Zeit beschlossen, anderswo entlangzuführen. Die Nacht ist klar, aber leider nicht eiskalt, da kann auch der schönste Sternenglanz nichts ändern.

»Müssen wir das wirklich jedes Jahr machen?« Herr Brummeck sieht leidend aus.

»Natürlich.« Fräulein Honigohr ist mitleidlos. Er muss ja nicht mitkommen. Aber er will es so. »Weiter!«

Herr Brummeck stöhnt, aber er läuft ihr hinterher. Das Unterholz ist dicht und hat noch nie Laubsägen oder Äxte gesehen, aber Fräulein Honigohr weiß, wo sie lang muss. Und da ist sie schon, die Lichtung. Der Schnee leuchtet fahlweiß unter dem Nachthimmel, und Fräulein Honigohr lacht laut auf. »Er ist noch da! Siehst du? Der Einzige weit und breit!«

Herr Brummeck schnauft.

»Komm!« Fräulein Honigohr schubst ihn in den Schnee und wirft sich dann selbst hinein. Akribisch malen sie acht Schnee-Engel auf die Lichtung, für mehr ist kein Platz. Der Schnee ist schwer und nass und quietscht leise. Als sie fertig sind, stellen sie sich nebeneinander auf. »Jetzt«, flüstert Fräulein Honigohr und schnipst mit den Fingern. Langsam erheben sich die Schnee-Engel aus ihren Abdrücken. Sie sind ein wenig zerknautscht, genau wie der Schnee. »Ihr wisst, was ihr zu tun habt?«, fragt Fräulein Honigohr, und sie nicken. »Dann wünsche ich gutes Gelingen. Ihr habt zwölf Stunden, wie immer.« Sie fliegen auf, ihre Flügel ein leises Rauschen wie Lametta im Wind.

»So schön …« Fräulein Honigohr lehnt sich an Herrn Brummeck. Er legt einen Arm um sie. »Der alte Mann kann ja nicht alles allein machen.«

»Stimmt.«

Sie sehen den Schnee-Engeln hinterher, bis das Rauschen verklungen ist. Dann machen sie sich an den Abstieg.


Autor*in: Tanja                    Blog: Stachelbeermond


Adventüden 2022 24-12 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

Zum Thema Inhaltshinweise/CN/Triggerwarnungen in den Adventüden bitte hier lesen.

Nachdem viele Teilnehmer*innen und Leser*innen das Fetten der vorgegebenen Wörter als störend empfunden haben, wurde darauf verzichtet. In einem Text, der maximal 300 Wörter umfassen durfte, waren (mindestens) drei der folgenden fünfzehn Begriffe zu verwenden:

Adventskalender, Dezemberdilemma, Eintopf, Gebäckdose, Hefe, Lametta, Laubsäge, Liebeserklärung, Kreuzkümmel, Kulturschock, Sternenglanz, Sturz, Taschentuch, Tunichtgut, Weihnachtsputz.

Dieser Text erschien zuerst im Rahmen der Adventüden 2022, einem Projekt von »Irgendwas ist immer«.

 

23.12. – Erinnerungen sind wie Sterne | Adventüden

Agatha schlägt die Augen auf. Ihr Kopf dröhnt, das rechte Bein fühlt sich betonschwer an, im linken Handrücken steckt eine Nadel. Agatha dreht den Kopf. Stöhnt vor Schmerz. Legt ihn zurück. Sie lässt die Augen wandern. Über ihr ein Haltegriff. Neben dem Bett ein Infusionsständer mit einer durchsichtigen Flasche. Tropf, tropf, tropf. Die Wände sind weiß. Ein kleiner Tisch und zwei Stühle stehen an der Wand, darüber hängt ein Kunstdruck. Van Goghs Sonnenblumen. Das Licht brennt. Draußen dunkelt es. Agatha hört ihren Atem, vom Flur schnelle Schritte. Und Klingeln. Immer wieder.

»Wie bin ich hier gelandet?«, fragt sie.

»Du bist von der Leiter gefallen, Gänseblümchen. Beim Aufhängen der Sternenlichterkette.«

Agatha erschrickt. »Gänseblümchen« hat sie nur ihr Papa genannt. Niemand sonst durfte das. Aber Papa ist schon lange tot. Agatha versucht, sich hochzuziehen.

»Bleib liegen, Gänseblümchen, hab keine Angst. Alles ist gut. Du bist bald gesund.«

Agatha lauscht. Schließt die Augen. Bilder tauchen auf. Ein Kaleidoskop bunter Erinnerungsfetzen. Sie sieht sich und ihren Vater beim Aufhängen der Sternenlichterkette. Seit sie in der 1. Klasse war, hat er diese mit ihr am 23. Dezember aufgehängt. Nur mit ihr. Nie mit jemandem anderen. Es war seine Vater-Tochter-Zeit. Nicht einmal in 68 Jahren hat er das ausfallen lassen. So wenig. So wertvoll. Eine Liebeserklärung an sie.

Agatha lässt die Erinnerungen kommen. Sie spürt seine Hand auf ihrem Rücken. Hört sein: »Ich halte die Leiter, einen Sturz wollen wir nicht.« Sie erinnert sich an jeden einzelnen Vorweihnachtsabend. Sieht sie sich an. Lässt sie vorbeiziehen.

Agatha spürt das Lächeln, das sich auf ihrem Gesicht breitmacht. Ihr wird ganz leicht. »Papa«, flüstert sie.

»Ich bin bei dir, Gänseblümchen. Immer.«

Agatha lauscht. Macht das Licht aus. Ihr Blick wandert zum Fenster. Sternenglanz fällt ins Zimmer.

»Danke, Papa, deine Lichterkette ist besonders in diesem Jahr.«


Autor*in: Judith                    Blog: Mutigerleben.de


Adventüden 2022 23-12 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

Zum Thema Inhaltshinweise/CN/Triggerwarnungen in den Adventüden bitte hier lesen.

Nachdem viele Teilnehmer*innen und Leser*innen das Fetten der vorgegebenen Wörter als störend empfunden haben, wurde darauf verzichtet. In einem Text, der maximal 300 Wörter umfassen durfte, waren (mindestens) drei der folgenden fünfzehn Begriffe zu verwenden:

Adventskalender, Dezemberdilemma, Eintopf, Gebäckdose, Hefe, Lametta, Laubsäge, Liebeserklärung, Kreuzkümmel, Kulturschock, Sternenglanz, Sturz, Taschentuch, Tunichtgut, Weihnachtsputz.

Dieser Text erschien zuerst im Rahmen der Adventüden 2022, einem Projekt von »Irgendwas ist immer«.

 

22.12. – Dritter Besuch | Adventüden

Nachts wandert sie jetzt zwischen den Welten.

Lukas macht das Sorgen, er befürchtet einen Sturz oder dass der Eintopf auf dem Herd verkohlen könnte, dabei isst sie kaum noch etwas. Dann und wann ein Plätzchen genügt.

Kreuzkümmelduft steigt aus der Gebäckdose und sie weiß, heute kommt er zum dritten Mal. Ein Weihnachtswichtel ist er, Ziegenbart sein Name, kein liebenswerter Tunichtgut aus der Art der Geschichten, die sie Lukas und Joyce beim Öffnen der Adventskalender vorgelesen hatte. Ziegenbart kommt aus einer Welt, in der Zartheit und Mut das sind, was gilt.

Bei der ersten Begegnung war sie zehn gewesen, der Duft geheimnisvoll, mit Kreuzkümmel hatte damals in diesen Breiten niemand gekocht. Unendlich verlassen hatte sie sich gefühlt, weiß längst nicht mehr wieso, als er vor ihr gestanden und freundlich um die Batterien ihrer Taschenlampe gebeten hatte, für den Weihnachtsmann. Sie legte sie in seine schmale Hand und alle Verlassenheit verflog. In ihr wuchs Zuversicht und jahrelang verneigten sich manche vor ihrem Mut.

Als aller Mut und jede Zuversicht verloren waren, kehrte er zurück, Dezemberdilemma hatte sie jene Adventszeit genannt, in der sie entscheiden sollte, Joyce in eine Einrichtung zu geben, was doch nichts anderes war als ein Heim.

Die Unerbittlichkeit, eine Entscheidung zu treffen, die nur falsch sein konnte, drohte ihr Herz in Stücke zu reißen.

Ziegenbart bat wieder um irgendwelche Batterien. Sanft strich er über ihre Wange, sie weinte und wusste, es würde weitergehen, zerzaust, aber im Herzen unversehrt.

Jedem wärmenden Gericht, das sie kochte, hat sie Kreuzkümmel beigefügt seitdem.

Und nun, Jahrzehnte später, steht er wieder duftend da, will keine Batterie, sondern streckt ihr wortlos seine schmale, seltsam spröde Hand entgegen wie eine Liebeserklärung.

Lächelnd wechselt sie die Welt, wendet sich nur noch einmal um, um sich zu vergewissern, dass der Herd ausgeschaltet ist.

Für Lukas. Für Joyce.


Autor*in: Natalie                    Blog: Fundevogelnest


Adventüden 2022 22-12 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

Zum Thema Inhaltshinweise/CN/Triggerwarnungen in den Adventüden bitte hier lesen.

Nachdem viele Teilnehmer*innen und Leser*innen das Fetten der vorgegebenen Wörter als störend empfunden haben, wurde darauf verzichtet. In einem Text, der maximal 300 Wörter umfassen durfte, waren (mindestens) drei der folgenden fünfzehn Begriffe zu verwenden:

Adventskalender, Dezemberdilemma, Eintopf, Gebäckdose, Hefe, Lametta, Laubsäge, Liebeserklärung, Kreuzkümmel, Kulturschock, Sternenglanz, Sturz, Taschentuch, Tunichtgut, Weihnachtsputz.

Dieser Text erschien zuerst im Rahmen der Adventüden 2022, einem Projekt von »Irgendwas ist immer«.

 

21.12. – Gute Nachbarschaft | Adventüden

Der ist ein Tunichtgut«, sagte die Mutter. Sie rührte hingebungsvoll im großen Topf auf dem Herd.

»Leg einfach den Deckel drauf und lass den Eintopf durchziehen«, sagte die Tochter.

»Papperlapapp. Ich habe schon gekocht, als du noch in Abrahams Wurstkessel geschwommen bist.«

Bilder stürmten auf die Tochter ein. Abraham, ein stämmiger Mann mit wildweißem Haupthaar und langem Bart, hatte die Ärmel hochgekrempelt. Er führte mit beiden Händen einen mächtigen Kochlöffel durch den Kessel. Es roch nach Kreuzkümmel und Schweiß. Abraham ließ den Löffel los, fischte aus seiner Hosentasche ein zusammengeknülltes Taschentuch und wischte sich die Stirn. Die Tochter hätte sich ihre Herkunft romantischer gewünscht. Mehr Sternenglanz und weniger Wurstwasser.

»Da ist der Tunichtgut«, sagte die Mutter. Die Recyclingtonne im Hof klappte zu.

»Immerhin trennt er den Müll«, sagte die Tochter. »Das ist doch lobenswert.«

»Wer’s glaubt.«

Zu Hause könnte die Tochter jetzt Musik hören, Rotwein trinken und ein Buch lesen. Leider hatte sie vor dem Dezemberdilemma kapituliert.

»Wenn du schon hier bist, mach dich nützlich«, sagte die Mutter. »Den Weihnachtsputz schaffe ich nicht mehr mit meinem Herzen.«

Die Wohnung war sauber, Herz hin oder her. Der Plastikweihnachtsbaum nadelte nicht, von den elektrischen Kerzen tropfte kein Wachs, Leitungswasser hinterließ keine Rotweinflecken.

Es klirrte und schepperte. Der Tunichtgut warf nun Weinflaschen in den Glascontainer.

»Typisch«, sagte die Mutter. »Immer vom Feinsten, ich seh die Etiketten. Sucht und Verschwendung. Ich brauche keinen Alkohol zum Fröhlichsein.«

Die Tochter fragte sich, ob es auf der Welt etwas gab, von dem die Mutter fröhlich würde. Nichts, von dem sie wusste. Vielleicht ein verwunschenes Kraut hinter den sieben Bergen. Doch sie war nicht die Heldin, die es finden würde.

Sie selbst war da nicht so anspruchsvoll. Sobald die Mutter schlief, würde sie eine Gebäckdose füllen und nebenan beim Tunichtgut läuten. Vielleicht würden die Feiertage dann gemütlich ausklingen.


Autor*in: Nina Bodenlosz                    Blog: Das Bodenlosz-Archiv


Adventüden 2022 21-12 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

Zum Thema Inhaltshinweise/CN/Triggerwarnungen in den Adventüden bitte hier lesen.

Nachdem viele Teilnehmer*innen und Leser*innen das Fetten der vorgegebenen Wörter als störend empfunden haben, wurde darauf verzichtet. In einem Text, der maximal 300 Wörter umfassen durfte, waren (mindestens) drei der folgenden fünfzehn Begriffe zu verwenden:

Adventskalender, Dezemberdilemma, Eintopf, Gebäckdose, Hefe, Lametta, Laubsäge, Liebeserklärung, Kreuzkümmel, Kulturschock, Sternenglanz, Sturz, Taschentuch, Tunichtgut, Weihnachtsputz.

Dieser Text erschien zuerst im Rahmen der Adventüden 2022, einem Projekt von »Irgendwas ist immer«.

 

20.12. – Ein unverhofftes Geschenk | Adventüden

Früher war mehr Lametta«, sagte Opa Hoppenstedt, und Karin schaltete ihren Fernseher aus. Nicht mal das Weihnachtsprogramm konnte sie dieses Jahr in Stimmung bringen. Sie hatte alles versucht, vom Keksebacken über Weihnachtsputz bis hin zu schnulzigen Weihnachtsliedern. Dieses Jahr Weihnachten war alles scheiße. Letzten Monat hatte ihre Freundin sie verlassen, dann hatte ihr Arbeitgeber ihr statt Schokolade eine Kündigung zum Nikolaus geschenkt und jetzt war auch noch der Corona-Test positiv.

Karin fühlte sich wie ein Versager und biss abwechselnd in ein Stück Schokolade und schnäuzte sich in ein Taschentuch. »Toller Heiligabend«, brummelte sie und beschloss, ins Bett zu gehen. Warum sollte sie wach bleiben? Es war niemand hier, mit dem sie Geschenke tauschen konnte oder der mit ihr Kartoffelsalat mit Würstchen aß. Alleine war Weihnachten einfach doof.

Morgens wurde sie von einem Poltern geweckt. Verängstigt schnappte sie sich einen Metallbügel und pirschte sich Richtung Flur. Weder im Flur noch im Bad sah sie etwas, also näherte sie sich vorsichtig dem Wohnzimmer. Zu ihrer Erleichterung stellte sie fest, dass auch dort niemand war. Müde ließ sie sich auf die Couch plumpsen. Erst mit dem zweiten Blick fiel ihr auf, dass sich ein Geschenk unter dem Weihnachtsbaum befand. Waren ihre Eltern heimlich in die Wohnung geschlichen?

Sie suchte nach einer Karte, fand aber keine, also öffnete sie das Päckchen. Der Karton war leer bis auf einen kleinen Umschlag, auf dem stand: »Für ein neues Leben – Umschlag öffnen.«
Karin wollte lachen, aber irgendetwas sagte ihr, dass dies kein Witz war. Sie verharrte einige Minuten auf den Umschlag starrend, dann, einer Eingebung folgend, riss sie den Briefumschlag durch und schmiss ihn in den Papiermüll. Eigentlich war ihr Leben ganz okay. Sie brauchte nur einen neuen Job und eigentlich kam sie auch ganz gut alleine klar.


Autor*in: Katharina                    Blog: Katha kritzelt


Adventüden 2022 20-12 | 365tageasatzaday

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Nachdem viele Teilnehmer*innen und Leser*innen das Fetten der vorgegebenen Wörter als störend empfunden haben, wurde darauf verzichtet. In einem Text, der maximal 300 Wörter umfassen durfte, waren (mindestens) drei der folgenden fünfzehn Begriffe zu verwenden:

Adventskalender, Dezemberdilemma, Eintopf, Gebäckdose, Hefe, Lametta, Laubsäge, Liebeserklärung, Kreuzkümmel, Kulturschock, Sternenglanz, Sturz, Taschentuch, Tunichtgut, Weihnachtsputz.

Dieser Text erschien zuerst im Rahmen der Adventüden 2022, einem Projekt von »Irgendwas ist immer«.

19.12. – Ein Weihnachtswunder? | Adventüden

CN: Diese Adventüde geht anders aus, als es zuerst scheint. Versprochen 😉

 

Der Weihnachtsputz würde dieses Jahr ausfallen. So viel stand jedenfalls fest. Sie sah gedankenverloren dem Schneetreiben vor dem Fenster zu. Nach dem Sturz war nämlich alles anders. Und das musste irgendwie wieder gerade gebogen werden. Sie schmunzelte kurz ob der Analogie dieser Worte und widmete sich dann erneut geflissentlich den nunmehr nur noch kleineren Näharbeiten. Von der groben Arbeit zuvor zeugte noch immer die blutige Laubsäge, die an der Wand lehnte. »Fürs Säubern ist später noch Zeit«, murmelte sie leise vor sich hin, um dann mit den letzten Nadelstichen das Werk zu vollenden. Sie beäugte noch einmal den leblosen Körper, der vor ihr auf der Werkbank lag. »Dies ist meine Liebeserklärung an dich!«, intonierte sie selbstbewusst.

Ihr Blick ging zur alten, tickenden Holzstanduhr, die hier unten im Kellerabteil die gefliesten Wände verzierte. Sie drehte sich auf dem Absatz um, stieg die Stufen zur Küche hinauf, ging zum Gasherd und öffnete den Deckel des heiß dampfenden Kochtopfs. Die Klöße, die sie zuvor sorgsam und liebevoll aus Hefe zu gleich großen Kügelchen geformt hatte, köchelten vor sich hin. Es roch intensiv. »Ich habe nie verstanden, warum du unbedingt Kreuzkümmel mit an diesen Eintopf haben wolltest«, sprach sie in den blubbernden Topf hinein. »Aber es ist dein Lieblingsgericht und du wirst sicher hungrig sein, wenn du aufwachst.« Sie drehte den Temperaturregler ein wenig hinunter und ging langsam zurück in den kalten Keller.

Sie überprüfte ein letztes Mal die Kabelverbindungen, die den Körper mit der Starkstromanlage verbanden und lachte dabei laut auf, weil ihr bewusst wurde, dass die Aktion den Nachbarn ringsum gleich die beleuchtete Weihnachtsdeko komplett abfackeln würde, und nickte zufrieden. Alles schien perfekt vorbereitet. Vielleicht geschieht doch ein Weihnachtswunder und es wird alles wie früher, dachte sie hoffnungsvoll und drückte den Knopf. Die Reanimation konnte beginnen.


Autor*in: Stepnwolf                    Blog: Weltall. Erde. Mensch…und Ich.


Adventüden 2022 19-12 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

Zum Thema Inhaltshinweise/CN/Triggerwarnungen in den Adventüden bitte hier lesen.

Nachdem viele Teilnehmer*innen und Leser*innen das Fetten der vorgegebenen Wörter als störend empfunden haben, wurde darauf verzichtet. In einem Text, der maximal 300 Wörter umfassen durfte, waren (mindestens) drei der folgenden fünfzehn Begriffe zu verwenden:

Adventskalender, Dezemberdilemma, Eintopf, Gebäckdose, Hefe, Lametta, Laubsäge, Liebeserklärung, Kreuzkümmel, Kulturschock, Sternenglanz, Sturz, Taschentuch, Tunichtgut, Weihnachtsputz.

Dieser Text erschien zuerst im Rahmen der Adventüden 2022, einem Projekt von »Irgendwas ist immer«.