Ihre Eltern bestimmten den ihr zugedachten Platz. Selbstverständlich. Sie wollten schließlich nur ihr Bestes. Urgroßeltern, Großeltern, Eltern, dann kam sie und nach ihr ihre Kinder. So war es richtig, so wurde es gemacht, so musste es sein, was zögerte sie?
Sie hatte nicht rebelliert, wohin hätte sie gehen sollen? Sie hatte geheiratet, Kinder bekommen, ein an Freuden armes Leben voller Pflichterfüllung durchgezogen. Als die auferlegten Fesseln so stark einschnitten, dass sie krank wurde und innerlich zu bluten begann, hatte ihr Mann sie entsorgt. Die Kur, wo sie am Ende landete, kam ihr vor wie ein Gnadenhof. Mit der üblichen Frage: Musste sie bald zum Abdecker oder hatte sie noch ein paar Jahre?
„Man kann den Menschen wohl nicht in den Kopf sehen“, hatte ihre Schwiegermutter spitz festgestellt und sie dabei misstrauisch beäugt.
„DU schon mal gar nicht“, dachte ihre Schwiegertochter, die tatsächlich etwas verbarg, ihr ganzes Leben lang schon. Sie hatte sich deswegen oft Vorwürfe gemacht, sich schuldig gefühlt – und die Gedanken schließlich beiseitegeschoben.
Ihr Leben: an die Wand gefahren, ach ja, wirklich? Nun ermutigten die Psychologen sie, mit sich selbst ins Reine zu kommen und sich nicht zu verurteilen. So zog sie bedächtig Gefühl nach Gefühl von der inneren Abraumhalde in das Licht der Erkenntnis, bis sie transparent wurden, begriff, verzieh und erlaubte sich langsam, das Undenkbare zuzulassen.
Da war eine Frau in der Töpfergruppe, die sie heimlich mit Blicken verschlang. Die alles war, was sie so gern gewesen wäre. Da war ein Begehren, das sie nachts unruhig schlafen ließ.
Es war egal, ob jene Frau jemals auch nur ihren Namen erfuhr, erkannte sie irgendwann. Denn die einzig wichtige Frage lautete: Würde sie dazu stehen oder nicht?
Sie entschied sich. Ihr ganzes Leben lang war sie unter falscher Flagge gesegelt. Aber jetzt wehte über ihr gelassen der Regenbogen.
Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir
Für die abc.etüden, Woche 51/52.2018: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Worte stammen dieses Mal von dergl und lauten: Regenbogen, transparent, bluten.
Ich hatte gedacht, speziell der Regenbogen würde den Etüden viele Geschichten aus der queeren Ecke bescheren, und bin ganz erstaunt, dass dem fast nicht so war. Dies ist wieder mal keine Geschichte, die mir selbst passiert ist, aber ich kenne eine Frau, die ihre Lebenspartnerin so kennengelernt hat, wobei ich natürlich die Umstände in der Etüde an meine Wünsche angepasst habe …
Dazu passt vielleicht das folgende Video, das mir sehr ans Herz gegangen ist. Es heißt „All that we share“ („Alles, was wir teilen“ / „Alles, was uns verbindet“) und ist ursprünglich ein Spot des dänischen Fernsehens (TV2 Denmark). Es geisterte unter der Überschrift „Muss uns erst ein TV-Sender erklären, wie Gesellschaft funktioniert?“ über Weihnachten durch WhatsApp. Ich habe eine Version gesucht, die deutsche Untertitel dazugebastelt hat, da ich nicht weiß, wie gut euer Englisch ist. Die ursprüngliche Version findet sich hier.