»Was soll das heißen, du hast einen Wegwerf-Kater?«, fragt sie ihre Freundin ungläubig, als sie im Wohnzimmer bei Kaffee und adventlichen Lebkuchen beisammensitzen.
»Oh, seine Besitzerin wollte ihn einschläfern lassen, weil er sich eine Pfote gebrochen hat. Stell dir das vor! EINSCHLÄFERN! Sie meinte, sie holt sich dann lieber einen neuen. Klein, stark, schwarz und noch kein Jahr alt. Wir haben ihn ihr weggenommen und verarztet.«
»Und was macht die mit ihren Kindern, wenn die krank sind? Ins Heim geben?«
»Ich hoffe, sie hat keine.« Miri, Herz und Kopf einer Tierarztpraxis, seufzt. »Viele Leute drehen dieses Jahr am Rad, aber derart krasse Fälle sind zum Glück selten. Ich suche jetzt eine Pflegestelle, sonst muss er ins Tierheim. Hättest du nicht Lust?«
Sie überlegt. Platz genug wäre. Nüchtern betrachtet wird sie zu Weihnachten allein sein. Zur Tochterfamilie gehören nämlich nicht nur zwei wilde Enkeljungs im Kindergartenalter, sondern auch ein ungeplantes Corona-Kind, vor wenigen Tagen auf die Welt gekommen. Zum Glück alles okay.
»Viele Frauen nehmen vom Käsekuchen zu, ich hatte andere Gründe. Na ja, was soll man auch sonst machen, wenn man den ganzen Tag zusammen ist. Außer essen«, hatte ihre Tochter gesagt und gezwinkert, als sie das Enkelmädchen angekündigt hatte. Sie hat darauf lieber nichts geantwortet.
Vorsorglich haben sie Weihnachten mit Oma auf einen kurzen Weihnachtskaffee mit Geschenkeaustausch reduziert, sie ist nicht mehr die Jüngste und sowieso Risikogruppe und so.
Nun. Sie betrachtet nachdenklich ihre bunte Kuscheldecke. Logisch, die Tochterfamilie ist nicht aus der Welt, aber ihr ist bewusst, dass jemand fehlt, der ihre Einsamkeit teilt und ihre Streicheleinheiten zu würdigen weiß. Ob sie sich die Verantwortung aufladen soll?
»Ach, bring ihn her«, hört sie sich sagen. »Erst mal über Weihnachten, und im neuen Jahr sehen wir weiter.«
Aus dem Augenwinkel sieht sie Miri lächeln, als habe sie es gewusst.
Autor*in: Christiane Blog: Irgendwas ist immer

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir
Eins noch: Die Geschichte mit dem Kater ist wahr. Seine Besitzerin brachte ihn in eine Tierarztpraxis zum Einschläfern, weil er sich die Pfote gebrochen hatte. Man nahm ihn ihr weg, das ist auch wahr, und entweder die Tierärztin selbst oder eine Helferin regte sich (bei Twitter) tierisch (zu Recht) darüber auf. Das war irgendwann 2019.
Dass er bei mir gelandet ist, stimmt natürlich nicht, da hätte ein gewisser Herr Fellträger einen gewissen Unmut geäußert – genauso, wie der Rest der Geschichte frei erfunden ist.
Zum Thema Inhaltshinweise/CN/Triggerwarnungen in den Adventüden bitte hier lesen.
Nachdem viele Teilnehmer*innen und Leser*innen das Fetten der vorgegebenen Wörter als störend empfunden haben, wurde darauf verzichtet. In einem Text, der maximal 300 Wörter umfassen durfte, waren (mindestens) drei der folgenden fünfzehn Begriffe zu verwenden:
Etikett, Gin, Käsekuchen, Kuscheldecke, Lebkuchen, Lichtermeer, Märchenbuch, Minnesang, Nebelschwaden, Schlittenfahrt, Semmelknödel, Streicheleinheiten, Wichtel, Wunschpunsch, Zugvogel
Dieser Text erschien zuerst im Rahmen der Adventüden 2020, einem Projekt von »Irgendwas ist immer«.