Frau Meyer hat einen Hals | Etüdensommerpausenintermezzo 2

Dieser Tag würde nicht ihr Lieblingstag werden, das wurde ihr schon morgens klar. Hatte der Sturm in der Nacht doch ihre drei Meter hohe Lieblingssonnenblume im Vorgarten geköpft! Sie nahm das persönlich. Scheißwind! Blöder Frühherbst! Frustriert erwog sie, das Büroradio, das nur dümmliche Sommerhits spielte, auf Klassik umzustellen. Und überhaupt, die Temperaturen! Selbst die Wetterfrösche zuckten bei der Frage nach besseren Aussichten nur die Achseln und bliesen Trübsal.

Mittags kam ihr Essen natürlich zuletzt und sie musste es fast herunterschlingen, sie wollte ja nicht, dass die wartenden Kollegen ihr auf den Teller starrten. Aus purem Verdruss spendierte sie später dem Labrador der nervigen Bürotratschtante ihren letzten Schokokeks und wünschte ihm Durchfall, Verstopfung oder beides. Sicherheitshalber schloss sie die Tür, dass er nicht ihr Büro vollpupsen konnte, sie brauchte heute nicht auch noch Stinkbombenalarm.
Zu Hause angekommen erwartete sie eine Urlaubskarte in Form einer Flaschenpost. Ihr Herr Sohn weilte mit Familie an der Nordsee, da fand man das offensichtlich witzig. Liebe Grüße in geschmacklosem, hirnlosem Plastik in Flachmannform mit Korkverschluss. Sie schnaubte und hätte am liebsten geschrien.

Draußen hatte die Sonne einen grandiosen Abgang in allen Rot- und Orangetönen hingelegt. Samtig und sternklar wölbte sich der Nachthimmel. Sie schlief entspannt. Endlich.

 

drabblemezzo 2 | 365tageasatzadayVisuals: ludwigzeidler.de

 

Zum Abschluss schulde ich euch noch das Double-Drabble für mein Etüdensommerpausenintermezzo 2. Aber dazu braucht es vielleicht einige Erklärungen.

Ich habe keine Ahnung, ob man nur im Norden „soooo einen (dicken) Hals“ hat. Die Bedeutung kann man jedenfalls hier nachlesen.

Besagte Flaschenpost bekommt man hier an den Landungsbrücken und tatsächlich oft an der Nordsee, oft bunt bedruckt. Sicher für manche Gelegenheiten eine witzige Idee. Bild der Puristenform hier.

Und ja, ich weiß, dass Hunde keine Schokolade bekommen dürfen! Daher erkläre ich hiermit feierlich, dass beim Schreiben und im Verlauf dieser Geschichte kein Hund zu Schaden kam, und dass besagter Labrador einen Schokokeks (es ist ja noch nicht mal reine Schokolade und sicherlich ist der Theobromin-Anteil nicht hoch) lächelnd verdrücken kann und gern noch einen zweiten verdrückt und verträgt.

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Aber – Mutter??? | Etüdensommerpausenintermezzo 2

Jedes Jahr stand sie am gleichen Augusttag vor der Tür. Oma. Am Freitag nach dem Geburtstag der Zwillinge, denn am Samstag stiegen alle in das Auto und fuhren an die See. Es gab Krabbenbrötchen und das erste Bier für Papa (ab da fuhr Mama), dann gingen sie für mehrere Stunden an den Strand, schwammen oder sonnten sich oder rannten herum, später kehrten sie in einem Landgasthof ein, der für verboten gute, selbst gebackene Torten berühmt war, und schließlich juckelten sie heim. Und am Sonntag brachten sie Oma zurück.
Jedes Jahr. Auch wenn aus der Kür längst schon viel Pflicht geworden war. Man sah sich ja auch sonst nicht mehr so oft.

Dieses Jahr hatte Oma angerufen, dass sie sich den Fuß auf der Treppe verknackst hätte und nicht laufen könne. Nun packten die Zwillinge ein Care-Paket für sie.

„Gute Idee“, sagte Mama, „sie bläst todsicher Trübsal, wenn sie herumliegen muss. Was soll denn rein?“
Schokokekse!“
„Die werden aber leicht zerdrückt.“
„Wir tun die in eine Flasche mit einem ganz breiten Hals. So eine Art süße Flaschenpost.“ Sie kicherten albern. Teenies. „Und die Sonnenblumen im Garten haben wir auch fotografiert und ausgedruckt. Ist bestimmt gut für die Laune.“

Als sie bei ihr ankamen, öffnete Oma nicht. Die herausgeklingelte Nachbarin gab ihnen einen Brief.
„Sie hat gemeint, da stünde alles drin. Ist nichts Schlimmes.“

Ihr Lieben! Macht euch bitte keine Sorgen, mir und meinem Fuß geht es gut. Wenn ihr dies lest, bin ich bis Montagabend weg. Ich habe nämlich einen netten Mann kennengelernt, den will ich mir übers Wochenende näher anschauen. Es gab leider nur diesen Termin. Ich gehe bis dahin nicht ans Handy! Claudia, guck nicht so, das gibt Falten.

Es waren natürlich die Zwillinge, die als erste einander lachend High five gaben und altklug „Pflaster für die Seele“ murmelten.

 

drabblemezzo 3 | 365tageasatzadayVisuals: ludwigzeidler.de

 

Mein erstes Triple-Drabble ever, und natürlich für das Etüdensommerpausenintermezzo! Ich finde es echt erstaunlich, was man in 300 Wörtern alles so erzählen kann. Und weil mir das Schreiben zugleich auch noch einen Ohrwurm beschert hat, hänge ich den mal gleich mit an. Schönen Sonntag euch!

 

 

 

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Profilneurose | Etüdensommerpausenintermezzo 2

Der Käfer war nicht von seinem Vorhaben abzubringen. „Ihr glaubt doch nicht im Ernst, wenn die Leute eine Flaschenpost mit mir drin und mit einer Sonnenblume dran sehen, die im See schaukelt, dass sie die nicht rausziehen würden? Dann komme ich bestimmt ins Fernsehen und werde endlich berühmt!“

Leider erwies sich die Sonnenblume als zu schwer für die Flasche, die kippte und unspektakulär im Wasser herumdümpelte. Als auch noch Wasser eindrang, musste er endgültig akzeptieren, dass nichts so laufen würde wie geplant. Schließlich retteten seine Kumpels den Halbertrunkenen, worauf der ohne ein Wort des Dankes erneut in finsterste Trübsal versank.

 

drabblemezzo 1 | 365tageasatzadayVisuals: ludwigzeidler.de

 

Klarer Fall von „dumm gelaufen“. Tja. So kanns gehen.  🙂
Kleiner Drabble-Nonsens zum Dienstag für das Etüdensommerpausenintermezzo 2.

 

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Etüdensommerpausenintermezzo 2 – es drabbelt!

Hallo, liebe Etüden-Verrückte und sonstige Mitleser-/innen und -schreiberinnen, habt ihr euch in den letzten beiden Wochen genug ausgetobt, längenmäßig gesehen? Wer gern noch mal nachlesen möchte, was alles so zusammengekommen ist, findet hier eine Übersicht.

Die Schreibanregung für die nächsten beiden Wochen ist dafür wieder ganz anders: Schreibt ein Drabble, ein Double-Drabble oder ein Triple-Drabble (oder gern auch alle drei) und baut (na klar!) ein paar Wörter ein. Wie, was, wo … Ägyyyyyyyypppptennn? Kommt jetzt.

Ein Drabble ist eine kleine Geschichte, die aus GENAU 100 Wörtern besteht, das ist der Witz daran. 100 Wörter (ohne Überschrift). Keins mehr, keins weniger. Wörter ZÄHLT man übrigens über 1. Word, 2. jegliches Schreibprogramm sonst, 3. WordPress, jedenfalls am PC (links unten unter dem Eingabefeld, da steht bei mir „Anzahl der Wörter im Text:“ und dann eine Zahl), 4. von Hand, was ich völlig frustrierend finde und daher ablehne.
Mein ernst gemeinter Appell an euch: Behumpst euch nicht selbst, der Spaß daran ist die Zahl. Schafft ihr es, eine Geschichte in genau 100 Wörtern zu erzählen?

Dies wären nicht die Etüden, auch wenn es „nur“ das Etüdensommerpausenintermezzo 2 ist, wenn es keine Wörter gäbe, die eingebaut werden sollten. Und Drabbles (100 Wörter) gibt es auch als Double-Drabbles (200 Wörter) und Triple-Drabbles (300 Wörter). Also habe ich mir Folgendes vorgestellt, es soll ja nicht langweilig werden:

Schreibt eine Geschichte in Form eines …

Drabble: Bringt diese 3 Wörter in 100 Wörtern (gezählt ohne Überschrift) unter. 100 Wörter, keins mehr, keins weniger.

Flaschenpost
Trübsal
Sonnenblume.

 

Double-Drabble: Bringt diese 4 Wörter in 200 Wörtern (gezählt ohne Überschrift) unter. 200 Wörter, keins mehr, keins weniger.

Flaschenpost
Trübsal
Sonnenblume
Schokokeks.

 

Triple-Drabble: Bringt diese 5 Wörter in 300 Wörtern (gezählt ohne Überschrift) unter. 300 Wörter, keins mehr, keins weniger.

Flaschenpost
Trübsal
Sonnenblume
Schokokeks
Pflaster.

 

Selbstverständlich könnt ihr so oft mitmachen, wie ihr wollt, gerne natürlich auch mehrmals pro Drabble-Kategorie. Selbstverständlich stammen die Illustrationen dazu (eine pro Drabble-Kategorie) wieder aus der Feder/dem Computer des freundlichen Herrn lz. (danke, Ludwig!). Nicht selbstverständlich ist, dass ihr wieder zwei Wochen Zeit habt, aber schließlich ist das hier ein Intermezzo, „the real thing“ kommt dann wieder Anfang September, und zwar am Sonntag, den 3. Ach so, selbstverständlich bitte wieder hierhin verlinken/verpingen.
War’s das? Glaub schon.
Viel Spaß!  😀

 

DRABBLE

drabblemezzo 1 | 365tageasatzaday

DOUBLE-DRABBLE

drabblemezzo 2 | 365tageasatzaday

TRIPLE-DRABBLE

drabblemezzo 3 | 365tageasatzadayVisuals: ludwigzeidler.de

 

 

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Der Wassermaler, Teil II | Etüdensommerpausenintermezzo

Willkommen bei der zweiten Hälfte meines Etüdensommerpausenintermezzos! Es ist die etwas längere Hälfte *hust* – man sollte mir keine Zeit geben, etwas zu überarbeiten, dann findet sich Halbsatz nach Halbsatz ein … Immerhin habe ich nichts mehr wirklich umgeschrieben!  🙂

(Es geht in diesem Intermezzo darum, folgende Wörter in einen Text beliebiger Länge, in dem REGEN irgendwie eine Rolle spielen muss, einzubauen: Badelatschen, Hitzefrei, Höhenfeuer, Liegestuhl, Qualle, Qualm, Schwimmflügel, Sommersprossen, Ventilator, Wassermaler.)

Falls ihr den ersten Teil nicht gelesen habt, solltet/könnt ihr das hier nachholen. So endet der erste Teil:

… Er beschattete mit der Hand die Augen und konzentrierte sich. Da war doch im Tiefen, ein Stück jenseits der Absperrung, eine Badekappe mit einem rosa Schwimmring, oder täuschte er sich? Ihm war gar nicht bewusst, dass er sich in Bewegung gesetzt hatte, als er schon zu der Station der Rettungsschwimmer rannte. Mick und sein Kumpel sahen durch ihre Ferngläser in die Richtung, in die er nach Luft ringend deutete, einer rief „Oh, Scheiße“ und griff nach seinem Funkgerät. Wenige Sekunden später sahen sie einen der Wachgänger ins Wasser rennen und zügig loskraulen.

 

Das Schlimmste war dieses quälende Gefühl des Vorherwissens, was weiter geschehen würde. Die Erinnerung überflutete ihn wieder, er wollte lieber nicht hinsehen, konnte sich aber nicht zurückhalten und wappnete sich irgendwie für das Schlimmste, während er den Weg des Rettungsschwimmers verfolgte. Zu seinem Glück bemerkte er aber noch rechtzeitig, dass an seinem Stand ein Ehepaar darauf wartete, dass er auftauchte, also überließ er das Geschehen halb widerwillig, halb erleichtert dann doch den Profis und ging hin – er konnte es sich nicht leisten, potenzielle Kunden zu ignorieren. Und wirklich, heute war ein guter Tag, sie nahmen zwei Bilder zu einem sehr akzeptablen Preis.
Nachdem sie abgezogen waren und er sich sofort wieder den Hals nach dem Geschehen am Strand verrenkte, sah er lediglich den DLRG-Jüngling mit einem Kind auf dem Arm und dem rosa Schwimmring in der Hand langsam über den Strand wandern und sich seinen Weg zwischen Schirmen und Handtüchern hindurch bahnen. Gott sei Dank. Er atmete tief durch und fühlte sich plötzlich schlapp wie ein angepikter Luftballon und ein bisschen albern. Nichts war passiert, anscheinend, sonst wäre da jetzt die Hölle los.
Alles nur Kino in seinem Kopf.
Schlechtes.
Und ob das Kind die Nicht-Marie war, brauchte ihn jetzt auch nicht mehr zu kümmern. Noch mehr Kids hatten rosa Schwimmringe.
Er beschloss zusammenzupacken und heimzugehen, es sah inzwischen verdammt nach Regen aus, und zwar bald. Genug Aufregung für heute. Schade nur um das Feuerwerk.

 

Sonntag

„Die Rettungsschwimmer haben gesagt, ich solle mich bei dem Wassermaler bedanken, wenn überhaupt, sie hätten nur ihre Pflicht getan und würden nichts dafür annehmen. Das waren doch Sie? Gestern?“
Er sah überrascht von seinem Buch hoch und schob die Lesebrille über den Haarkranz. Kein Wetter zum Malen heute; nach dem Regen, der fast die ganze Nacht über heruntergerauscht war, war es unbeständig und schwül-warm. Aber ihn hielt nichts im Haus, schlechtes Wetter schon mal gar nicht, also hatte er beschlossen, wie jeden Tag zur Seepromenade zu kommen und an der frischen Luft einen Espresso zu trinken. Für alle Fälle lag seine Skizzenkladde neben ihm.

Natürlich erkannte er sie sofort. Die Mutter des Mädchens, das bestimmt nicht Marie hieß. Sie war es also doch gewesen! Heute trug sie einen knallroten Rock und darüber ein schwarzes, ärmelloses Top, das verkündete, sie stünde mit beiden Beinen fest im Glitzer. Na dann.
„War ich“, sagte er, stand auf und streckte ihr die Hand hin, „darf ich mich vorstellen, mein Name ist Max Hansen. Sagen Sie Max.“ Sie ergriff sie.
„Helene Matthies, und sagen Sie bloß nicht Helene, so nennt mich nur meine Oma. Ich bin Lena.“
„Setzen Sie sich, Lena, und trinken Sie einen Kaffee mit mir.“
Ein schneller Blick auf die Uhr.
„Ja, gern.“
„Wie geht es Ihrer Tochter, hat sie den Schreck überstanden? Wie konnte sie überhaupt ins offene Wasser geraten?“
Lena seufzte.
„Lilli behauptet, und ich sage nicht, dass ich ihr das so glaube, dass sie gar nicht bemerkt hätte, dass sie schon jenseits der Absperrung war. Außerdem wären auch noch andere Kinder dabei gewesen, zumindest am Anfang. Und sowieso hätte sie alles voll unter Kontrolle gehabt und sie verstünde gar nicht, warum ich mich jetzt so aufregen würde. Ehrlich gesagt halte ich das mit der Absperrung für einen Fall von ‚Das Gras ist auf der anderen Seite vom Zaun grüner.‘.“
Er lachte los, er konnte sich nicht zurückhalten.
„Sie lachen“, sagte sie und grinste dabei auch ein bisschen schief, „okay, der Rettungsschwimmer, der sie gestern zurückgebracht hat, hat ihr einiges über ‚ablandigen Wind‘, ‚Sog‘, ‚gefährlich‘ und ’sich nicht überschätzen‘ erzählt. Sie findet ihn total toll und will jetzt auch Rettungsschwimmerin werden. Immerhin will sie ihn nicht gleich heiraten. Ich frage mich, was das erst gibt, wenn sie in die Pubertät kommt.“ Sie verdrehte gespielt genervt die Augen.
„Aber Sie hätten das Gezeter gestern Abend hören sollen, weil das Höhenfeuer ausfiel! Wo sie mir schließlich abgetrotzt hatte, dass sie so lange aufbleiben durfte, wegen Ferien und so! Als ob ich gemacht hätte, dass es zur Strafe regnet und das Feuerwerk nicht stattfindet! Und heute Morgen hat sie die ganze Zeit gequengelt, dass ich ihr doch jetzt nicht etwa verbieten würde, zum Schwimmkurs zu gehen, wo sie doch jetzt schon richtig gut wäre. Hatte ich nie vor, muss ich sagen, ich bin ja heilfroh, dass sie so easy schwimmen lernt und Spaß hat. Und überhaupt, meint sie, das gestern sei doch nur ein kleines Missgeschick gewesen. Manchmal frage ich mich, woher sie mit sieben so viele Wörter kennt. Von mir hat sie das nicht.“

„Finde ich gut, dass sie sofort wieder ins Wasser will, das ist wichtig“, sagte er. „Marie, also meine Tochter, war auch so. Nicht aus dem Wasser zu kriegen, nachdem sie erst mal damit vertraut geworden war.“
„War?“, fragte Lena behutsam. Eine Pause entstand, in der er kurz überlegte, ob es fair war, sie mit seinem Kummer zu belasten. Ach, warum nicht.
„Ein Segelunfall“, platzte er heftiger als beabsichtigt damit heraus, „als sie acht Jahre alt war. Der Jüngsten-Segelschein. Auch so ein Kurs, bei dem nie was passiert, wie diese Seepferdchenkurse. Eine plötzliche Windböe, drei Optimistenjollen rasseln zusammen und kentern, ein Kind gerät unglücklich unter Wasser und kann nicht rechtzeitig wiederbelebt werden …
Es ist jetzt gut zehn Jahre her, aber es verfolgt mich manchmal noch immer in den Schlaf. Und Ihre Lilli sieht ihr ähnlich, das muss ich zu meiner Verteidigung sagen.“
„Oh Gott, wie furchtbar!“, stieß sie hervor. „Das muss schrecklich gewesen sein! Entschuldigen Sie bitte, dass ich gefragt habe, ich wollte gewiss keine bösen Erinnerungen aufrühren. Ich wüsste nicht, was ich täte, wenn Lilli etwas passieren würde. Seit Lillis Vater uns verlassen hat, habe ich nur noch sie.“
Er nickte.
„Ging uns damals auch so. Meine Frau und ich, wir sind beide auf unsere Art damit nicht fertiggeworden. Ich dachte, ich müsste ihr den starken Mann vorspielen und war dabei vielleicht mindestens ebenso bedürftig wie sie, nur halt anders. Habe ihr ständig erzählt, dass sie nach vorn blicken müsste. Und als sie es dann endlich konnte, bin ich eingeknickt und habe sie hängen lassen, weil ich nicht dazu fähig war. Eineinhalb Jahre nach dem Unfall haben wir uns getrennt. Es ging nicht mehr. Ich bin hierher zurückgekommen, weil ich nicht weit weg geboren bin und es dort bei ihr nicht mehr ausgehalten habe.“
Er atmete tief durch und zwang den letzten Schluck kalten Espresso hinunter.
„Hört sich schlimm an, ich weiß, war auch schlimm. Inzwischen geht es mir wieder einigermaßen. Die Zwischenstadien erspare ich Ihnen. Aber so ist dann ganz langsam ein etwas kauziger Wassermaler aus mir geworden.“

Sie schwiegen beide. Er las in ihren Augen, dass er ihr irgendwie leidtat. Na ja, das war normal. War es auch normal, dass er sich irgendwie befreit fühlte, wie von einer Last? Er sprach selten über Marie, und schon gar nicht mit Fremden.
Auf jeden Fall war es ein gutes Gefühl.
„Es ist mir schrecklich peinlich, ausgerechnet jetzt aufbrechen zu müssen“, sagte Lena, „aber in zehn Minuten ist Lillis Seepferdchenkurs aus, und danach bin ich mit ihr bei der Rettungsschwimmer-Station verabredet, weil sie sich bedanken und natürlich schauen will, ob ihr Held von gestern heute auch da ist. Wollen Sie mitkommen? Lilli freut sich. Sie hat gestern nämlich bestimmt dreimal gefragt, ob das auch ganz sicher Sie gewesen wären.“

Früher hätte er abgelehnt, hätte die Situation irgendwie komisch oder doof gefunden und keinem zur Last fallen wollen. Aber auch ein alter Esel konnte lernen.
So nickte und lächelte er und erwiderte schon im Aufstehen: „Wissen Sie was? Die Rettungsschwimmer arbeiten alle ehrenamtlich für ’n Appel und ’n Ei, aber ich kann Ihnen verraten, dass das Café, vor dem wir gerade sitzen, verdammt guten Kuchen hat. Wenn Sie also eine Runde ausgeben wollen, hier böte sich eine gute Gelegenheit. Ich helfe Ihnen gerne tragen.“

ENDE

 

Na, alle noch da? Oder hab ich euch breit gequasselt? Geschieht euch recht!  😀

 

intermezzo 3 | 365tageasatzadayVisuals: ludwigzeidler.de

 

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Der Wassermaler, Teil I | Etüdensommerpausenintermezzo

Als ich euch zu dem Etüdensommerpausenintermezzo aufgerufen habe, liebe Etüden-Fans und -mitschreiber/innen, wusste ich zwar, dass ich die Beschränkung auf 10 Sätze satthatte, dass sich aber dann in meinen Text gefühlt quasi alle in den vergangenen Monaten „eingesparten“ Sätze hineindrängeln würden, war auch für mich eine Überraschung. Daher habe ich beschlossen, diesen Text zu teilen, denn, bei aller Liebe, er hat wirklich einen stolzen Umfang für einen Blogbeitrag.

Zur Erinnerung: Es geht im Intermezzo darum, folgende Wörter in einen Text beliebiger Länge, in dem REGEN irgendwie eine Rolle spielen muss, einzubauen: Badelatschen, Hitzefrei, Höhenfeuer, Liegestuhl, Qualle, Qualm, Schwimmflügel, Sommersprossen, Ventilator, Wassermaler.

Der Wassermaler

 

Donnerstag

„Was machst du da?“ krähte es fröhlich vor ihm. Er schreckte auf. Sommersprossen, Pippi-Langstrumpf-Zöpfe, Zahnlücke, Glitzer-T-Shirt mit Regenbogen-Einhorn, das Schmetterlinge pupste. Rosa!
Aua.
„Ich male das Wasser“, erklärte er und ließ den Pinsel sinken.
„Mama fotografiert das Wasser mit dem Handy“, erklärte sie wichtig.
Er seufzte. Ja, klar.
„Das machen die meisten“, antwortete er.
„Und warum du nicht?“
„Weil ich gut malen kann, aber nicht gut fotografieren.“
Sie stellte sich so dicht neben ihn, dass er die Sonnencreme riechen konnte, mit der sie offensichtlich eingeschmiert war, und betrachtete seine Skizze kritisch.
„Finde ich nicht“, entschied sie dann. „Ich muss jetzt! Tschüss!“
Und weg war sie. Er sah ihr nach, wie sie in ihren Badelatschen die Seepromenade entlangrannte, dass es nur so klatschte, und musste grinsen. Freche kleine Krabbe. Wie alt mochte sie sein?

Als er am Abend seine Sachen zusammenpackte, stand sie plötzlich wieder vor ihm.
„Guck mal, Mama, der Wassermaler ist noch da!“
Mama war eindeutig die größere Ausgabe. Sommersprossen, Locken, pinkfarbenes T-Shirt, auf dem Mit ein bisschen Glitzer geht alles stand, ziemlich kurzer Rock, rosa lackierte Fußnägel. Maximal Anfang vierzig. Eine große Strandtasche, aus der ein rosa Schwimmring und eine Wasserflasche ragten, lag über ihrer Schulter. Seine Lebensgeister hoben sich und er lächelte sie an.
„Guten Abend“, sagte sie. „Ich hoffe, meine Tochter hat Sie nicht genervt?“
Er schüttelte den Kopf.
„Wenn sie das hätte, hätte ich mit Glitzer geschmissen.“
Sie lachte.
„Psst. Wir sind in einer Einhorn-Phase. Sagen Sie bloß nichts gegen Einhörner. Haben Sie mitbekommen, dass es am Strand heute Quallen-Alarm gab? Sie war mittendrin. Zum Glück ist ihr nichts passiert. Sie lernt gerade schwimmen.“
Er schüttelte den Kopf, überlegte, was er Kluges sagen konnte. Sein Hals war plötzlich wie zugeschnürt.
„Kommst du, Mama?“ rief das Mädchen, das schon vorgegangen war. „Ich hab Hunger!“
Sie nickte ihm zu.
„Na dann! Schönen Abend noch!“
Er sah beiden nach. Schwimmen lernte sie! Es zog in seinem Herz. Die Kleine sah fast aus wie Marie.

 

Freitag

Am nächsten Tag schlug das Wetter um. Der Wind frischte auf, die Wellen wurden rauer, er fand es nicht mehr so drückend und war froh darüber. Er war trotzdem den ganzen Tag draußen gewesen, hatte fast an der gleichen Stelle gesessen und gemalt, aber weder Mutter noch Tochter ließen sich blicken. Na ja, vermutlich war Bettenwechsel oder so etwas. Die Richtung, in die die beiden abgezogen waren, ließ auf eine der großen Bettenburgen schließen. Waren jetzt eigentlich noch Schulferien? Früher hätte er es gewusst.
Ach, die Erinnerungen. Das würde kein erfreulicher Abend werden.

 

Samstag

Als er wieder wach wurde, dröhnte ihm der Schädel und sein Magen hing auf halbmast. Die Flasche Rotwein am Abend zuvor hatte mehr Verwüstungen angerichtet, als ihm lieb war, stellte er fest, und dass man nicht jünger wurde, war jenseits der Fünfzig auch kein Geheimnis mehr. War nur ihm so warm oder war es schon wieder heiß? Er schüttelte die Albträume ab und trat auf den Balkon.
Gleißendes Sonnenlicht empfing ihn. Oha. Er blinzelte. Heute würden die Temperaturen richtig hochschnellen und der Strand sich bis zum letzten Handtuch füllen. Wenn das Wetter sogar bis abends hielt, brauchte sich auch das Höhenfeuerwerk nicht um Zuschauer zu sorgen, das wie an jedem ersten Samstag in den Sommermonaten am späten Abend den Himmel erhellen würde. Die Schau- und Trinklustigen, die an den Ständen an der Promenade und am Ostseestrand den einen oder anderen Euro ließen, waren eine wichtige Einnahmequelle für die Kleinstadt. Bei schlechteren Wetterbedingungen konnte es hingegen durchaus passieren, dass es den Qualm bis zu ihm wehte. Aber egal, an der See war schließlich fast immer Wind. Er warf die Kaffeemaschine und den Ventilator an, schüttelte das Bett auf und ließ die Balkontüren weit offen, um den Geruch der Nacht zu verjagen. Dann ging er gähnend erst einmal unter die Dusche. Heute würde er nicht malen, heute würde er verkaufen. Hoffentlich. Hitzefrei kannte er als Wassermaler sowieso nicht. Wassermaler. Der Name gefiel ihm immer besser.

Es lief ganz gut. Es lief sogar so gut, dass er sich am frühen Nachmittag, als eh fast keiner unterwegs war, weil nämlich kluge Leute zu diesem Zeitpunkt Siesta hielten, einen Liegestuhl und einen Iced Coffee Irgendwas leistete und müßig das Treiben an und im Wasser beobachtete. Vor ihm erstreckte sich der Badestrand, ein Gewimmel aus Schirmen und Decken. Schlagermusik wehte zu ihm herüber, und er pries sein Glück, weit weg von deren Quelle zu sein. Auch das Wasser war belebt, in der Nähe der Absperrung zum offenen Wasser sah er lauter bunte Badekappen und Schwimmflügel oder Schwimmringe, die wie Entenküken um ihre Mutter herumwuselten. Vermutlich ein Schwimmkurs für Kinder. Die zwei Entenmütter schienen hier rote Badekappen zu tragen. Wieder durchzuckte ihn der Gedanke an Marie und an das Mädchen, das ihr so ähnlich sah, dann schob er ihn energisch weg und döste ein.

Ein Windstoß weckte ihn. Von fern glaubte er, einen Donner zu hören. Bei der Wolkenwand, die sich im Westen unterdessen aufgebaut hatte, war das nicht unwahrscheinlich. Er ließ seinen Blick über das Wasser schweifen. Aha, die Wasserwacht hatte schon mal die gelbe Flagge aufgezogen, die rechneten also mit Ärger. Vermutlich war sein Freund Mick heute im Einsatz, der war routiniert und ging kein Risiko ein.
Die Entenküken waren auch alle verschwunden … halt! Er beschattete mit der Hand die Augen und konzentrierte sich. Da war doch im Tiefen, ein Stück jenseits der Absperrung, eine Badekappe mit einem rosa Schwimmring, oder täuschte er sich? Ihm war gar nicht bewusst, dass er sich in Bewegung gesetzt hatte, als er schon zu der Station der Rettungsschwimmer rannte. Mick und sein Kumpel sahen durch ihre Ferngläser in die Richtung, in die er nach Luft ringend deutete, einer rief „Oh, Scheiße“ und griff nach seinem Funkgerät. Wenige Sekunden später sahen sie einen der Wachgänger ins Wasser rennen und zügig loskraulen.

Ende des ersten Teils

 

So, ihr Lieben. Lest am Dienstag wieder rein (morgen gibt es das Montagsgedicht, Traditionen möchten gepflegt werden), um zu erfahren, ob es Tote gibt, wer eigentlich Marie ist und wie happy das Ende wird. Bis dahin freue ich mich wie immer auf eure Kommentare.
Schönen Sonntag!

Update: Weiterlesen? HIER.

 

intermezzo 3 | 365tageasatzadayVisuals: ludwigzeidler.de

 

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Etüdensommerpausenintermezzo

Ich steh ja nun auf Etüden („Fingerübungen“), speziell die abc.etüden, was keinen überraschen dürfte, wohnen sie doch schließlich bei mir. Wenn man aber zu lange seine Gedanken immer nur in 10 Sätzen ausdrückt, dann bekommt man einen Etüdenkoller. Oder so. Also ich jedenfalls.

Was liegt also näher, als 1. die Etüden in die Sommerfrische zu schicken und 2. euch, liebe Mitschreiber/innen und Mitleser/innen zu einem Schreibintermezzo einzuladen?

In der letzten Schreibeinladung hatte ich euch aufgerufen, mir „Sommerwörter“ zu schenken. Ich habe gemeinerweise nicht dazugeschrieben, dass ich nur 8 brauchte (+ einem von dem Herrn Illustrator + einem von mir) und daher auf jeden Fall auswählen würde. Seid also bitte nicht enttäuscht, wenn es euer Wort nicht unter die Top 8 geschafft hat, ich habe versucht, einen Bogen zu spannen. Gerda, ich hätte deine „Zikadenmusik“ echt gern genommen, aber du warst zu spät dran 😦

Was sollt ihr tun? Ihr schnappt euch die folgenden 10 Wörter und bringt sie alle! in einem Text unter. Egal, wie lang oder wie kurz der ist, wie düster oder wie heiter, in welcher Welt er spielt, einzige Zusatzbedingung: In dem Text spielt Regen eine Rolle. Mir ist völlig egal, ob es wirklich regnet oder ob der Regen nur herbeigesehnt (oder gefürchtet, klar) wird. Regen. Ich will Regen!

Die Wörter in alphabetischer Reihenfolge:

Badelatschen
Hitzefrei
Höhenfeuer
Liegestuhl
Qualle
Qualm
Schwimmflügel
Sommersprossen
Ventilator
Wassermaler

 

Zeit: Ihr habt zwei Wochen, nicht nur eine wie sonst. Der Herr lz. hat wieder ein paar Illustrationen gezaubert, damit ihr auswählen könnt und/oder mehr als ein Bild habt, falls ihr mehrere Texte schreibt, kann man ja nie wissen.
Und bitte wie immer hierhin verlinken, ich bin doch schon soooooooo gespannt!!!

Das mit dem Regen hat übrigens auch noch einen anderen Grund, aber dazu erzähl ich euch spätestens Mitte der Woche was …

Wenn ihr wissen wollt, wann es wieder „richtig“ weitergeht: Die nächste Etüden-Runde startet mit der Ausgabe der neuen Wörter für die abc.Etüden Anfang September, und zwar am Sonntag, den 3. September für die Textwoche 36.17.

Los? Los!

 

intermezzo 1 | 365tageasatzaday

 

intermezzo 2 | 365tageasatzaday

 

intermezzo 3 | 365tageasatzaday

 

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Wie Fuchs und Hase keine Freunde wurden

Der Hase schreckte durch ein schrilles Geräusch auf. Ein Signal? Hatte er etwa verpennt, dass die anderen zum Ostereier-Verteilen loszogen?!? Er raste über Berg und Tal zum Sammelplatz. Dort aber schlich nur ein hungriger Fuchs herum.
„Wo sind …?“
„Dummes Karnickel! Ostern ist erst in zwei Wochen“, sagte der. „Aber das wirst du leider nicht mehr erleben.“
Plötzlich sah der Hase einen Schatten bedrohlich aufragen. „Hinter dir!“ rief er. „Rette dich!“
„Darauf falle ich nicht rein“, sagte der Fuchs und sprang. Das Gewehr des Jägers knallte, und der Fuchs war mausetot.
Ziemlich fertig mit der Welt hoppelte der Hase heim.

 

Fuchs und Hase | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

Die Aufgabe

„Sag’s mit 100 Worten“ fordert Tante Tex in ihrer aktuellen Schreibaufgabe zum Story-Samstag, „schreibt ein Drabble“, und erklärt:

Ein Drabble ist eine meist pointierte Geschichte, die aus exakt 100 Wörtern bestehen muss. Dabei wird die Überschrift nicht mitgezählt.

Aha?! Oha. Nun denn. Großartig. Ich hab so was in der Art schon mal gemacht, 10 Worte in 1500 Zeichen und als Brief. Widerlicher Zählkram.  😉
Einzubauen waren außerdem: Hase, Berg, Geräusch. Irgendwo muss die Richtung ja herkommen; HASE drängte mich in Richtung Osterhase, und BERG sowie GERÄUSCH unterstützten das.
Ich mag Oster-Kitsch nicht so. Also hatte ich anfangs ernsthaft überlegt, das hinterher alle tot wären, aber dann fand ich das doch unfair dem Häschen gegenüber.

Diese Drabbleparade scheint vom Tuschenputtel losgetreten worden zu sein, die auch wissen möchte, wo sich ihre Parade gerade so herumtreibt. Herzlichen Dank für die Idee, es hat großen Spaß gemacht.

Weiter geht die Parade!

Ich möchte keinen nominieren, aber ich hätte drei neue Wörter für euch, falls jemand sie aufgreifen mag: Frühlingsgefühle, schillernd, Trommel.

  1. Schreibt einen Text, der genau 100 Worte hat (ein Drabble eben), in dem die drei Worte vorkommen.
  2. Verlinkt zu mir (dieser Beitrag) und zum Beitrag vom Tuschenputtel.
  3. Denkt euch drei neue Worte aus.
  4. Falls ihr Blogs nominieren möchtet, benachrichtigt die.

Und jetzt viel Spaß euch allen!

 

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Ein Kaff mit K

Wer mich kennt, dem könnte aufgefallen sein, dass mich Aufforderungen wie „Schreibe um diese 3 (5, 10) Begriffe einen Text“ magisch anziehen. So geschehen bei dem neu entdeckten Blog von Tante Tex, die mir mit ihrem Story-Samstag sogar ein kontinuierliches Vergnügen verspricht.

Einzubauen waren nur drei von fünf, wie mir dann später auffiel. Ziel übererfüllt. Ich nun wieder.
Die Wörter waren: Nikolaus, Assoziation, Umfrage, Karthago und Orchester; und ich fands sauschwer, zumindest den Anfang.

 

„Sag mir mal eine Stadt mit K …“
„Karthago.“
„… an der Mosel. An der MOSEL! Lass den Asterix liegen, den lese ich gerade!“
„Koblenz. Karthago ist aber viel spannender als dieses Kaff. K wie Kaff. Wofür? Geographie?“
„Hä?“
„Erdkunde. In Quizduell: Rund um die Welt.“ Sie verdreht die Augen.
Nehm ich nie.“
„Schon klar.“ Sie seufzt. Schwestern.
„Nee, Geschichte. Hausaufgabe. Wir sollen einen Mann rausfinden. Stichworte: Bischof und Kardinal, eine Stadt mit K an der Mosel und eine Karte.“
„Wie aufregend.“ Sie zieht einen Flunsch. „Was für eine Karte?“
„Weiß ich doch nicht. Petermann wollte früher los wegen dem Spiel nachher, hat was von ‚Assoziation‘ und ‚ganz leicht‘ gemurmelt und ist abgehauen. Fehlte bloß noch ‚Schwarmintelligenz‘. Kennt man ja. Wir sind dann jedenfalls auch alle weg.“
„Paul hat jetzt Orchesterprobe, sonst könnten wir bei denen mal ’ne Umfrage starten.“
„Ach, immer dein geliebter Paul! Damit uns seine arschcoolen Kumpels von der Bigband wieder sagen, dass Mädchen höchstens gut genug sind, vor der Band zu tanzen? Komm schon! Wer fällt dir ein, wenn du ‚Bischof und Kardinal‘ hörst?“
„Ey, wenn wir alleine sind, ist der ganz anders, echt!“ Sie schmollt ein bisschen. „Mir fällt Ratzi ein, aber der war Papst. Und so modern ist der Petermann nicht.“
„Neee, und so, wie der das gesagt hat, ist irgendein Trick dabei. Kennst ihn ja.“
„Okay, der heilige Nikolaus, der ist Bischof und bekannt und auf jeden Fall ziemlich alt. War der Kardinal? Der kam aus Kleinasien. Wieder K. Hilft das? Wo seid ihr in Geschichte?“
„Mittelalter. Warte mal, ich guck den mal nach.“

Sie beginnt, auf ihrem Smartphone herumzutippen. Zuerst langsam, dann hektisch und kopfschüttelnd.

„Ey, ich fass es nicht! Der hat uns voll verarscht!“
„Wieso?“
„Ich hab’s gefunden, glaube ich. Gegen wen spielen wir heute Abend, mit Herrn Petermann an der Spitze?“
„Cusanus-Gymnasium. Und?“
„Und wer ist Cusanus? Na? Müsstest du doch wissen, Superhirn. Quizduell: Zeugen der Zeit.“
In Quizduell ist sie besser. Viel besser. Und ihre Schwester ist nur neidisch. Sie muss sie nicht erwürgen. „Irgendein Mathematiker, oder?“
„Universalgelehrter, Philosoph, Bischof und Kardinal. Steht hier. Wikipedia. Deutscher Name: Nikolaus von Kues. Und wo liegt Kues, Watson? Ich werde es dir sagen: an der Mosel. Heißt heute Bernkastel-Kues.“
„Da kommt doch Omas Familie her! Da waren wir schon!“
„Ja, im Sommer, furchtbar öde, genau. Die Cusanus-Karte ist jedenfalls eine mittelalterliche Weltkarte. Und stell dir vor, nach dem Typen heißt sogar ein Mondkrater!“

Sie klickt noch ein bisschen rum und fängt an, schallend zu lachen.

„Was?“
„Weißt du, wie der Nachbarkrater von dem Cusanus heißt?“
„Nein.“
„Petermann. Ein Einschlagkrater am nordöstlichen Rand der Mondvorderseite.“ Sie grinst breit. „Tja, da ist bei der Landung von Petermann wohl was schiefgegangen.“
Die Schwester staunt. „Neee, echt jetzt? Krass. Petermann? Warum ist der nicht dort geblieben? Ob die ihn nicht haben wollten? Versteh ich gaaaar nicht.“ Sie kichert.
„Vielleicht sind Bilbo und die Zwerge vorbeigekommen.“
„Hat ein Pittermännchen auf den Tisch gestellt und war dabei? Leider erst nach der Sache mit dem Drachen. Kein Schatzzzzzzz für Peterweis Petermann.“
„Glaubst du, da hätte eins gereicht? Dumm gelaufen, irgendwas ist immer.“ Sie steckt ihr Smartphone weg. „Okay, ich bin durch, lass uns los und sehen, ob sie Pittermännchen und seine Truppe heute wieder auf den Mond schießen.“
„Gib mir zehn Minuten, dann bin ich dabei.“

 

Update: Irgendwann abends ist mir aufgefallen, dass man diese Geschichte als eine Art Weiterführung von „Katastrophenalarm“ ansehen könnte. Ebenfalls zwei Schwestern, ebenfalls ein Typ namens Paul. War nicht geplant. Interessant.

 

Cusanusstift in Bernkastel-Kues 1831. Aquatinta von F. Hegi nach einer Vorlage von Karl Bodmer, handkoloriert.

Cusanusstift in Bernkastel-Kues 1831. Aquatinta von F. Hegi nach einer Vorlage von Karl Bodmer, handkoloriert. (Quelle: Wikimedia Commons)

 

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Katastrophenalarm

Zuerst wollte ich die Geschichte „Mein schönstes Ferienerlebnis“ nennen, aber dann dachte ich, bis die Ironie auffällt, haben alle schon weitergeklickt. Hier ist eine 10-Wort-Geschichte nach dem Aufruf von Tausend, weitere Bedingungen: ein Brief, und nicht länger als 1.500 Zeichen, was prinzipiell betrüblich wenig ist. Aber danke für die Idee, ich hatte echt Spaß.

Die vorgegebenen Worte sind: Schnabel, Zikade, Tau, Esel, Sonnenfinsternis, Eyeliner, Fahrradlenker, Mathe, Paul, Umsatz – das alles wie immer in beliebiger Reihenfolge. 1.500 Zeichen ab jetzt:

 

Liebe Hanna,

hier geht der Punk ab, und natürlich bin ich an allem schuld. Hatte ich dir erzählt, dass ich mir, als Mama den Griechenland-Urlaub gecancelt hat, so ein Insekten-Blechtröten-Geräusch als Klingelton runtergeladen habe? Voll geil. Nervt tierisch. Zikaden in Nordfriesland. YES!

Es fing damit an, dass meine Schwester unbedingt auf dem Esel ins Dorf reiten wollte. Sie kann nicht reiten, du weißt aber auch, dass sie immer im Mittelpunkt stehen will. Warum ist auch klar. Ich glaube, der Idiot heißt Paul und wohnt auf dem Campingplatz. Sie sagt, er ist gut in Mathe und kann ihr Nachhilfe geben, aber nicht mal Mama glaubt das. Das Einzige, was seitdem stark gestiegen ist, ist der Umsatz an Eyeliner im Dorfladen.

Da Mama nicht völlig doof ist, sollte ich mit ins Dorf. Ich also auf dem Fahrrad über die Feldwege, Jule auf dem Esel hinterher. Was passiert? Mein auf super-laut gestelltes Handy geht los, der Esel erschrickt, rennt in mich rein und gibt Gas, ich fliege über den Fahrradlenker, Jule vom Esel und auf mich drauf und … Sonnenfinsternis. Ich glaube, ich war echt paar Minuten weg oder so. Jule ist knapp an der Schnabeltasse vorbeigekommen, die ist übel auf die Fresse geknallt, und ich habe einen fett verstauchten Knöchel. Jetzt hängen wir hier in der Ferienwohnung rum und gucken Uralt-Videos, die Mama ausgegraben hat. Schon mal von Pan Tau gehört? Ich sag jetzt nix.
Der Esel hat übrigens allein heimgefunden.
Regnen tut’s auch. Nur noch drei Tage.

Deine Leonie

 

Esel – 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

Klappspatens Verwandlung

Respekt ist anders. Hinter seinem Rücken bezeichneten sie ihn als Klappspaten. Rudi konnte damit leben. Mit einem Klappspaten kannte er sich wenigstens aus, sehr im Gegensatz zu seinen sogenannten Kumpels. Unter seinen Händen gedieh alles, was wuchs. Schon wahr, er war ein bisschen eigenartig und nicht wie sie. Aber auch das hatte ihn nie gestört. Bis … ja, bis …

Ihr Name war Elin. Sie war die Cousine von Kumpel Magnus, dessen Familie vor ein paar Jahren aus Island eingewandert war. So hatte sich Rudi immer eine Fee vorgestellt: schlank, blond, groß und lieblich. Er hatte sie im Wald getroffen, mit einem eleganten Jagdhund an ihrer Seite, und sie hatte ihn nach Eulen gefragt. Einmal war sie mit ihm und den Kumpels tanzen gegangen. Spätnachts hatte sie die Tanzfläche für sich allein gehabt und sich verträumt  im Licht der Spots hin und her gewiegt, umwabert von dicken Schwaden aus der Nebelmaschine. Ihr Kleid mit dem ausladenden Rock umgab sie wie eine fließende Sahnewolke. Danach hatte er ein Gedicht geschrieben. Aber am nächsten Tag fand er es schwülstig und traute sich nicht, es ihr zu schenken. Sie könnte ja lachen. Und dann müsste er sterben. Ganz bestimmt. Er seufzte bei dem Gedanken. Er war ihr verfallen. Ein hoffnungsloser Fall.

 

Die fünfte Rauhnacht dämmerte schon fast herein, als Rudi den Baum entdeckte, der versteckt in dem verlassenen Garten der Nachbarn stand und gelb blühte. Kurz nach Weihnachten, mitten im Winter, der bisher ungewöhnlich mild gewesen war. Neugierig trat er näher. Am Fuß des Stammes saß ein Zwerg. Jedenfalls war es etwas, was so aussah, wie Rudi sich immer einen Zwerg vorgestellt hatte. Ziemlich klein, ziemlich rundlich, und es trug tatsächlich eine Zipfelmütze. Und roch.

„Guten Abend“, grüßte Rudi höflich.
„Guten Abend“, antwortete der Zwerg. „Du kannst mich also sehen.“ Er klang deprimiert.
„Ja“, sagte Rudi überrascht, „ist das schlimm? Ich habe noch nie einen Zwerg gesehen. Außerdem riechst du nach Pfefferminze.“
„Menschen!“ rief der Zwerg aus. „Zwerge sind keine Gestaltwandler, es hat einen guten Grund, dass ihr uns normalerweise nicht seht, schon mal daran gedacht?“
„Nein“, gab Rudi zu. „Aber was machst du dann hier? Gibt es ein Problem, bei dem ich dir helfen kann?“
Der Zwerg, der Rudi knapp übers Knie reichte, musterte ihn lange und intensiv. Das Ergebnis schien positiv auszufallen, denn er nickte.
„Vielleicht“, sagte er. „Ich stecke in einer furchtbaren Patsche. Schau hier.“ Er wies auf seinen Fuß. Jetzt sah Rudi, was ihm bisher entgangen war. Ein Bein des Zwerges war bis zur Hälfte ein dicker, grauer Klumpen.
„Was ist das?“ fragte Rudi erschrocken.
„Weiß ich nicht“, sagte der Zwerg und klang ziemlich verzweifelt. „Eine Falle vielleicht. Ich bin hineingetreten und ausgerutscht, als ich durch eine unserer geheimen Türen zurückwollte. Es ist sofort fest geworden, ich konnte gerade noch mein Bein losreißen und weglaufen, sonst stünde ich immer noch dort. Jetzt suchen sie mich bestimmt schon, und ich kriege das Zeug nicht ab!“
„Darf ich mal?“ fragte Rudi und beugte sich vor.
„Bitte sehr“, sagte der Zwerg. Rudi klopfte darauf. Hart. Zement? Im Zweifelsfall sogar Blitzzement.
„Tut das weh?“
„Nein“, sagte der Zwerg und zögerte, „es ist nur … ich kann es dir nicht erklären, aber ich kann damit nicht über den normalen Weg zurück, solange das da an meinem Bein ist. Dinge aus deiner Welt und so. Und jetzt kommt die Nacht, sogar eine Rauhnacht, und das heißt, es ist extrem gefährlich für mich, draußen zu sein. Pfefferminze hilft zwar gegen Katzen, heißt es, aber das ist längst nicht alles. Ich muss hier weg!“
Rudi fielen nur Hammer und Meißel ein. Beides konnte er organisieren, aber nicht sofort, von den Unannehmlichkeiten einer derartigen Behandlung mal ganz abgesehen. Außerdem schien die Zeit ja zu drängen.
„Ich könnte bei dir bleiben“, schlug Rudi vor.
„Lieb von dir. Du hast ein gutes Herz.“
„Gibt es keine andere Möglichkeit?“
„Doch“, sagte der Zwerg. „Weißt du, unter was für einem Baum wir hier sitzen?“
Rudi nickte. „Hamamelis. Zaubernuss. Blüht im Winter. Kleine schwarze Samen.“
Der Zwerg sah ihn erstaunt an. „Du kennst dich aus.“
„Ich mag Bäume. Warum fragst du?“
„Ich brauche so einen Samen. Ich habe hier alles abgesucht, aber keinen gefunden.“
„Ich wohne dort drüben“, sagte Rudi und streckte die Hand aus. „Es ist nicht weit. Bleib hier. Ich bin gleich wieder da.“

Es dauerte wirklich nicht lange, bis er schnell atmend angelaufen kam und dem Zwerg die geöffnete Handfläche entgegenstreckte. Fünf Zaubernuss-Samen lagen darin. „Nimm so viele du willst“, sagte er.
Der Zwerg nahm alle. „Ich muss sie kauen“, erklärte er, „und wenn es wirkt, ist der Effekt ziemlich minimalistisch: Ich bin dann einfach weg. Aber falls es klappt, und ich habe es noch nie ausprobiert, dann verdanke ich dir möglicherweise sogar mein Leben. Und dann hast du einen Wunsch frei. Was wünschst du dir?“

Rudi dachte an Elin und an seinen Wunsch, ihr nah zu sein. Er sagte es ihm.
„Du bist verrückt, Mensch“, erwiderte der Zwerg ungläubig, „du hast doch Verwandte, die dich vermissen werden.“
„Keinen einzigen“, antwortete Rudi ernst. „Mach, dass mich ihr Hund mag und dass sie keine Angst vor mir hat. Geht das?“
Der Zwerg sah ihn abschätzend an und nickte schließlich. „Du wirst es bedauern“, stellte er knapp fest. „Aber von meiner Seite gilt der Handel. Wenn alles wie erhofft funktioniert hat, heute um Mitternacht.“
Sie nickten einander feierlich zu. Dann steckte sich der Zwerg den ersten Samen in den Mund, kaute, wartete, darauf den zweiten, den dritten … und war fort.

 

Der letzte Glockenschlag zur Mitternacht war kaum verklungen, als der majestätische Uhu aus dem offenstehenden Fenster herausflog und zielstrebig in die Nacht verschwand. Er zögerte nicht. Er sah sich nicht um. Er wusste, wohin er wollte.

 

Tänzerin – 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

Wer sich fragt, wie man denn auf so was kommt: schaut hier (neu!).
Eigentlich stand hier der Link zu einer Freundschaft zwischen Uhu und Hund auf einer Fotoseite. Da der Link inzwischen ins Nichts führt, habe ich ihn jetzt durch einen Link zu Vox ersetzt (gleiches Thema, ein Bericht über Uhu Hugo und Münsterländerin Ronja), und hoffe, dass der noch ein bisschen aktiv bleibt.

 

Dies ist mein Beitrag zu der neuesten Runde von 10 Wörter eine Geschichte – Blogger schreiben gemeinsam, ausgelobt von Mia Westendstorie mit Wortgeschenken der Karfunkelfee. Folgende Wörter galt es einzubauen: schwülstig | Klappspaten | Rauhnacht | Zaubernuss | Blitzzement | Nebelmaschine | Sahnewolke | Pfefferminze | minimalistisch | Gestaltwandler.

Ich hoffe, ihr lasst euch ein wenig verzaubern. Habt einen guten Tag!

 

Musenlaune im Mondschein

Hurra, Mia hat wieder zu „Blogger schreiben gemeinsam“ gerufen … Ich ging mit der Frage ins Bett, was „Ausstellungskadaver“ eigentlich sind oder sein könnten und erwachte lächelnd mit einem Mutter-Tochter-Gezänke in meinem Kopf 😀

Hier sind die einzubauenden 10 Worte: Raumzeit | Erdbeergelee | Veilchen | Musenlaune | Ausstellungskadaver| Literaturschleuder | Furie | Gurkenhobel | Cremetörtchen | Schlürfen

 

„Ohhhhh, Tim, aber ich kann heute echt nicht weg, du weißt doch, Mama hat gleich hier in der Galerie diese Musenscheiße im Mondschein, und ich muss …“
„Viktoria Emilia Sophie!“ Sie hörte sich schon an wie eine Furie, und sie wusste es. Umgeben von einer deutlichen Veilchenparfümwolke drehte ihre Tochter ihr den Rücken zu, entfernte sich ein paar Schritte über die Terrasse und hob lässig eine manikürte Hand. Hätte noch besser ausgesehen, wenn nicht die Fingernägel von Zeige- und Mittelfinger deutlich ramponiert gewesen wären. Wieder mal in den Gurkenhobel gekommen, was?, dachte Simone hämisch, deine Küchenfertigkeiten solltest du aber noch optimieren, nicht nur deinen Style. Obwohl sie heute bereitwillig geholfen hatte, das musste sie ihr lassen. Sie seufzte. Teenagertöchter entstammten wirklich einer anderen Raumzeit. Na ja, da mussten sie nun durch. Alle.

„Ja, hab ich dir doch erzählt, diese Soiree“, Simone konnte ihr Augenrollen fast hören, „wo alle ihre Ausstellungskadaver um kleine Stehtische gruppieren, tierisch viel Kohle dafür bezahlen, dass sie dabei sein dürfen und sich furchtbar wichtig vorkommen. Und irgendwann, wenn alle vom Champagner-Schlürfen breit sind, gibt es eine Tombola. Mama verlost zehn Bücher und ich bin die Literaturschleuder, das heißt, ich soll die Gewinner ziehen. Willst du nicht auch kommen? Dann hätte ich hier wenigstens …“

Simone schüttelte energisch den Kopf. „Musenlaune im Mondschein“ würde auch ohne den neuen Freund ihrer Tochter bestens funktionieren. Um ihre Nerven zu beruhigen nahm sie sich ein rotes Cremetörtchen und fing entsetzt an zu keuchen. Um Himmels Willen, wer hatte so viel Chili in die Erdbeergelee-Füllung getan? Sie sah sich nach ihrer Tochter um. Die Terrasse war leer.

 

Champagner – 365tageasatzadayQuelle: Pixabay