Von Sterben und Leben

Ausgang.

Immer enger, leise, leise
Ziehen sich die Lebenskreise,
Schwindet hin, was prahlt und prunkt,
Schwindet Hoffen, Hassen, Lieben,
Und ist nichts in Sicht geblieben,
Als der letzte dunkle Punkt.

(Theodor Fontane, Ausgang, aus: Gedichte, 1905, Online-Quelle)

Ueber alle Gräber wächst zuletzt das Gras

Ueber alle Gräber wächst zuletzt das Gras,
Alle Wunden heilt die Zeit, ein Trost ist das,
Wohl der schlechteste, den man dir kann ertheilen;
Armes Herz, du willst nicht, daß die Wunden heilen.
Etwas hast du noch, solang es schmerzlich brennt;
Das Verschmerzte nur ist todt und abgetrennt.

(Friedrich Rückert, Ueber alle Gräber wächst zuletzt das Gras, aus: Kindertodtenlieder aus seinem Nachlasse, Frankfurt a. M. 1872, S. 153, Online-Quelle)

Tränen, Tränen, die aus mir brechen

Tränen, Tränen, die aus mir brechen.
Mein Tod, Mohr, Träger
meines Herzens, halte mich schräger,
daß sie abfließen. Ich will sprechen.

Schwarzer, riesiger Herzhalter.
Wenn ich auch spräche,
glaubst du denn, daß das Schweigen bräche?

Wiege mich, Alter.

(Rainer Maria Rilke, Tränen, Tränen, die aus mir brechen, (Paris, Spätherbst 1913) aus: Rainer Maria Rilke, Gedichte 1906 bis 1926, Sammlung der verstreuten und nachgelassenen Gedichte aus den mittleren bis späteren Jahren, Insel-Verlag 1953, S. 467)

Sieben Septillionen Jahre

Sieben Septillionen Jahre
zählte ich die Meilensteine am Rande der Milchstrasse.

Sie endeten nicht.

Myriaden Aeonen
versank ich in die Wunder eines einzigen Thautröpfchens.

Es erschlossen sich immer neue.

Mein Herz erzitterte!

Selig ins Moos
streckte ich mich und wurde Erde.

Jetzt ranken Brombeeren
über mir,
auf einem sich wiegenden Schlehdornzweig
zwitschert ein Rotkehlchen.

Aus meiner Brust
springt fröhlich ein Quell,
aus meinem Schädel
wachsen Blumen.

(Arno Holz, Sieben Septillionen Jahre, aus: Phantasus, II. Heft, Berlin, 1899, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Ansprechende Gedichte zum Thema, die nicht oder weitgehend nicht christlich eingefärbt sind, sind eher selten für die Zeit, aus der man öffentlich zitieren darf. Nachdem ich letzte Woche auf eine Zusammenstellung von Trauersprüchen (mit überprüfter Autorenangabe, SELTEN) gestoßen bin (hier klicken), dachte ich, vielleicht mag diese Gedichte noch jemand außer mir.

Wie immer, kommt gut und warm und fröhlich in und durch die neue Woche!

 

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Schreibeinladung für die Textwochen 04*05*23 | Wortspende von Irgendwas ist immer

Ihr kennt das vermutlich auch, liebe Etüdenfans, -schreiber*innen und -leser*innen: Keine Lust zu gar nichts, und eigentlich könnte einem alles gestohlen bleiben (außer dem*den Fellträger*n natürlich). Daher werdet ihr es mir hoffentlich nicht weiter übelnehmen, dass ich auf die Wortspende von Etüdenerfinder Ludwig dieses Mal eine von mir folgen lasse – ich hatte schlicht keinen Nerv, eine Ziehung abzuhalten und euch anzuschreiben. Schließlich hatte ich noch anderes zu tun (zum Beispiel zu husten), und der Fellträger will auch essen.

Wem jetzt meine Wortspende zu einseitig daherkommt: Es liegt an euch, ob der Drache ein Fabelwesen, ein Spielzeug (oder, sorry, Hobbygerät) oder ein Mensch (oder etwas ganz anderes) ist, der*die sich zum Beispiel die Realität zurechthäkelt … ich verlasse mich da völlig auf euch. Frage an die Fachmenschen: Ist die Blume an dem Geländer in der Illustration wirklich gehäkelt? Die Stichworte behaupten es zumindest.

Aus gegebenem Anlass: Einige von euch werden die Diskussionen um Texte (und die Texte selbst), die mittels ChatGPT3 geschrieben wurden, gelesen und kommentiert haben. Ich halte eine Auseinandersetzung mit KIs und ihren Möglichkeiten für wichtig, dennoch möchte ich euch bitten, ab heute (Stand: 22.01.2023) keine KI-Texte mehr zu den Etüden beiszusteuern und zu verlinken: Ich werde sie nicht in der Liste aufführen und entsprechende Links dazu löschen. Etüden sollen „handmade/kopfmade“ sein und bleiben 😉 (Siehe auch das berühmte Kleingedruckte.)
Link zu KIs im Alltag beim ZDF: hier klicken – meinen Dank an Jürgen Küster, der den Link bei Gerda in den Kommentaren beigesteuert hat.

Los geht es wie immer mit der Statistik. 26 Blogmenschen haben 39 Etüden beigesteuert, das liegt vor allem daran, dass die Zahl der Wiederholungstäter viel geringer als sonst war, der „Etüdenstamm“ hat zuverlässig mitgeschrieben. Sehr herzlichen Dank!

Vielen Dank wie immer an alle, die Lust hatten, mitzuschreiben und/oder mitzulesen, die gelikt und kommentiert haben! Und auch immer wieder meinen Extradank an jede*n von euch, den*die ich in den teilnehmenden Blogs getroffen habe und der*die dort kommentiert/mitdiskutiert hat. 😀👍

Wie immer bitte ich euch, die Liste zu kontrollieren, ob jede eurer Etüden dort verzeichnet ist oder ob euch sonst was komisch vorkommt. Ich trage gerne nach, wenn irgendwas nicht stimmt, und versichere wie jedes Mal, dass es keine böse Absicht ist. 😀

Disclaimer: Nach intensiver Diskussion bleibt das Setzen von Inhaltshinweisen (CN/Triggerwarnungen, z. B. in den Schlagwörtern) jedem teilnehmenden Blog freigestellt.

Bereit für die neue Etüdenliste? Hier kommt sie!


Rina auf Geschichtszauberei: hier
Ulrike auf Blaupause7: hier, hier und hier
Puzzleblume auf Puzzleblume: hier
Myriade auf la parole a été donnée à l´homme pour cacher sa pensée: hier
Heidi auf Erinnerungswerkstatt: hier
Olpo auf olpo run: hier, hier, hier und hier
Tanja auf Stachelbeermond: hier
Anna-Lena auf Meine literarische Visitenkarte: hier
Kain Schreiber auf Gedankenflut: hier, hier und hier
Werner auf Werner Kastens: hier
Petra auf Petra schreibt: hier
Gerhard auf Kopf und Gestalt: hier, hier und hier
Corly in Corlys Lesewelt: hier
Gerda von GERDA KAZAKOU: hier, hier und hier
Alice auf Make a Choice Alice: hier
Monika auf Allerlei Gedanken: hier und hier
Natalie im Fundevogelnest: hier
Anja auf Annuschkas Northern Star: hier
Kristijan auf Schreibenblog: hier
Nina vom Bodenlosz-Archiv: hier
Katharina auf Katha kritzelt: hier
Meine (Christiane) auf Irgendwas ist immer: hier
Bettina auf Wortgerinnsel: hier
Ellen auf nellindreams: hier und hier
Doro auf DORO|ART: hier
Donka auf onlybatscanhang: hier


Die Wortspende für die Textwochen 04/05 des Jahres 2023 stammt wie bereits erwähnt von mir (Christiane) und meinem Blog Irgendwas ist immer. Sie lautet:

Drache
edel
häkeln.


Wie immer weise ich darauf hin, dass der obligatorische Etüden-Disclaimer weiterhin gilt: 3 Begriffe in maximal 300 Wörtern.
Eventuelle Inhaltshinweise (Triggerwarnungen) und die Überschrift zählen NICHT zum Text. Eure Beiträge verlinkt ihr bitte wie gewohnt hierhin und/oder postet den Link unten in einen Kommentar, damit eure Etüden auch ganz sicher von mir und von allen, die es interessiert, gelesen werden können. Wen ich nicht in den Kommentaren/Pings der zugehörigen Schreibeinladung finden kann (das ist diese hier), der kommt (höchstwahrscheinlich) nicht auf die nächste Liste bzw. muss meckern, ich merke mir nicht, was ich wann eventuell bei wem gelesen habe.
Die Illustrationen unterliegen nach wie vor meinem Copyright. Wie immer behalte ich mir vor, Kommentare zu moderieren, wenn nötig. Wer sich die Illustrationen herunterladen möchte, sollte sie vorher großklicken, danach kann man sie in der Regel downloaden und bei sich wieder hochladen.

Noch Fragen zu den Etüden? Hier habe ich das Kleingedruckte zusammengetragen. Wenn euch was auffällt – ihr wisst ja.

Die nächsten regulären Wörter gibt es am 5. Februar 2023. Habt weiterhin ein schönes Wochenende und gute Einfälle!

 

abc.etüden 2023 04+05 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

abc.etüden 2023 04+05 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

abc.etüden 2023 04+05 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

Miniatur. Gedankenfetzen. Ein Versuch | abc.etüden

 

Na denn –

renn!

Immer schneller, immer höher, immer weiter!

Zögere nicht! Denk nicht! Leb deine Träume! Dich erwartet noch so viel Wunderbares! Wir füttern Körper, Geist und Seele nur mit erlesener Qualität. Versprochen. Unterschreib hier.

Renn weiter!

 

Ich will alles! Ich will Spaß, ich geb Gas!

Hurra! Was ist der Schnee schön weiß! Was ist der Wald schön grün! Was sind die Blumen schön bunt!

 

Drah di net um …

Siehst du nicht, dass alles zerschellt? Hast du keine Angst?

Nutze deine Freiheit! Bleib nicht stehen!

Renn weiter!

Flieh ins Café am Ende der Welt …

– hinter den Nebeln –

bevor die Klimakatastrophe kommt

oder die nächste Pandemie

oder der Krieg

oder die Inflation

… du hast es dir verdient! Mit deinem Leben!

Renn weiter!

 

Ver-ant-wor-tung? So-li-da-ri-tät? Mit wem denn und wofür? Wir sind gute Bürger, wir gehen zur Wahl und dann lassen wir die Politiker ihren Job machen.

Atlas wirft die Welt ab …

Muss ich das verstehen?

Und die blaue Kugel rollt, haha, sehr witzig. Faites vos jeux, aber gerne doch. Hundert auf Rot!

… und überrollt auch die Fluchtsieger …? Wie bitte?

Rien ne va plus.

Gleich kommt, dass ich eine Maske tragen muss, wetten?

Wie … nein?

 

abc.etüden 2023 02+03 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

Miniatur für die abc.etüden, Wochen 02/03.2023: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Wortspende stammt dieses Mal von Ludwig Zeidler, dem Etüdenerfinder, der nicht mehr bloggt. Sie lautet: Fluchtsieger, füttern, wunderbar.

Mein Kopf ist gerade etwas unsortiert und wehrt sich gegen nette Geschichtlein. Ich kenne das, das bedeutet, dass nichts Gescheites nachkommt, wenn ich es nicht wenigstens zum Teil rausschreibe, also habe ich es mal versucht, in der Hoffnung, dass wer von euch etwas damit anfangen kann, auch wenn die Form für mich eher unüblich ist.

„Atlas wirft die Welt ab“ ist übrigens der Titel eines Buches, das ich nicht gelesen habe (und nicht lesen werde, aber dafür hat Alexander es gewohnt kundig in epischer Breite besprochen: hier klicken), aber ich mochte das Bild von dem blauen Ball, sei er, was er sei …

Myriade: Erfüllt meine Zeile dein Kriterium für die Teilnahme (Rahmen) an der Impulswerkstatt, auch wenn sie weder am Anfang noch am Schluss steht? Dann füge ich dir noch den Link ein …

Frage: Nutzt schon jemand die neue Jetpack-App (statt des Readers) auf dem Handy und kann darüber berichten? Mir wird sie derzeit öfter angeboten, aber ich hab mich noch nicht getraut …

 

Von Erinnerung

Regen weit und breit

Da draußen regnet es weit und breit.
Es regnet graugraue Verlassenheit.
Es plaudern tausend flüsternde Zungen.
Es regnet tausend Erinnerungen.
Der Regen Geschichten ums Fenster rauscht.
Die Seele gern dem Regen lauscht.

Der Regen hält dich im Haus gefangen.
Die Seele ist hinter ihm hergegangen.
Die Insichgekehrte ist still erwacht,
Im Regen sie weiteste Wege macht.
Du sitzt mit stummem Gesicht am Fenster,
Empfängst den Besuch der Regengespenster.

(Max Dauthendey, Regen weit und breit, aus: Gesammelte Werke, Bd. 2 „Aus fernen Ländern“, S. 588/589, Albert Langen, München 1925)

Erinnerung

Einmal vor manchem Jahre
war ich ein Baum am Bergesrand,
und meine Birkenhaare
kämmte der Mond mit weißer Hand.

Hoch überm Abgrund hing ich
windbewegt auf schroffem Stein,
tanzende Wolken fing ich
mir als vergänglich Spielzeug ein.

Fühlte nichts im Gemüte
weder von Wonne noch Leid,
rauschte, verwelkte, blühte;
in meinem Schatten schlief die Zeit.

(Ricarda Huch, Erinnerung, aus: Gedichte, 1894, Online-Quelle)

Betrachtung der Zeit

Mein sind die Jahre nicht die mir die Zeit genommen/
Mein sind die Jahre nicht/ die etwa möchten kommen
Der Augenblick ist mein/ und nehm’ ich den in acht
So ist der mein/ der Jahr und Ewigkeit gemacht.

(Andreas Gryphius, Betrachtung der Zeit, Epigramme. Das erste Buch, 1663, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Wie jede Woche: Kommt gut und heiter in und durch diese Woche und diese merkwürdige Zeit!

 

Vom Frieden

Weß ist der Erdenraum?

Weß ist der Erdenraum? Des Fleißigen.
Weß ist die Herrschaft? Des Verständigen.
Weß sei die Macht? Wir wünschen alle, nur
Des Gütigen, des Milden. Rach’ und Wuth
Verzehrt sich selber. Der Friedselige
Bleibt und errettet. Nur der Weisere
Soll unser Vormund seyn. Die Kette ziemt
Den Menschen nicht und minder noch das Schwert.

(Johann Gottfried von Herder, Weß ist der Erdenraum?, aus: Die Fremdlinge, in: Zerstreute Blätter, Sechste Sammlung, VII. Legenden, Neue Auflage 1820, Online-Quelle)

II.

Verlange nichts von irgendwem,
laß jedermann sein Wesen,
du bist von irgendwelcher Fehm
zum Richter nicht erlesen.

Tu still dein Werk und gib der Welt
allein von deinem Frieden,
und hab dein Sach auf nichts gestellt
und niemanden hienieden.

(Christian Morgenstern, Verlange nichts von irgendwem, aus: Wir fanden einen Pfad, 1914, Online-Quelle)

Es wird citiert hienieden …

Es wird citiert hienieden
Ein Bild zum Ueberdruß:
Von dem Faß der Danaiden
Und dem Stein des Sysiphus.

Schafft endlich Beiden Frieden
Durch freundlichen Beschluß:
Verstopft das Faß der Danaiden
Mit dem Stein des Sysiphus.

(Albert Roderich, 1846–1938, Schriftsteller und Aphoristiker, Es wird citiert hienieden, keine Quelle bekannt, möglicherweise aus den „Fliegenden Blättern“ oder „In Gedanken. Vers-Aphorismen“, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Als ich vor wenigen Tagen eher zufällig den ersten Gedichteintrag des letzten Jahres aufrief, stutzte ich, weil er „Vom Frieden“ hieß und mir das spontan doch bemerkenswert vorkam. Also, dachte ich mir, kann ich ihn auch noch einmal (verändert) wiederholen, denn ich finde den Gedanken, einem Übel ein anderes in den Rachen zu stopfen und damit beide zu erschlagen, immer noch reizvoll. Ich glaube allerdings noch weniger als letztes Jahr, dass es funktioniert.
Und ach, Herder: Der Text spielt zu der Frühzeit der deutschen Christianisierung, da mal reinzulesen lohnt sich durchaus ;-), der steht hier also richtig außerhalb jedes Kontextes als frommer (wenn auch sehr nachvollziehbarer) Wunsch …
Ja, Gerda, ich habe bei den Danaiden auch an dein Weltentheater denken müssen.

Auch in diesem Jahr: Kommt gut und gesund und heil in und durch die neue Woche!

 

Schreibeinladung für die Textwochen 02*03*23 | Wortspende von Ludwig Zeidler

Willkommen zurück, liebe Etüdenfans, -schreiber*innen und -leser*innen, und auch bei den Etüden willkommen im neuen Jahr 2023! Aufgrund von Krankheit (mein Freundinnen-Besuch über Silvester hatte leider eine Virusgrippe (kein Corona) im Gepäck; danke, es geht mir schon erheblich besser) habe ich es vielleicht bisher noch nicht jeder*jedem, der*die wollte, um die Ohren gehauen: Möge es ein gutes neues Jahr auch für dich werden, möge es sich uns allen gewogen zeigen – es herrscht kein Mangel an Umständen, die sich bessern könnten 😉


Wie im letzten Jahr möchte ich jedenfalls mit einem kurzen Fazit zu den Adventüden 2022 beginnen, dazu gehört vor allem die Statistik. Die Top-5-Etüden mit den meisten Aufrufen waren:

04.12.  Advent   (169)

01.12.  Deine Zeit   (165)

30.11.  Alle Jahre wieder   (162)

21.12.  Gute Nachbarschaft   (161)

27.11.  Alle Jahre wieder (159)


Screenshot Statistik Adventüden2022 Plätze 01–10 | 365tageasatzaday

Quelle: Blogstatistik, Aufrufe für 2022, 06.01.2023

Herzlichen Glückwunsch, Sabine, Doro, Christian, Nina und Puzzleblume! Die Plätze 6 bis 10 könnt ihr dem Screenshot entnehmen; besonders freut mich, dass es der Beitrag des Schreibenblogs tatsächlich in die Top 10 geschafft hat. 😀


Kurz und schmerzlos kommen wir also schon zur ersten Wortspende. Wie es bereits Tradition hat, habe ich den Etüdenerfinder um eine Wortspende gebeten, eine Bitte, der er völlig unüberraschenderweise nachgekommen ist 😉

Die Wörter für die Textwochen 02/03 des Jahres 2023 stiftete Ludwig Zeidler. Sie lauten:

Fluchtsieger
füttern
wunderbar.

 

Zum ersten Mal in diesem Jahr weise ich darauf hin, dass der obligatorische Etüden-Disclaimer weiterhin gilt: 3 Begriffe in maximal 300 Wörtern.
Eventuelle Inhaltshinweise (Triggerwarnungen) und die Überschrift zählen NICHT zum Text. Eure Beiträge verlinkt ihr bitte wie gewohnt hierhin und/oder postet den Link unten in einen Kommentar, damit eure Etüden auch ganz sicher von mir und von allen, die es interessiert, gelesen werden können. Wen ich nicht in den Kommentaren/Pings der zugehörigen Schreibeinladung finden kann (das ist diese hier), der kommt (höchstwahrscheinlich) nicht auf die nächste Liste bzw. muss meckern, ich merke mir nicht, was ich wann eventuell bei wem gelesen habe.
Die Illustrationen unterliegen nach wie vor meinem Copyright. Wie immer behalte ich mir vor, Kommentare zu moderieren, wenn nötig. Wer sich die Illustrationen herunterladen möchte, sollte sie vorher großklicken, danach kann man sie in der Regel downloaden und bei sich wieder hochladen.

Noch Fragen zu den Etüden? Hier habe ich das Kleingedruckte zusammengetragen. Wenn euch was auffällt – ihr wisst ja.

Die nächsten regulären Wörter für dieses Jahr gibt es am 22. Januar 2023. Habt weiterhin ein schönes Wochenende und gute Einfälle!

 

abc.etüden 2023 02+03 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

abc.etüden 2023 02+03 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

abc.etüden 2023 02+03 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

Von Träumen

Seelen

Du weisst, wir bleiben einsam: du und ich,
Wie Stämme, tief in Gold und Blau getaucht,
Mit freien Kronen, die der Seewind streift;
So nah, doch ganz gesondert, ewig zwei.
Und zwischen beiden webt ein feines Licht
Und Silberduft, der in den Zweigen spielt,
Und dunkel rauscht die Sehnsucht her und hin.

(Paul Wertheimer, Seelen, aus: Neue Gedichte, 1904, Online-Quelle)

Terzinen III

Wir sind aus solchem Zeug, wie das zu Träumen,
Und Träume schlagen so die Augen auf
Wie kleine Kinder unter Kirschenbäumen,

Aus deren Krone den blaßgoldnen Lauf
Der Vollmond anhebt durch die große Nacht.
… Nicht anders tauchen unsre Träume auf,

Sind da und leben wie ein Kind, das lacht,
Nicht minder groß im Auf- und Niederschweben
Als Vollmond, aus Baumkronen aufgewacht,

Das Innerste ist offen ihrem Weben;
Wie Geisterhände in versperrtem Raum
Sind sie in uns und haben immer Leben.

Und drei sind Eins: ein Mensch, ein Ding, ein Traum.

(Hugo von Hofmannsthal, Terzinen über Vergänglichkeit III, aus: Die Gedichte (Ausgabe 1924), 1895, Online-Quelle)

Nachts in der träumenden Stille

Nachts in der träumenden Stille
Kommen Gedanken gegangen,
Nachts in der träumenden Stille
Atmet, zittert ein Bangen,
Nachts in der träumenden Stille,
Ratlose quälende Fragen.
Weit über alles Sagen
Kommen Gedanken gegangen,
Atmet, zittert ein Bangen
Nachts in der träumenden Stille.

(Gustav Falke, Nachts in der träumenden Stille, aus: Tanz und Andacht. Gedichte, 1893, Online-Quelle)

Wünschelrute

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.

(Joseph von Eichendorff, Wünschelrute, erschienen 1838 im Deutschen Musenalmanach, aus: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, Nachlese, Die Feier, 1962, Artikel Wikipedia, Online-Quelle)


Mond auf der Leitung – 365tageasatzaday

Quelle: ichmeinerselbst, schon ziemlich lange her

Das, ihr Lieben, ist eine Ansammlung von Lieblingsgedichten, aus keinem anderen Grund als dem Jahresanfang. Ja, das eine oder andere könnte euch bekannt vorkommen, wenn ihr hier schon länger lest.

Ich habe Anfang Dezember bei so einem (englischsprachigen) Suchbild-Orakel mitgemacht (auf Twitter bei Ulli) (Die ersten vier Worte, du liest, werden dein Mantra für dein neues Jahr sein). Ihr kennt die, so eine wirre Ansammlung von Buchstaben, wo sich Wörter herauskristallisieren, wenn man länger hinschaut? Ich fand es passend, dass es ein englisches Suchbild war, weil mein Kopf dann anders tickt. Hier ist das Ergebnis: connection, strength, purpose, creation. Spontan nicht das, was ich erwartet und/oder typisch für mich gefunden hätte, aber ich fand es gerade deswegen sehr interessant. Nun denn.

Ich hoffe, ihr seid fröhlich ins neue Jahr gerutscht und kommt gut in und durch die erste Woche! 😉

 

Über Zufußgehen

 

Entspanne dich. […] Trudele durch die Welt. Sie ist so schön.

(Kurt Tucholsky (Peter Panter), Die Kunst, falsch zu reisen, aus: Uhu, 1.7.1929, S. 12–16, Online-Quelle)

 

Kalender 2023 | 365tageasatzaday
Quelle: Ich meiner selbst. Wie immer; wer nicht groß klickt, ist selbst schuld! 😉

 

Frohes neues Jahr euch allen! Wer meinem Blog schon länger folgt, erinnert sich vielleicht an meine Jahreskalender (2016, 2017, 2018, 2019, 2020, 2021, 2022).
Jedes Jahr aufs Neue bastele ich aus eigenen Fotos ein Kalenderposter (eigenes Design, eigenes Kalendarium, alles handgeklöppelt), das im neuen Jahr meine und (meistens) eine Tür ausgewählter Mitmenschen verschönert. Da ich im abgelaufenen Jahr auf dem Grünen Ring rund um Hamburg unterwegs war (zu Fuß, hier die Berichterstattung), wird es euch vermutlich nicht weiter wundern, wenn ich euch erzähle, dass auch meine Pics für den Posterkalender von meinen Wanderungen stammen.

Sollte ich irgendwem, der*die dies liest, noch kein gutes neues Jahr 2023 gewünscht haben (was sehr gut sein kann), sei es hiermit nachgeholt und nicht weniger herzlich gemeint. Ich habe wahrgemacht, was ich angekündigt hatte, nämlich mich blogfern betätigt, unter anderem ist seit mehreren Tagen eine Freundin in der Stadt, die ich heute noch zum Zug bringe.

Aber glaubt bloß nicht, dass ich JETZT schon wach wäre …

Coming up next: In Anbetracht der Erkenntnis, dass sehr viele Blogs erst nach Dreikönig wieder ihren Betrieb aufnehmen, halte ich es dieses Jahr ebenso: Morgen gibt es Lieblingsgedichte in den Montagsgedichten und am nächsten Sonntag (08.01.) gehen die regulären Etüden wieder los! 😀

Angenehmes Wachwerden!

 

Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr

Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr.
Da hörst du alle Herzen gehn und schlagen
wie Uhren, welche Abendstunden sagen.
Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr.

Da werden alle Kinderaugen groß,
als ob die Dinge wüchsen, die sie schauen
und mütterlicher werden alle Frauen
und alle Kinderaugen werden groß.

Da mußt du draußen gehn im weiten Land
willst du die Weihnacht sehn, die unversehrte,
als ob dein Sinn der Städte nie begehrte,
so mußt du draußen gehn im weiten Land.

Dort dämmern große Himmel über dir,
die auf entfernten, weissen Wäldern ruhn,
die Wege wachsen unter deinen Schuhn,
und große Himmel dämmern übern dir.

                                 Für Clara Rilke. Weihnachten 1901

(Rainer Maria Rilke, Weihnachten ist der stillste Tag im Jahr, 1901, Online-Quelle)


Es passt, dazu zu erzählen, dass Rilke Mitte Dezember 1901 Vater (einer Tochter, Ruth) geworden ist, sein erstes und einziges Kind. Wenn es also in Rilkes Vorstellung ein „ideales Weihnachten“ (wir würden das heute vermutlich „kitschig“ nennen) gab, dann war es wohl dieses. Okay, er war erst Mitte 20 (die Geburt war knapp zehn Tage nach seinem 26. Geburtstag). Okay, er war aus der Stadt (Berlin) auf das Land gezogen, Westerwede, das ein Nachbardorf Worpswedes ist (ja, DAS Worpswede (Wikipedia)).
Was ich auch immer vergesse: Er ist nur 51 geworden, das ist nicht viel – wie man denkt, wenn man selbst älter ist.)
Wie hier nachzulesen ist (das ist eine Biografie von Clara Rilke-Westhoff, deren Autorin u. a. Rilkes Briefe zitiert), inszeniert er das als für ihn eine fast heilige Angelegenheit, auf jeden Fall sehr überhöht, was mich bei jemandem, der auf eine gewisse Art so weltfern, so unpraktisch war, nicht wundert …
Das Eheglück war nicht von Dauer, Rilke und seine Frau, die Bildhauerin Clara Rilke-Westhoff (Fembio) trennten sich bereits im folgenden Jahr nach 16 Monaten des Zusammenlebens, auch wenn sie sich nie scheiden ließen. Der Rest ist Geschichte, wie so oft.



Quelle: Pixabay

Dieses Gedicht ist während der Adventszeit trotz des ganzen Adventüden-Rummels auf meinem Blog derartig häufig aufgerufen worden, dass ich dachte, ein Reblog würde vielen Freude machen.

Habt weiterhin eine geruhsame Zeit, so ihr möchtet, und wenn nicht, dann nicht … 😉

 

Weihnachtspause

Ich hatte gerade ein Dejá-vù: Ich könnte meinen letztjährigen Post (wenn auch aktualisiert) fast eins zu eins wiederholen, so wenig hat sich grundlegend geändert. Das hat mich überrascht … 😉

Ihr Lieben, alle Türchen der Adventüden haben sich geöffnet, alle Etüden haben Freude, Entzücken und Entsetzen ausgelöst, haben zu Gelächter und Nachdenken, Trauer, Trost und Staunen eingeladen und ihren krönenden Abschluss gefunden ❤ – so unterschiedlich, so schön.

Und weil vielleicht viele in der Adventszeit nicht dazu gekommen sind, gibt es jetzt hier noch mal die komplette Liste zum Nachlesen. Viel Freude!


27.11.  Alle Jahre wieder
28.11.  Aufruhr im Lehrerzimmer
29.11.  Eine Liebeserklärung der anderen Art
30.11.  Alle Jahre wieder
01.12.  Deine Zeit
02.12.  Schöne Bescherung
03.12.  Nicht alltäglich
04.12.  Advent
05.12.  Wieder ein Weihnachtsdilemma gelöst
06.12.  Der Einbrecher
07.12.  Ein besonderer Adventskalender
08.12.  Das letzte Mal
09.12.  Wieder daheim
10.12.  Der Umweg
11.12.  Eine Liebeserklärung
12.12.  Eine Adventsgeschichte
13.12.  Das Ross
14.12.  C+M+B IV
15.12.  Weihnachten ist nie wie im Bilderbuch
16.12.  Zeitenwende
17.12.  Das Adventsessen
18.12.  Hoppala
19.12.  Ein Weihnachtswunder?
20.12.  Ein unverhofftes Geschenk
21.12.  Gute Nachbarschaft
22.12.  Dritter Besuch
23.12.  Erinnerungen sind wie Sterne
24.12.  Fräulein Honigohrs Weihnachtswanderung


Ich danke euch allen, die ihr Teil der Adventüden wart, aktiv oder passiv, als Schreiber*innen, Kommentator*innen, Leser*innen und Liker*innen. Schön, dass ihr da wart, für euch, für uns alle passiert das hier, ich kann es nur immer wieder wiederholen, deswegen halte ich die Etüden am Leben. Und danke an euch, dass ihr die Arbeit seht, die dahintersteckt.
Frische Begriffe für die Etüden gibt es erst wieder am 8. Januar 2023, ich nehme mir die erste Woche des neuen Jahres noch etüdenfrei.


Mein Blog schlurft jetzt langsam in den Feiertagsmodus und ich mit ihm: Ich schließe ihn nicht, auch zwischen den Jahren nicht, denn natürlich werde auch ich weiter durch die Blogs bummeln, aber ich lasse ihn liegen, bis ich Lust habe, mich darum zu kümmern … ich habe ein großes Bedürfnis nach Wärme und Couch und lieben Menschen, dem schnarchenden Fellträger, meinem Weihnachtsbuch und, und, und.

Kommt gut und gesund an Körper und Seele und entschleunigt durch diese Tage, mögen sie bei euch stressarm und heiter ausfallen, und passt auf euch und eure Liebsten (Menschen und Tiere) gut auf.


Adventüden 2022 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

Die Musik auf der Seite hinter dem Link unten spricht vermutlich nicht jede*n an, aber ich bekomme Gänsehaut beim Hören und finde sie irgendwie heilsam, und das ist bei mir echt selten.

Lichtgebet · Elbcanto & Helge Burggrabe · Text aus der Sufi-Tradition

 

24.12. – Fräulein Honigohrs Weihnachtswanderung | Adventüden

Stopp! Pause!« Herr Brummeck stemmt die Hände in die Hüften und schnauft.

Fräulein Honigohr wippt ungeduldig auf den Zehenspitzen. Es ist nicht mehr weit und die Zeit drängt. Die Bäume ragen kahl empor, der Weg hat schon vor längerer Zeit beschlossen, anderswo entlangzuführen. Die Nacht ist klar, aber leider nicht eiskalt, da kann auch der schönste Sternenglanz nichts ändern.

»Müssen wir das wirklich jedes Jahr machen?« Herr Brummeck sieht leidend aus.

»Natürlich.« Fräulein Honigohr ist mitleidlos. Er muss ja nicht mitkommen. Aber er will es so. »Weiter!«

Herr Brummeck stöhnt, aber er läuft ihr hinterher. Das Unterholz ist dicht und hat noch nie Laubsägen oder Äxte gesehen, aber Fräulein Honigohr weiß, wo sie lang muss. Und da ist sie schon, die Lichtung. Der Schnee leuchtet fahlweiß unter dem Nachthimmel, und Fräulein Honigohr lacht laut auf. »Er ist noch da! Siehst du? Der Einzige weit und breit!«

Herr Brummeck schnauft.

»Komm!« Fräulein Honigohr schubst ihn in den Schnee und wirft sich dann selbst hinein. Akribisch malen sie acht Schnee-Engel auf die Lichtung, für mehr ist kein Platz. Der Schnee ist schwer und nass und quietscht leise. Als sie fertig sind, stellen sie sich nebeneinander auf. »Jetzt«, flüstert Fräulein Honigohr und schnipst mit den Fingern. Langsam erheben sich die Schnee-Engel aus ihren Abdrücken. Sie sind ein wenig zerknautscht, genau wie der Schnee. »Ihr wisst, was ihr zu tun habt?«, fragt Fräulein Honigohr, und sie nicken. »Dann wünsche ich gutes Gelingen. Ihr habt zwölf Stunden, wie immer.« Sie fliegen auf, ihre Flügel ein leises Rauschen wie Lametta im Wind.

»So schön …« Fräulein Honigohr lehnt sich an Herrn Brummeck. Er legt einen Arm um sie. »Der alte Mann kann ja nicht alles allein machen.«

»Stimmt.«

Sie sehen den Schnee-Engeln hinterher, bis das Rauschen verklungen ist. Dann machen sie sich an den Abstieg.


Autor*in: Tanja                    Blog: Stachelbeermond


Adventüden 2022 24-12 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

Zum Thema Inhaltshinweise/CN/Triggerwarnungen in den Adventüden bitte hier lesen.

Nachdem viele Teilnehmer*innen und Leser*innen das Fetten der vorgegebenen Wörter als störend empfunden haben, wurde darauf verzichtet. In einem Text, der maximal 300 Wörter umfassen durfte, waren (mindestens) drei der folgenden fünfzehn Begriffe zu verwenden:

Adventskalender, Dezemberdilemma, Eintopf, Gebäckdose, Hefe, Lametta, Laubsäge, Liebeserklärung, Kreuzkümmel, Kulturschock, Sternenglanz, Sturz, Taschentuch, Tunichtgut, Weihnachtsputz.

Dieser Text erschien zuerst im Rahmen der Adventüden 2022, einem Projekt von »Irgendwas ist immer«.

 

23.12. – Erinnerungen sind wie Sterne | Adventüden

Agatha schlägt die Augen auf. Ihr Kopf dröhnt, das rechte Bein fühlt sich betonschwer an, im linken Handrücken steckt eine Nadel. Agatha dreht den Kopf. Stöhnt vor Schmerz. Legt ihn zurück. Sie lässt die Augen wandern. Über ihr ein Haltegriff. Neben dem Bett ein Infusionsständer mit einer durchsichtigen Flasche. Tropf, tropf, tropf. Die Wände sind weiß. Ein kleiner Tisch und zwei Stühle stehen an der Wand, darüber hängt ein Kunstdruck. Van Goghs Sonnenblumen. Das Licht brennt. Draußen dunkelt es. Agatha hört ihren Atem, vom Flur schnelle Schritte. Und Klingeln. Immer wieder.

»Wie bin ich hier gelandet?«, fragt sie.

»Du bist von der Leiter gefallen, Gänseblümchen. Beim Aufhängen der Sternenlichterkette.«

Agatha erschrickt. »Gänseblümchen« hat sie nur ihr Papa genannt. Niemand sonst durfte das. Aber Papa ist schon lange tot. Agatha versucht, sich hochzuziehen.

»Bleib liegen, Gänseblümchen, hab keine Angst. Alles ist gut. Du bist bald gesund.«

Agatha lauscht. Schließt die Augen. Bilder tauchen auf. Ein Kaleidoskop bunter Erinnerungsfetzen. Sie sieht sich und ihren Vater beim Aufhängen der Sternenlichterkette. Seit sie in der 1. Klasse war, hat er diese mit ihr am 23. Dezember aufgehängt. Nur mit ihr. Nie mit jemandem anderen. Es war seine Vater-Tochter-Zeit. Nicht einmal in 68 Jahren hat er das ausfallen lassen. So wenig. So wertvoll. Eine Liebeserklärung an sie.

Agatha lässt die Erinnerungen kommen. Sie spürt seine Hand auf ihrem Rücken. Hört sein: »Ich halte die Leiter, einen Sturz wollen wir nicht.« Sie erinnert sich an jeden einzelnen Vorweihnachtsabend. Sieht sie sich an. Lässt sie vorbeiziehen.

Agatha spürt das Lächeln, das sich auf ihrem Gesicht breitmacht. Ihr wird ganz leicht. »Papa«, flüstert sie.

»Ich bin bei dir, Gänseblümchen. Immer.«

Agatha lauscht. Macht das Licht aus. Ihr Blick wandert zum Fenster. Sternenglanz fällt ins Zimmer.

»Danke, Papa, deine Lichterkette ist besonders in diesem Jahr.«


Autor*in: Judith                    Blog: Mutigerleben.de


Adventüden 2022 23-12 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

Zum Thema Inhaltshinweise/CN/Triggerwarnungen in den Adventüden bitte hier lesen.

Nachdem viele Teilnehmer*innen und Leser*innen das Fetten der vorgegebenen Wörter als störend empfunden haben, wurde darauf verzichtet. In einem Text, der maximal 300 Wörter umfassen durfte, waren (mindestens) drei der folgenden fünfzehn Begriffe zu verwenden:

Adventskalender, Dezemberdilemma, Eintopf, Gebäckdose, Hefe, Lametta, Laubsäge, Liebeserklärung, Kreuzkümmel, Kulturschock, Sternenglanz, Sturz, Taschentuch, Tunichtgut, Weihnachtsputz.

Dieser Text erschien zuerst im Rahmen der Adventüden 2022, einem Projekt von »Irgendwas ist immer«.