Neuer Frühling XXXV
Sorge nie, daß ich verrate
Meine Liebe vor der Welt,
Wenn mein Mund ob deiner Schönheit
Von Metaphern überquellt.
Unter einem Wald von Blumen
Liegt, in still verborgner Hut,
Jenes glühende Geheimnis,
Jene tief geheime Glut.
Sprühn einmal verdächt’ge Funken
Aus den Rosen – sorge nie!
Diese Welt glaubt nicht an Flammen,
Und sie nimmt’s für Poesie.
(Heinrich Heine, Neuer Frühling XXXV, aus: Neue Gedichte, 1844, Online-Quelle)
An den Mond
Längst, du freundliches Nachtgestirn,
Ist dein Geheimnis verweht.
Erkenntnisstolz blickt der Knabe schon
Zu dir empor,
Denn verfallen bist du, wie alles jetzt,
Der Wissenschaft,
Die deine Höhen und Tiefen mißt –
Und wer weiß, ob du nicht endlich doch noch
Erstiegen wirst auf der Münchhausenleiter
Der Hypothesen.
Dennoch, du alter, treuer Begleiter der Erde,
Webt und wirkt dein alter Zauber fort,
Wenn du, Aug’ und Herz erfreuend, emportauchst
Mit dem sanftschimmernden Menschenantlitz
Und seligen Frieden gießest
Über tagmüde Gefilde.
Noch immer, wachgeküßt von deinem Strahl,
Seufzt Liebe zu dir hinan –
Und immer noch, ach! besingen dich Dichter.
(Ferdinand von Saar, An den Mond, aus: Gedichte. Zweite, durchges. und verm. Aufl. XII, 1888, Online-Quelle)
Geheimnisvolles Leben Du, gewoben
Geheimnisvolles Leben Du, gewoben
aus mir und vielen unbekannten Stoffen,
geschieh mir nur: Mein Sinn ist allem offen
und meine Stimme ist bereit zu loben.
Wenn Du mir weh tun willst, so komm und schneide
mein Herz entzwei, das tausendfach empfindet,
blende mein Auge mit Brand bis es erblindet,
ich glaube, daß ich wachse, wenn ich leide.
Und wachsen will ich und um jeden Preis.
Reiß mich hinauf an meinen Haaren,
drück mich der Erde in den Schoß!
Nur laß mich deinen Sinn erfahren,
denn ich vermute: Du bist groß.
Laß mich nicht sterben, eh ich weiß
wie sich der Tod zu dir verhält?
Ist er der Widerspruch der Welt?
Ist er ihr Heil?
Ist er ein Teil von dir, des Lebens Teil?
Weil ich ihn so nur denken kann – im Leben.
Du mußt mir nicht sagen wie alles ist.
Du mußt mir nur einige Zeichen geben
und mich mit allen Dingen verweben,
darinnen du verwoben bist.
(Rainer Maria Rilke, Geheimnisvolles Leben Du, gewoben, entstanden am 11.09.1901 in Westerwede, in: Rainer Maria Rilke. Jugendgedichte. Sämtliche Werke; Band III, S. 758 (Zweite Reihe: Nachgelassene Gedichte) (7 Bände, Insel), Nachweis)
Quelle: Pixabay
Den Rilke habe ich bei Karin entdeckt, deren Blog nicht öffentlich ist, daher kann ich nicht darauf verlinken. Online findet sich öfter mal der erste Teil/Teile des Gedichtes, hier schlägt der Verfasser eine Brücke zu den Duineser Elegien, überaus interessant (und DANKE für die Zeitangabe!). Ein Buch – Stolzenberger, Es wartet eine Welt, Lebensweisheiten – macht Quellenangaben (hurra, VIELEN DANK, könnten das nicht alle?), der auch ich gefolgt bin, nicht ohne sie absichern und mit zusätzlichen Infos anreichern zu können: Schließlich habe ich mich ja erst letzte Woche auf der Regensucherin ebenfalls bei Rilke in seiner Worpsweder Zeit (Westerwede, der Entstehungsort, liegt bei Worpswede) aufgehalten – interessant, oder? Es gibt echt keine Zufälle.
Ich hoffe, ihr seid alle gut durch den Sturm/die Stürme gekommen und habt eine ruhige, erfreuliche, gesunde Woche vor euch. So oder so, seid herzlich gegrüßt!