Von Waldeinsamkeit

[Waldeinsamkeit]

Waldeinsamkeit,
Die mich erfreut,
So morgen wie heut
In ewger Zeit,
O wie mich freut
Waldeinsamkeit.

Waldeinsamkeit
Wie liegst du weit!
O Dir gereut
Einst mit der Zeit.
Ach einzge Freud
Waldeinsamkeit!

Waldeinsamkeit
Mich wieder freut,
Mir geschieht kein Leid,
Hier wohnt kein Neid
Von neuem mich freut
Waldeinsamkeit.

(Ludwig Tieck, Waldeinsamkeit, in: Der blonde Eckbert (Kunstmärchen) (Wikipedia), 1797, aus: Volksmärchen, Online-Quelle)

[Waldeinsamkeit]

Waldeinsamkeit!
Du grünes Revier,
Wie liegt so weit
Die Welt von hier!
Schlaf nur, wie bald
Kommt der Abend schön,
Durch den stillen Wald
Die Quellen gehn,
Die Mutter Gottes wacht,
Mit ihrem Sternenkleid
Bedeckt sie dich sacht
In der Waldeinsamkeit,
Gute Nacht, gute Nacht! –

(Joseph von Eichendorff, Waldeinsamkeit, aus: Gedichte (1841), Online-Quelle)

[Waldeinsamkeit]

O zaubergrüne Waldeseinsamkeit,
Wo alte, dunkle Fichten stehn und träumen,
Wo klare Bächlein über Kiesel schäumen
In tief geheimer Abgeschiedenheit.

Nur Herdenglockenlaut von Zeit zu Zeit,
Und leises Säuseln oben in den Bäumen,
Dann wieder Schweigen wie in Tempelräumen,
O zaubergrüne Waldeseinsamkeit! –

Hier sinkt des Erdendaseins enge Schranke,
Es fühlt das Herz sich göttlicher und reiner,
Als könnt es tiefer schauen und verstehen.

Da löst sich manch unsterblicher Gedanke;
Woher das kommt, das ahnet selten einer, –
Es ist des Weltengeistes nahes Wehen.

(Hermann Allmers, Waldeinsamkeit, aus: Dichtungen, 1860, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Mein romantischer Ausflug hält an, heute in die Waldeinsamkeit, was dort ein häufig verwendeter literarischer Begriff war (Wikipedia). Heute begebe ich mich mit Herrn Tieck sogar in die Frühromantik, und siehe da, der Kontext dieses Gedichtes (das nicht als Gedicht konzipiert ist, sondern eine Zusammenstellung dreier Strophen darstellt, die einem seiner Kunstmärchen entnommen sind) ist sehr straight, reichlich erschreckend, höchst moralisch und lohnt das Lesen sehr, wie ich finde.

Kommt gut und gesund und heiter in und durch die neue Woche!

 

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Von Träumen

Seelen

Du weisst, wir bleiben einsam: du und ich,
Wie Stämme, tief in Gold und Blau getaucht,
Mit freien Kronen, die der Seewind streift;
So nah, doch ganz gesondert, ewig zwei.
Und zwischen beiden webt ein feines Licht
Und Silberduft, der in den Zweigen spielt,
Und dunkel rauscht die Sehnsucht her und hin.

(Paul Wertheimer, Seelen, aus: Neue Gedichte, 1904, Online-Quelle)

Terzinen III

Wir sind aus solchem Zeug, wie das zu Träumen,
Und Träume schlagen so die Augen auf
Wie kleine Kinder unter Kirschenbäumen,

Aus deren Krone den blaßgoldnen Lauf
Der Vollmond anhebt durch die große Nacht.
… Nicht anders tauchen unsre Träume auf,

Sind da und leben wie ein Kind, das lacht,
Nicht minder groß im Auf- und Niederschweben
Als Vollmond, aus Baumkronen aufgewacht,

Das Innerste ist offen ihrem Weben;
Wie Geisterhände in versperrtem Raum
Sind sie in uns und haben immer Leben.

Und drei sind Eins: ein Mensch, ein Ding, ein Traum.

(Hugo von Hofmannsthal, Terzinen über Vergänglichkeit III, aus: Die Gedichte (Ausgabe 1924), 1895, Online-Quelle)

Nachts in der träumenden Stille

Nachts in der träumenden Stille
Kommen Gedanken gegangen,
Nachts in der träumenden Stille
Atmet, zittert ein Bangen,
Nachts in der träumenden Stille,
Ratlose quälende Fragen.
Weit über alles Sagen
Kommen Gedanken gegangen,
Atmet, zittert ein Bangen
Nachts in der träumenden Stille.

(Gustav Falke, Nachts in der träumenden Stille, aus: Tanz und Andacht. Gedichte, 1893, Online-Quelle)

Wünschelrute

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.

(Joseph von Eichendorff, Wünschelrute, erschienen 1838 im Deutschen Musenalmanach, aus: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, Nachlese, Die Feier, 1962, Artikel Wikipedia, Online-Quelle)


Mond auf der Leitung – 365tageasatzaday

Quelle: ichmeinerselbst, schon ziemlich lange her

Das, ihr Lieben, ist eine Ansammlung von Lieblingsgedichten, aus keinem anderen Grund als dem Jahresanfang. Ja, das eine oder andere könnte euch bekannt vorkommen, wenn ihr hier schon länger lest.

Ich habe Anfang Dezember bei so einem (englischsprachigen) Suchbild-Orakel mitgemacht (auf Twitter bei Ulli) (Die ersten vier Worte, du liest, werden dein Mantra für dein neues Jahr sein). Ihr kennt die, so eine wirre Ansammlung von Buchstaben, wo sich Wörter herauskristallisieren, wenn man länger hinschaut? Ich fand es passend, dass es ein englisches Suchbild war, weil mein Kopf dann anders tickt. Hier ist das Ergebnis: connection, strength, purpose, creation. Spontan nicht das, was ich erwartet und/oder typisch für mich gefunden hätte, aber ich fand es gerade deswegen sehr interessant. Nun denn.

Ich hoffe, ihr seid fröhlich ins neue Jahr gerutscht und kommt gut in und durch die erste Woche! 😉

 

Von Nacht und Träumen

Über deine Augenlider

Über deine Augenlider
zärtlich sacht
strich mit weichem Flaumgefieder
der Wundervogel der Nacht.

Seine grossen grünen Schwingen
sind von Träumen schwer.
Horch: er will singen
von Palmenwäldern und seltnen süssen Dingen
weit weit kommt er her …

(Richard von Schaukal, Über deine Augenlider, aus: Ausgewählte Gedichte, 1904, Nachweis, Online-Quelle)

Sternenlied

Es rauschen die Bäume,
Es golden die Sterne
Am nachtblauen Himmel.
Wir warten auf Träume.

Jetzt wagen wir leise
Die kleinen Gebete.
Gott mög uns behüten
Zur nächtlichen Reise.

Es golden die Sterne
Im einsamen Weiher.
Ein Mondvogel irrt noch
In nachtblauer Ferne.

(Francisca Stoecklin, Sternenlied, aus: Gedichte, 1920/21, Nachweis, Online-Quelle)

Mondnacht

Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

(Joseph von Eichendorff, Mondnacht, Erstdruck 1837, aus: Gedichte (Ausgabe 1841), Online-Quelle)


Quelle: Pixabay


Kommt alle gut und heil und fröhlich in und durch die neue Woche!


Von Nacht und Nachtigallen

Nachts

Ich wandre durch die stille Nacht,
Da schleicht der Mond so heimlich sacht
Oft aus der dunklen Wolkenhülle,
Und hin und her im Tal
Erwacht die Nachtigall,
Dann wieder alles grau und stille.

O wunderbarer Nachtgesang:
Von fern im Land der Ströme Gang,
Leis Schauern in den dunklen Bäumen –
Wirrst die Gedanken mir,
Mein irres Singen hier
Ist wie ein Rufen nur aus Träumen.

(Joseph von Eichendorff, Nachts, in: Wanderlieder, aus: Gedichte (1841), Online-Quelle)

Schöne Junitage

Mitternacht, die Gärten lauschen,
Flüsterwort und Liebeskuß,
Bis der letzte Klang verklungen,
Weil nun alles schlafen muß –
Flußüberwärts singt eine Nachtigall.

Sonnengrüner Rosengarten,
Sonnenweiße Stromesflut,
Sonnenstiller Morgenfriede,
Der auf Baum und Beeten ruht –
Flußüberwärts singt eine Nachtigall.

Straßentreiben, fern, verworren,
Reicher Mann und Bettelkind,
Myrtenkränze, Leichenzüge,
Tausendfältig Leben rinnt –
Flußüberwärts singt eine Nachtigall.

Langsam graut der Abend nieder,
Milde wird die harte Welt,
Und das Herz macht seinen Frieden,
Und zum Kinde wird der Held –
Flußüberwärts singt eine Nachtigall.

(Detlev von Liliencron, Schöne Junitage, aus: Neue Gedichte, 1895, Online-Quelle)

Tief in den Himmel verklingt

Tief in den Himmel verklingt
Traurig der letzte Stern,
Noch eine Nachtigall singt
Fern, – fern.
Geh schlafen, mein Herz, es ist Zeit.
Kühl weht die Ewigkeit.

Matt im Schoß liegt die Hand,
Einst so tapfer am Schwert.
War, wofür du entbrannt,
Kampfes wert?
Geh schlafen, mein Herz, es ist Zeit.
Kühl weht die Ewigkeit.

(Ricarda Huch, Tief in den Himmel verklingt, aus: Herbstfeuer, 1944, Online-Quelle)

Wo aber fliegen die Abendvögel hin?

Die Tauben schlummern im Hause:
Wo aber fliegen die Abendvögel hin?
Der Wasserfall dämpft sein Gebrause:
Wo aber rinnen die Bäche hin?
Friedlich wurzelt der Rauch auf den Dächern:
Wo aber strömt das Nachtgewölk hin?
Lichter stehen in tausend Gemächern:
Wo aber sinken die Sterne hin?
Immer indem wir liegen und schlafen
Lösen sich Schiffe dunkel vom Hafen.

(Albin Zollinger, Wo aber fliegen die Abendvögel hin?, aus: Gedichte, 1933. Beleg, Online-Quelle)


Quelle: Pixabay


Kommt alle gut und heil in und durch die neue Woche!


Von Ostern

Am H. Oster-Tage

Auff den 12. Psalm

Bewahr mich Herr, thu mir zu Rettung kommen.

Fegt ab von euch den Sauerteig der Erden,
Den Sauerteig der alten bösen Zeit,
Auff daß ihr so ein neuer Teig mögt werden,
Als wie ihr dann auch ungesäuert seyd.

Das Osterlamb, das Opffer, so wir haben,
Ist Christus selbst, geschlachtet für die Welt,
Drumb lasset uns die Seele mit ihm laben,
Laßt uns auch sein den Teig, der ihm gefelt.

Damit ihr mögt die neuen Ostern halten,
So seyd auch neu und werdet nach der Zeit
Ein neuer Teig, nemt für den sauern alten,
Den süssen Teig der Lieb und Lauterkeit.

(Martin Opitz, Am H. Oster-Tage, aus: Die Episteln der Sontage und fürnembsten Fest deß gantzen Jahrs, 1628, Online-Quelle)

Ewige Ostern

Als sie warfen Gott in Banden,
Als sie ihn ans Kreuz geschlagen,
Ist der Herr nach dreien Tagen
Auferstanden.

Felder dorren. Nebel feuchten.
Wie auch hart der Winter wüte:
Einst wird wieder Blüt’ bei Blüte
Leuchten.

Ganz Europa brach in Trümmer,
Und an Deutschland frißt der Geier, –
Doch der Frigga heiliger Schleier
Weht noch immer.

Leben, Liebe, Lenz und Lieder:
Mit der Erde mag’s vergehen.
Auf dem nächsten Sterne sehen
Wir uns wieder.

(Klabund, Ewige Ostern, aus: Die Harfenjule, Berlin 1927, Online-Quelle)

[Andre haben andre Schwingen]

Andre haben andre Schwingen,
Aber wir, mein fröhlich Herz,
Wollen grad hinauf uns singen,
Aus dem Frühling himmelwärts!

(Joseph von Eichendorff, Andre haben andre Schwingen, in: VI. Geistliche Gedichte, aus: Gedichte, 1841, Online-Quelle)


Quelle: Pixabay


Ich bin nicht fröhlich, daher tue ich mich gerade schwer mit unbeschwerten Gedichten. Andererseits: Lachen hilft. Das Herz aufwärmen hilft. Die Füße in die Erde graben und den Kopf in den Nacken legen hilft. Wenigstens kurz.
Die Balance ist schwierig.

Euch allen schöne Rest-Ostern, und kommt gut und in durch die neue Woche!


Vom Lesen und dem Buch

Schrifften.

Man schilt die schwartze Kunst: Ich halte viel von jhr;
Dann durch die schwartze Schrifft kümmt Kunst auff weiß Papier/
Und vom Papier ins Haupt/ und so fort für und für.

(Friedrich von Logau, Schrifften, aus: Salomons von Golaw deutscher Sinn-Getichte drei Tausend, Desz andren Tausend achtes Hundert, 49., entstanden 1650, Online-Quelle, Online-Quelle)

Das Bilderbuch

Von der Poesie sucht Kunde
Mancher im gelehrten Buch,
Nur des Lebens schöne Runde
Lehret dich den Zauberspruch;
Doch in stillgeweihter Stunde
Will das Buch erschlossen sein,
Und so blick ich heut hinein,
Wie ein Kind im Frühlingswetter
Fröhlich Bilderbücher blättert,
Und es schweift der Sonnenschein
Auf den buntgemalten Lettern,
Und gelinde weht der Wind
Durch die Blumen, durch das Herz
Alte Freuden, alten Schmerz –
Weinen möcht ich, wie ein Kind!

(Joseph von Eichendorff, Das Bilderbuch, Erstdruck 1837, aus: Gedichte (Ausgabe 1841) / 2. Sängerleben, Online-Quelle)

Der Leser

Wer kennt ihn, diesen, welcher sein Gesicht
wegsenkte aus dem Sein zu einem zweiten,
das nur das schnelle Wenden voller Seiten
manchmal gewaltsam unterbricht?

Selbst seine Mutter wäre nicht gewiß,
ob er es ist, der da mit seinem Schatten
Getränktes liest. Und wir, die Stunden hatten,
was wissen wir, wieviel ihm hinschwand, bis

er mühsam aufsah: alles auf sich hebend,
was unten in dem Buche sich verhielt,
mit Augen, welche, statt zu nehmen, gebend
anstießen an die fertig-volle Welt:
wie stille Kinder, die allein gespielt,
auf einmal das Vorhandene erfahren;
doch seine Züge, die geordnet waren,
blieben für immer umgestellt.

(Rainer Maria Rilke, Der Leser, aus: Der neuen Gedichte anderer Teil, 1918, Online-Quelle)

 

Quelle: Pixabay

 

Kommt alle gut und heil in und durch die neue Woche! 😀

Update Adventüden 2021: Höchst erfreuliche 11 Etüden haben mich bisher erreicht! Bitte gerne weiter so!

 

Zwischen den Jahren

Wünschelrute

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.

(Joseph von Eichendorff, Wünschelrute, erschienen 1838 im Deutschen Musenalmanach, aus: Gesammelte Werke. Band 1: Gedichte, Nachlese, Die Feier, 1962, Artikel Wikipedia, Online-Quelle)

Regen weit und breit

Da draußen regnet es weit und breit.
Es regnet graugraue Verlassenheit.
Es plaudern tausend flüsternde Zungen.
Es regnet tausend Erinnerungen.
Der Regen Geschichten ums Fenster rauscht.
Die Seele gern dem Regen lauscht.

Der Regen hält dich im Haus gefangen.
Die Seele ist hinter ihm hergegangen.
Die Insichgekehrte ist still erwacht,
Im Regen sie weiteste Wege macht.
Du sitzt mit stummem Gesicht am Fenster,
Empfängst den Besuch der Regengespenster.

(Max Dauthendey, Regen weit und breit, aus: Gesammelte Werke, Bd. 2 „Aus fernen Ländern“, S. 588/589, Albert Langen, München 1925)

Die Nicht-Gewesenen.

Über ein Glück, das du flüchtig besessen,
Tröstet Erinnern, tröstet Vergessen,
Tröstet die alles heilende Zeit.
Aber die Träume, die nie errung’nen,
Nie vergeß’nen und nie bezwung’nen,
Nimmer verläßt dich ihr sehnendes Leid.

(Isolde Kurz, Die Nicht-Gewesenen., aus: Gedichte, 1888, Online-Quelle)

Aus tausend Quellen quillt die Nacht

Aus tausend Quellen quillt die Nacht
Und übernimmt den Himmel unsrer Träume.
Da ist ein Licht noch – dort noch Bäume,
Dann nichts mehr. Sintflut. Nur noch Nacht.

Aus Ozeanen ohne Licht erheben sich Gedanken,
Wie Meerestiere schwimmen unsre Träume
Mit schweren Flossen durch die Finsternis der Räume
Und kreisen um die Hoffnungsschiffe, die versanken.

(Guido Zernatto, Aus tausend Quellen quillt die Nacht, entstanden 1942 in New York, aus: Die Sonnenuhr, Gesamtausgabe 1961, Online-Quelle)

 

Quelle: Pixabay

 

Ausnahmsweise gibt es zwischen den Jahren mal Lieblingsgedichte. Manche werdet ihr vielleicht kennen, andere nicht.

Genießt die hoffentlich ruhigen Tage und rutscht gut rüber, falls wir uns vorher nicht mehr lesen sollten!

 

Von Weihnachten zu Weihnachten

 

Weihnachten

Markt und Straßen stehn verlassen,
Still erleuchtet jedes Haus,
Sinnend geh’ ich durch die Gassen,
Alles sieht so festlich aus.

An den Fenstern haben Frauen
Buntes Spielzeug fromm geschmückt,
Tausend Kindlein stehn und schauen,
Sind so wunderstill beglückt.

Und ich wandre aus den Mauern
Bis hinaus in’s freie Feld,
Hehres Glänzen, heil’ges Schauern!
Wie so weit und still die Welt!

Sterne hoch die Kreise schlingen,
Aus des Schneees Einsamkeit
Steigt’s wie wunderbares Singen –
O du gnadenreiche Zeit!

(Joseph von Eichendorff, Weihnachten, Erstdruck 1837, aus: Gedichte/6. Geistliche Gedichte, Online-quelle)

 

Weihnachten

Nun ist das Fest der Weihenacht,
das Fest, das alle glücklich macht,
wo sich mit reichen Festgeschenken
Mann, Weib und Greis und Kind bedenken,
wo aller Hader wird vergessen
beim Christbaum und beim Karpfenessen; —
und Groß und Klein und Arm und Reich, —
an diesem Tag ist alles gleich.
So steht’s in vielerlei Varianten
in deutschen Blättern. Alten Tanten
und Wickelkindern rollt die Zähre
ins Taschentuch ob dieser Mähre.
Papa liest’s der Familie vor,
und alle lauschen und sind Ohr…
Ich sah, wie so ein Zeitungsblatt
ein armer Kerl gelesen hat.
Er hob es auf aus einer Pfütze,
dass es ihm hinterm Zaune nütze.

(Erich Mühsam, Weihnachten, Erstdruck in: Der Krater. Berlin (Morgen) 1909, Online-Quelle bei der Erich-Mühsam-Gesellschaft)

 

Einsiedlers heiliger Abend

Ich hab’ in den Weihnachtstagen –
Ich weiß auch, warum –
Mir selbst einen Christbaum geschlagen,
Der ist ganz verkrüppelt und krumm.

Ich bohrte ein Loch in die Diele
Und steckte ihn da hinein
Und stellte rings um ihn viele
Flaschen Burgunderwein.

Und zierte, um Baumschmuck und Lichter
Zu sparen, ihn abends noch spät
Mit Löffeln, Gabeln und Trichter
Und anderem blanken Gerät.

Ich kochte zur heiligen Stunde
Mir Erbsensuppe mit Speck
Und gab meinem fröhlichen Hunde
Gulasch und litt seinen Dreck.

Und sang aus burgundernder Kehle
Das Pfannenflickerlied.
Und pries mit bewundernder Seele
Alles das, was ich mied.

Es glimmte petroleumbetrunken
Später der Lampendocht.
Ich saß in Gedanken versunken.
Da hat’s an der Türe gepocht,

Und pochte wieder und wieder.
Es konnte das Christkind sein.
Und klang’s nicht wie Weihnachtslieder?
Ich aber rief nicht: „Herein!“

Ich zog mich aus und ging leise
Zu Bett, ohne Angst, ohne Spott,
Und dankte auf krumme Weise
Lallend dem lieben Gott.

(Joachim Ringelnatz, Einsiedlers Heiliger Abend, aus: Allerdings, 1928, Online-Quelle)

 

Weihnachtsbeleuchtung in Moskau | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

Ich habe neulich den Satz gehört (nein, nicht in der Werbung), der alles für mich auf den Punkt brachte: Ohne Liebe ist es nur ein Fest.
Friedliche und fröhliche, stille, entspannte, harmonische Tage wünsche ich euch also. Nicht gleich abwehren, bitte! Eine Sehnsucht zu haben, in der man sich wiederfindet, ist wichtig.
Also: von Herzen. Mit Liebe.

 

 

 

Vom Sommer und dem Fliegen

 

Sommermonde machen Stroh aus Erde,
Die Kastanienblätter wurden ungeheuer von Gebärde,
Und die kühnen Bäume stehen nicht mehr auf dem Boden,
Drehen sich in Lüften her gleich den grünen Drachen.
Blumen nahen sich mit großen Köpfen und scharlachen,
Blau und grün und gelb ist das Gartenbeet, hell zum Greifen,
Als ob grell mit Pfauenschweifen ein Komet vorüberweht.
Und mein Blut, das atemlos bei den sieben Farbenstreifen stille steht,
Fragt sich: wenn die Blum’, Baum und Felder sich verschieben,
Ob zwei Menschen, wenn die Welt vergeht,
Zweie, die sich lieben, nicht von allen Wundern übrig blieben.

(Max Dauthendey, Sommermonde machen Stroh aus Erde, aus: Weltspuk, in: Gesammelte Gedichte und kleinere Versdichtungen, Albert Langen, München 1930, S. 361)

 

Flugzeuggedanken

Dort unten ist die Erde mein
Mit Bauten und Feldern des Fleißes.
Wenn ich einmal werde nicht mehr sein,
Dann graben sie mich dort unten hinein,
Ich weiß es.

Dort unten ist viel Mühe und Not
Und wenig wahre Liebe. –
Nun stelle ich mir sekundenlang
Vor, daß ich oben hier bliebe,
Ewig, und lebte und wäre doch tot…
Oh, macht mich der Gedanke bang.

Mein Herz und mein Gewissen schlägt
Lauter als der Propeller.
Du Flugzeug, das so schnell mich trägt,
Flieg schneller!

(Joachim Ringelnatz, Flugzeuggedanken, aus: Flugzeuggedanken, Berlin 1929, S. 7, Online-Quelle)

 

Mondnacht.

Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt’.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Aehren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

(Joseph von Eichendorff, Mondnacht., 1835, Online-Quelle)

 

Quelle: ichmeinerselbst, aber mit Freuden!

 

Ich bin, ich muss es gestehen, ein Fan von Flugvorführungen. Also Greifvögel, dass wir uns richtig verstehen. Nein, ich besuche jetzt keine Tierparks extra dafür, aber wenn ich schon mal in die Nähe von so etwas Attraktivem wie der Adlerwarte Berlebeck gerate und genug Zeit habe, dann muss ich da rein. Und natürlich kommt die Kamera dann zum Einsatz, auch wenn leider Gottes (in diesem Fall) prallste Sonne ist und ich WEISS, dass alle weißen Stellen rettungslos überstrahlt und ausgefressen sind, weil die Biester halt verdammt nicht stillsitzen und ich nicht beliebig rumrennen kann und darf (bei Blümchen geht das ja meist noch) und ich einfach nur diese wunderschönen Tiere knipsen möchte. Gleiches gilt, mit Abstrichen, übrigens auch für die ebenso wunderhübschen Gaukelviecher, die ich Herrn Autopict versprochen habe (dieser unruhige Schmetterlingsflieder-Hintergrund killt mich, aber was solls).

 

Last but not least, mit Dank & zum Start für die neue Woche den Soundtrack des Tages, denn der wunderbare Tag wurde von einem ebensolchen Abend gefolgt:

Musik for the Kitchen: Ich steh mit Ruth gut!

 

Klickt rein, es lohnt sich!
Und kommt gut in die neue Woche! 🙂

 

Die blaue Blume

 

Die blaue Blume

Ich suche die blaue Blume,
Ich suche und finde sie nie,
Mir träumt, dass in der Blume
Mein gutes Glück mir blüh.

Ich wandre mit meiner Harfe
Durch Länder, Städt und Au’n,
Ob nirgends in der Runde
Die blaue Blume zu schaun.

Ich wandre schon seit lange,
Hab lang gehofft, vertraut,
Doch ach, noch nirgends hab ich
Die blaue Blum geschaut.

(Joseph von Eichendorff, Die blaue Blume, 1818, Quelle)

 

Die blaue Blume ist ein Symbol, das sicherlich viele von euch kennen. Hier gibt es nicht nur das Gedicht, sondern auch noch Verweise dazu, hier ist der Wikipediaeintrag. Nicht fehlen darf an dieser Stelle dann auch der Verweis auf Novalis’ „Heinrich von Ofterdingen“, der Quelle der literarischen Darstellung der blauen Blume, denn eigentlich denkt man bei der blauen Blume an die Zeit der Romantik und an Novalis.
Novalis’ folgendes Gedicht gehört für mich schon seit sehr langer Zeit zu meinen „Sinngedichten“.

 

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen,
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt in’s freie Leben,
Und in die Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu echter Klarheit werden gatten,
Und man in Märchen und Gedichten
Erkennt die ewgen Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen sofort.

(aus: Novalis, Heinrich von Ofterdingen, 1800, Quelle)

 

Blaue Blume | 365tageasatzadayQuelle: ichmeinerselbst

 

Kommt gut in die neue Woche!

 

Von Advent bis Weihnachten

 

Advent

Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt,
und manche Tanne ahnt, wie balde
sie fromm und lichterheilig wird,
und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin – bereit,
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.

(Rainer Maria Rilke, Advent, aus: Erste Gedichte, 1913, Quelle)

 

Weihnachten

Markt und Straßen stehn verlassen,
Still erleuchtet jedes Haus,
Sinnend geh’ ich durch die Gassen,
Alles sieht so festlich aus.

An den Fenstern haben Frauen
Buntes Spielzeug fromm geschmückt,
Tausend Kindlein stehn und schauen,
Sind so wunderstill beglückt.

Und ich wandre aus den Mauern
Bis hinaus in’s freie Feld,
Hehres Glänzen, heil’ges Schauern!
Wie so weit und still die Welt!

Sterne hoch die Kreise schlingen,
Aus des Schneees Einsamkeit
Steigt’s wie wunderbares Singen –
O du gnadenreiche Zeit!

(Joseph von Eichendorff, Weihnachten, aus: Joseph Freiherrn von Eichendorff‘s sämmtliche Werke. 1. Band, 1864, Quelle)

 

Weihnachtsbaum | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

Dies sind zwei Gedichte, die ich seit meiner Kindheit kenne und schätze. Wann, wenn nicht jetzt, wäre die beste Zeit dafür, sie auf den Blog zu stellen? (Ach, Anna-Lena, das sieht jetzt ja vielleicht so aus, als ob – nein, ich hatte dieses Gedicht schon Mitte letzter Woche für heute vorgeplant, nichts für ungut, ja?)

Kommt gut in und durch die letzte Vorweihnachtswoche, und wenn ihr irgendwie könnt, genießt die Tage, bevor sie schon wieder vorbei sind!

 

September, die Ersten

Septembertag

 

Dies ist des Herbstes leidvoll süße Klarheit,
die dich befreit, zugleich sie dich bedrängt;
wenn das kristallene Gewand der Wahrheit
sein kühler Geist um Wald und Berge hängt.

Dies ist des Herbstes leidvoll süße Klarheit …

Christian Morgenstern, Septembertag, aus: Und aber ründet sich ein Kranz (1. Auflage 1902), Quelle

 

Berge | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

Herbst

 

Nun lass den Sommer gehen,
Lass Sturm und Winde wehen.
Bleibt diese Rose mein,
Wie könnt ich traurig sein?

Joseph von Eichendorff (Quelle)

 

Rose | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

Kommt gut in die neue Woche!

 

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