Hab ich dir schon mal gesagt, dass du ziemlich merkwürdig bist?«
»Merkwürdig oder bemerkenswert?« Sie kam zu ihm ins Wohnzimmer. »Gib acht, was du sagst, und keine unverzeihlichen Flüche bitte, darauf steht Askaban, du weißt! Was meinst du überhaupt … oh!« Sie brach ab. »Ihr habt zu Hause nicht gepuzzelt, was?«
»Nie.« Ihr Freund starrte auf die sieben Holzteile auf dem Tisch. Zwei große, ein mittleres und zwei kleine Dreiecke, ein Quadrat und ein Parallelogramm. »Und was ist das jetzt? Eigentlich sind wir für Holzspielzeug doch zu alt?«
»Tangram. Ich liebe es.«
Sein zärtlicher Blick streifte sie. »Und das ist?«
»Chinesisches Legespiel, jahrhundertealt, ›Siebenschlau‹ genannt. Man muss vorgegebene Figuren nachlegen, wobei alle sieben Teile verwendet werden müssen und keine Teile übereinander liegen dürfen. Stärkt das räumliche Vorstellungsvermögen, heißt es. Angeblich sind Männer darin besser als Frauen.«
Er biss an. SO typisch!
»Was für Figuren?«
»Menschen, Tiere, Gegenstände, geometrische Figuren. Dazu gibt es Spielbücher, such ich dir raus. Fang doch damit an, ein Quadrat zu legen. Oder ein Rechteck.«
Während sie sich um den Kaffeenachschub kümmerte, sah sie ihm amüsiert zu, wie er stirnrunzelnd, aber unverdrossen die Teile hin und her schob und aneinanderfügte. Für einen Anfänger war er gar nicht schlecht.
»Das Parallelogramm musst du kippen«, verriet sie ihm noch, »das ist das einzige Teil, wo sich dadurch signifikant was ändert.«
»Geht klar«, antwortete er geistesabwesend. Er vertiefte sich in das Spiel, und sie konnte seine Gehirnwindungen förmlich knistern hören. Längst hatte sie ihn auf die ersten Spielvorlagen für Tiere angesetzt, die meisten fand sie deutlich leichter zu durchdringen als die kompakten geometrischen Figuren.
»Eigentlich ganz einfach«, stellte er irgendwann fest und sah auf. »Der Trick dabei ist, dass man die Teile in die Figuren hineinprojizieren und das dann nachlegen muss. Und jetzt? Hast du rein zufällig ein zweites Set, damit wir gegeneinander auf Zeit spielen können?«
Hatte sie, aber sie schmollte. »Geschwindigkeit ist das, worin ich nicht gut bin.«
»Meine Chance«, nickte er, »gönn mir doch auch was.«
Hatte sie da etwa einen Hoffnungsschimmer in seinen Augen gesehen? Okay, bitte, wenn er wollte, sie war ja großzügig. »Um was spielen wir?«
»Drei Runden? Der Verlierer kocht UND wäscht ab?«
»Deal.«
Sie gewann. Natürlich. Eigentlich war es unfair, denn sie war nun mal sehr viel erfahrener. Sie gewann so deutlich, dass sie sich fast schämte – und dann misstrauisch wurde. War das eine Falle? Führte der was im Schilde?
Misstrauisch beobachtete sie ihn, als er zum Handy griff. »Ich nehme mal an, für dich eine Pizza Diavolo extrascharf und eine doppelte Portion Wackelpudding grün?«, grinste er. »Bist du mir sehr böse, wenn ich dir gestehe, dass ich überhaupt keine Lust auf den Erbseneintopf von vorgestern habe, den du uns sonst aufgetischt hättest?«
Sie griff sich ein Kissen und zog es ihm über den Kopf. Lachend ließ sie sich neben ihn auf die Couch fallen. »Ich hätte von Anfang an wissen müssen, dass ich dir nicht trauen kann!«
Er legte den Arm um sie. Einträchtig warteten sie auf das Eintreffen des Lieferdienstes.
Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir
Für die abc.etüden (Extraetüden), Woche 05.2022: 5 Begriffe, maximal 500 Wörter. Die Wortspende stammt dieses Mal von Ludwig Zeidler und Tanja (Stachelbeermond). Die möglichen Wörter lauten: Hoffnungsschimmer, unverzeihlich, nähen, Wackelpudding, unverdrossen, knistern, und ich habe mir die Freiheit genommen, »nähen« nicht unterzubringen.
Ihr habt es gerade gelesen: Ich habe zurzeit null Lust auf Tiefgang oder Stress, heile Welt, bitte bei mir klingeln!
Da das nicht so einfach ist, habe ich mehr oder weniger zufällig eine alte Liebe reaktiviert: Tangram. Ihr habt Glück, ihr kommt um die lange Erklärung herum, bis auf den Verweis auf die Wikipedia (deutsch) (englisch, ist besser) und den Hinweis, dass die Tangram-Teile mathematischen Vorgaben folgen, was die Abmessungen angeht, und dass sich daraus interessante Probleme ergeben. Schaut mal hier auf diese (sehr alte) Seite der Uni Bielefeld, wenn euch derartige Fragen interessieren, und bitte: Verstehen tue ich davon nichts, Rückfragen diesbezüglich also nicht an mich!
Quelle: Joost Elffers: Tangram – Das alte chinesische Formenspiel, dumont 1976, Ausschnitt S. 24/25
Ich habe über die Jahre immer wieder Ausschau nach einer gescheiten Tangram-App für Smartphones gehalten, vor gut 2 Wochen habe ich eine gefunden (nur für Android) und spiele mich mit Feuereifer durch die Vorlagen. Tatsächlich bekomme ich aber im »Experten«-Modus Schwierigkeiten, weil mir das nachzulegende Bild zu klein ist, also ziehe ich es groß und lege es erst mal händisch mit meinen »Bordmitteln«, um es dann im Smartphone nachzubilden. Das sieht dann aus wie folgt:
Quelle: Screenshot Tangram-App
Mein geliebtestes Tangram ist das ziemlich unverwüstliche aus Ahornholz, das ihr hier seht, und das ich meiner Erinnerung nach gekauft habe, als ich entweder noch zu Hause oder an der Uni war … es ist also schon bisschen her. Klar habe ich noch mehr, aber die sind alle aus Kunststoff, und wenn sich mit denen auch gut spielen lässt – Holz ist Holz.
Quelle: ichmeinerselbst, wer denn sonst