Nächtliche Stunde
Nächtliche Stunde, die mir vergeht,
da ich’s ersinne, bedenke und wende,
und diese Nacht geht schon zu Ende.
Draußen ein Vogel sagt: es ist Tag.
Nächtliche Stunde, die mir vergeht,
da ich’s ersinne, bedenke und wende,
und dieser Winter geht schon zu Ende.
Draußen ein Vogel sagt: es ist Frühling.
Nächtliche Stunde, die mir vergeht,
da ich’s ersinne, bedenke und wende,
und dieses Leben geht schon zu Ende.
Draußen ein Vogel sagt: es ist Tod.
(Karl Kraus, Nächtliche Stunde, aus: Worte in Versen VII., 1923, Online-Quelle)
Terzinen über Vergänglichkeit I
Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen:
Wie kann das sein, daß diese nahen Tage
Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?
Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,
Und viel zu grauenvoll, als daß man klage:
Daß alles gleitet und vorüberrinnt.
Und daß mein eignes Ich, durch nichts gehemmt,
Herüberglitt aus einem kleinen Kind
Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd.
Dann: daß ich auch vor hundert Jahren war
Und meine Ahnen, die im Totenhemd,
Mit mir verwandt sind wie mein eignes Haar,
So eins mit mir als wie mein eignes Haar.
(Hugo von Hofmannsthal, Terzinen über Vergänglichkeit I, aus: Gedichte, entstanden 1894, Online-Quelle)
ÜBER EINE WEILE — —
Nur eine Weile muß vergehn;
Dann ist auch dieses überstanden.
Dann wird mit hell euch zugewandten
Augen das Neue vor euch stehn.
Und eh ihr fragt, wie ihr dem Neuen
Euch fügen wollt, zwingt Gegenwart
Zum Danken oder zum Bereuen.
Leicht schmilzt ein Leid. Die Schuld ist hart.
(Joachim Ringelnatz, Über eine Weile, aus: Gedichte dreier Jahre, 1932, Online-Quelle)
Quelle: Pixabay
Kommt gut und sanft in und durch die neue Woche; und möge sie für euch sonnig sein!