Das Kleid – Die Aussprache | abc.etüden

Nachdem ich die ersten beiden Etüden entworfen hatte, war mir klar, dass es da noch offene Fragen gab, die eine Antwort verdienten. Warum war sie so ausgeflippt? Warum war ihr nicht aufgefallen, dass mit ihm etwas nicht okay war, hätte das nicht eigentlich sein müssen?
Eure Fragen/Kommentare (danke!) haben mich darin bestärkt, dass es eine dritte Etüde geben muss, denn die Lösung ist ziemlich simpel und damit begründbar, dass jede*r halt manchmal sein individuelles Brett vor dem Kopf hat …

Bitte schön, hier ist sie.

Es ist sinnvoll, alle drei nacheinander zu lesen. Hier sind die beiden ersten Teile (von vorgestern und gestern).

Das Kleid – Sie
Das Kleid – Er


 

Fühl mich bei dir geborgen, setz mein Herz auf dich …«

Sie starrte ihn an. »Und das ist wirklich alles? Mehr ist nicht?«

Nun, DAS war nicht ganz die erwartete Reaktion. »Mehr ist nicht«, bestätigte er feierlich.

»Aber du hast was mit ›Fettfleck‹ gesagt, als du mich gesehen hast!«

Er nahm einen Zipfel der Picknickdecke und wischte ihr über das tränennasse Gesicht.

»Hab ich nicht. Ich hab ›nettes Kleid‹ oder etwas ähnlich Bescheuertes gesagt. Ehrlich.«

»Ich bin aber fett geworden während Scheißcorona. Und du auch. Wir haben beide zu viel gegessen und sind nicht rausgegangen. Wohin denn auch.«

Absolut zutreffend.

»Ich hab gedacht, du findest mich nicht mehr attraktiv, und als du mich dann noch beleidigt hast, dachte ich, du hast eine andere. Weil – es ist ja gerade wirklich wenig im Bett los zwischen uns.«

»Schatz, hör doch mal. Normalerweise hätte ich dir dein Kleid mit diesem höchst verwegenen Ausschnitt vom Leib gerissen. Okay, ist schon bisschen her, aber das weißt du noch, oder?«

Sie bejahte. Zögerlich. Gottseidank.

»Aber wenn ich etwas verspreche, dann will ich es auch halten, und das kann ich gerade nicht. Leider. Nur, dass du glauben würdest, dass ich fremdgehe, weil ich mich zurückziehe, darauf hätte ich kommen können. Das ist nicht gut gelaufen. Es tut mir leid.«

Sie schniefte. »Warst du beim Arzt? Du hast doch bestimmt schon alles Mögliche dazu recherchiert.«

Er nickte. »Noch nicht. Weißt du, meine allererste Frage ist: Was macht das mit mir, wenn ich nicht mehr kann? Wie sehr definiere ich mich über Sex? Und die zweite: Bleibst du trotzdem bei mir?«

Nun klang sie empört. »Du bist mein Mann. Das ist nicht nur eine Bettgeschichte. Über alles andere reden wir später.«

Er legte den Arm um sie und zog sie an sich. Ein Glas kippte um. Der Rotwein versickerte.

 

abc.etüden 2021 23+24 | 365tageasatzaday
Quelle: Photo by Jennie Clavel on Unsplash, Bearbeitung von mir

 

Für die abc.etüden, Wochen 23/24.2021: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Wortspende stammt dieses Mal von Ellen mit ihrem Blog »nellindreams«. Die Wörter lauten: Picknickdecke, verwegen, recherchieren.

 

Wer wissen möchte, woraus ich zitiere: Herbert Grönemeyer: Halt mich

 

Und wehe, irgendwer findet meine Lösung unrealistisch ;-). Ich habs mit Enden, die irgendwie positiv offen sind.

 

61 Kommentare zu “Das Kleid – Die Aussprache | abc.etüden

    • Ja, das sehe ich genauso. Und kein Leistungsstress, wo mensch aussortiert wird, wenn mensch nicht mehr passt bzw. mithalten kann.
      Komm gut durch die heißen Tage! 🌞⛲
      Morgenkaffeegrüße 😁🌞⛲☕🧊👍

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  1. Pingback: Das Kleid – Er | abc.etüden | Irgendwas ist immer

  2. Ich finde den Twist auch plausibel. So könnte es sich abspielen.
    Jetzt bin ich beruhigt.😁liebe Grüße an Dich ☕️🦦💦💧💦🍩😁

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    • Sehr schön, vielen Dank. Mir ist das immer wichtig, dass auch andere plausibel finden, was ich schreibe, damit ich mich nicht total in etwas verrenne, was einfach falsch oder zumindest unlogisch ist … 🤔😉👍
      Morgenkaffeegrüße 😁🌞⛲☕🧊🍩👍

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  3. Wenn es gut endet für die Beziehung würde ich mir noch einen irgendwie positiven Ausblick für die Zukunft. wünschen *immer hat sie was zum Nörgeln die Frau*😇🙃😇

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    • Positiver als ihr „Wir kriegen das schon irgendwie zusammen hin“? 🤔😉 Neeee.
      Ich meine, wenn man zu seinem Thema mal ins Netz schaut, stellt man fest, dass es da durchaus körperliche Ursachen geben kann, wo man ansetzen könnte, insofern halte ich seine Sache nicht für aussichtslos.
      Aber ich weiß darüber nichts, und ich wollte mich auch nicht exzessiv schlau lesen – wozu ich sonst neigen würde.
      Mir geht es eh mehr um die psychologische Ebene, siehst du ja. 😉
      Herzliche Morgenkaffeegrüße 😁🧡🌞⛲☕🧊👍

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  4. Wer zu wenig mit seinem Partner über Probleme spricht, dem bekommen sie Junge, das gilt in jedem Lebensalter und in jeder noch so lang währenden Beziehung.
    Das Fazit kann man auf jeden Fall ziehen, und dann ist da noch diese verflixte Zwischenebene im Kopf, in der die alten Minderwertigkeits-Gespenster leben, mit denen auch noch so vertraute Partner immer wieder getriggert werden, statt zu denken: hey, das würde der doch nicht sagen!
    Bei deiner Etüde sind diese Faktoren kollidiert und insgesamt finde ich den (ungeplanten) Dreiteiler als Ganzes gut und realistisch.

    Es trifft zu, dass es auch vorübergehende medizinische Gründe für Probleme mit den Sexualfunktionen gibt, aber auch, dass der Gang zum Arzt mit zunehmendem Alter zwar Klärung, aber nicht immer Wiederherstellung lieber alter Gewohnheiten bringt.
    Jede Frau sollte sich gegen das klassische (männliche) Urteil wehren, dass sie bei jedweden Krisen medikamentös funktionsfähig gemacht, beruhigt und in die Spur gebracht werden sollte, aber für Männer gilt dasselbe.

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    • Jawollja, da komme ich aus dem bestätigenden Nicken gar nicht mehr raus.
      Speziell die überwiegend medikamentöse Behandlung jedweder Krise („Nimm eine Pille, dann ist es weg“) halte ich für (verbreitet und) ziemlich fatal, auch als Anspruchshaltung.
      Ja, das gilt gerade auch für Männer. Mir kommt es so vor, dass Frauen öfter als Männer daran gewöhnt sind, sich selbst zu hinterfragen, daher treffen Krisen dieser Art Männer oft unvorbereiteter.
      Danke dir! 😁🧡
      Heiße Mittagskaffeegrüße 😁🌞🌡️⛲☕🧊👍

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      • Nein, das glaube ich nicht, Christiane. Bloß wir Männer sind viel weniger kommunikativ in diesem Bereich als Frauen. Ihr vertraut euch – auch bei solchen Dingen – denke ich eher mal eurer besten Freundin an. Bei uns Männern sind Gespräche über ein solches Thema im Negativfall eher ein Tabu. Nur im positiven Falle ist – nicht nur der beste Freund – eingebunden und es wird dann schon mal einer auf dicke Hose gemacht.

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        • Warte mal, Werner. Was genau glaubst du nicht?
          Ich habe in meiner Antwort an Heide zwei Dinge vermischt. Ich kenne einerseits Männer, die gegen alles eine Pille einwerfen bzw. zum Arzt rennen, damit der was tut, damit sie wieder „funktionieren“, wenn sie „versagen“ (allein das Wort ist ja schon eine Drohung). Diese Sorte Mann dürfte vermutlich auch Kunde für die kleinen blauen (etc.) Pillen sein. Und wenn das nicht klappt, dann sind sie aufgeschmissen, weil das bedeutet, dass sie was ändern müss(t)en, und das fällt oft schwer, weil es immer zuerst Angst macht.
          Ich weiß andererseits auch, dass viele Männer gerade über so intime Dinge nur dann reden, wenn sie unbedingt müssen, egal mit wem. Aber auch Frauen sind so, auch in der weiblichen Tratschkultur sind Details (speziell problematische) nicht unbedingt Alltagsgespräch, ich würde sagen, da kommt es ganz stark auf das Alter, die Sozialisation und vielleicht auch den Druck an, der auf der betreffenden Frau lastet.

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  5. Na also, das klärende Gespräch fand statt und verlief für beide wohltuend und unaufgeregt.
    Nun kanns weitergehen, gemeinsam und auf beiden Seiten beruhigt. Ich bin zufrieden 🙂 Gutes Ende und was alles noch kommen kann, wird die Zeit weisen.
    Liebe Grüße aus der Hitze von Bruni an Dich

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  6. Schön, einfach bloß schön. Sehr emotional, sehr menschlich. Die beiden lieben sich eben in guten und in weniger guten Zeiten. So sollte es sein. *TupftsicheinTränchenausdemAugenwinkel.*

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    • Weißt du, ich glaube schon, dass es ein Unterschied ist, ob diese Krise ein langjähriges Ehepaar (wie meine Protagonisten) erwischt oder Leute, die sich erst relativ kurz zuvor gefunden haben und noch voll mit dem Paarbilden und der gemeinsamen Zukunft beschäftigt sind. Und ja, das war Absicht, denn meins ist die leichtere Variante, denke ich …
      Danke für das „unaufgeregt“ 😉
      Schlafarme Nachtgrüße 😁🌡️🥤🧊👍

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      • Kommt wohl auch stark auf die Menschen an. Ich kenne Paare, da blieb einiges solange ungesagt, dass sie eine richtige Abneigung gegeneinander entwickelt haben.
        „Unaufgeregt“ ist eines meiner höchsten Komplimente. Ich lese lieber „Slice of life“ als Thriller. 😇
        Sonnige (hitzige) Grüße.

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        • Danke dir, ich habe es auch als Kompliment verstanden und mich gefreut 😁🧡
          Ich habe mir relativ reflektierte Protagonisten ausgedacht, die zwar Macken haben (na klar!), aber aneinander interessiert sind, auch nach all den Jahren. Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist, aber es ist halt das, wie ich leben möchte: zugewandt. 😁
          Hier ist es heute auszuhalten: knapp 30 Grad, leichter Wind, gutes Buch, grillende Nachbarn, schlafender Fellträger. Gibt erheblich Schlimmeres 🌞🌳🌼🥤🐈

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  7. Hmmmm richtig gut, gefällt mir gut – Deine Realität und doch blanker Optimismus und Hoffnung und auch Erleichterung, von egal was einem den Druck nimmt. – Am Ende ist es Wichtig… ja – das kann nun jeder selbst interpretieren…… was möglich ist ist grenzenlos… aber will man immer alles…..
    LG Doro

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  8. Pingback: Schreibeinladung für die Textwochen 25.26.21 | Wortspende von Allerlei Gedanken | Irgendwas ist immer

  9. Liebe Christiane,

    mir gefallen generell Enden, die offen gestaltet sind. Das regt die Phantasie (ich mag diese Schreibweise lieber als Fantasie) der Leser mehr an.

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    • Dann bist du ja richtig, weil ich zwar ein paar Voraussetzungen geschaffen habe, aber der Rest ist völlig offen … 🤔😉
      Danke dir!
      Sonntagmorgenkaffeegrüße 😁🌦️⛱️☕🍩👍

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