Balladenmontag: Archibald Douglas

Kurze Vorrede zu einer langen Ballade: Zum zweiten Mal habe ich einen Ritter in misslicher Lage für euch. Stand beim letzten Mal besagter Ritter unfreiwillig unter dem Einfluss von Zauberei (hier klicken), so ist er diesmal aufgrund seiner Zugehörigkeit zum falschen Clan in die Bredouille geraten, und so fiktiv der verzauberte Ritter war, so historisch belegt ist dieser …


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Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

»Ich hab’ es getragen sieben Jahr
Und ich kann es nicht tragen mehr,
Wo immer die Welt am schönsten war,
Da war sie öd’ und leer.

Ich will hintreten vor sein Gesicht
In dieser Knechtsgestalt,
Er kann meine Bitte versagen nicht,
Ich bin ja worden alt.

Und trüg’ er noch den alten Groll,
Frisch wie am ersten Tag,
So komme, was da kommen soll,
Und komme, was da mag.«

Graf Douglas spricht’s. Am Weg ein Stein
Lud ihn zu harter Ruh,
Er sah in Wald und Feld hinein,
Die Augen fielen ihm zu.

Er trug einen Harnisch, rostig und schwer,
Darüber ein Pilgerkleid –
Da horch, vom Waldrand scholl es her.
Wie von Hörnern und Jagdgeleit.

Und Kies und Staub aufwirbelte dicht,
Her jagte Meut’ und Mann,
Und ehe der Graf sich aufgericht’t,
Waren Roß und Reiter heran.

König Jakob saß auf hohem Roß,
Graf Douglas grüßte tief,
Dem König das Blut in die Wange schoß,
Der Douglas aber rief:

»König Jakob, schaue mich gnädig an
Und höre mich in Geduld,
Was meine Brüder dir angetan,
Es war nicht meine Schuld.

Denk nicht an den alten Douglas-Neid,
Der trotzig dich bekriegt,
Denk lieber an deine Kinderzeit,
Wo ich dich auf den Knien gewiegt.

Denk lieber zurück an Stirling-Schloß,
Wo ich Spielzeug dir geschnitzt,
Dich gehoben auf deines Vaters Roß
Und Pfeile dir zugespitzt.

Denk lieber zurück an Linlithgow,
An den See und den Vogelherd,
Wo ich dich fischen und jagen froh
Und schwimmen und springen gelehrt.

O denk an alles, was einsten war,
Und sänftige deinen Sinn,
Ich hab’ es gebüßet sieben Jahr,
Daß ich ein Douglas bin.«

»Ich seh’ dich nicht, Graf Archibald,
Ich hör’ deine Stimme nicht,
Mir ist, als ob ein Rauschen im Wald
Von alten Zeiten spricht.

Mir klingt das Rauschen süß und traut,
Ich lausch’ ihm immer noch,
Dazwischen aber klingt es laut:
Er ist ein Douglas doch.

Ich seh’ dich nicht, ich höre dich nicht,
Das ist alles, was ich kann,
Ein Douglas vor meinem Angesicht
Wär’ ein verlorener Mann.«

König Jakob gab seinem Roß den Sporn,
Bergan ging jetzt sein Ritt,
Graf Douglas faßte den Zügel vorn
Und hielt mit dem Könige Schritt.

Der Weg war steil, und die Sonne stach,
Und sein Panzerhemd war schwer,
Doch ob er schier zusammenbrach,
Er lief doch nebenher.

»König Jakob, ich war dein Seneschall,
Ich will es nicht fürder sein,
Ich will nur warten dein Roß im Stall
Und ihm schütten die Körner ein.

Ich will ihm selber machen die Streu
Und es tränken mit eig’ner Hand,
Nur laß mich atmen wieder aufs neu
Die Luft im Vaterland.

Und willst du nicht, so hab’ einen Mut,
Und ich will es danken dir,
Und zieh dein Schwert und triff mich gut
Und laß mich sterben hier.«

König Jakob sprang herab vom Pferd,
Hell leuchtete sein Gesicht,
Aus der Scheide zog er sein breites Schwert,
Aber fallen ließ er es nicht.

»Nimm’s hin, nimm’s hin und trag’ es neu
Und bewache mir meine Ruh’,
Der ist in tiefster Seele treu,
Wer die Heimat liebt wie du.

Zu Roß, wir reiten nach Linlithgow,
Und du reitest an meiner Seit’,
Da wollen wir fischen und jagen froh,
Als wie in alter Zeit.«

(Theodor Fontane, Archibald Douglas, entstanden 1854, aus (Erstdruck): Argo, Album für Kunst und Dichtung, 1857, Online-Quelle)


Stirling Castle

Stirling Castle, möchtet ihr in Rüstung diesen Berg hoch?
Quelle: Pixabay

Schön und edel, die Ballade, oder? Ein demütiger Bittsteller und ein huldvoller König, wie man sie sich wünscht. Die Sache hat nur einen Haken: Die Personen sind zwar historisch, der Vorfall ist auch überliefert, nur nicht so.

Wir bewegen uns in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in England ist Heinrich VIII. an der Macht. Dieser ist der Onkel des erwähnten »König Jakob«, Jakob V. von Schottland. Jakob, geboren 1512, war erst 17 Monate alt, als er seinem Vater auf den Thron folgte.

1525 übernahm sein Stiefvater, ein Douglas, der 6. Earl of Angus, die Regentschaft über Schottland und hielt Jakob zur Durchsetzung seiner eigenen Machtansprüche praktisch wie einen Gefangenen, bis ihm seine Mutter 1528 zur Flucht verhalf. Der Douglas aus der Ballade, Archibald Douglas of Kilspindie (Kilspindie war eine Burg im Dorf Aberlady (Wikipedia)), war der Onkel des Earls und bekleidete nicht nur mehrere hohe Posten im Staat, sondern pflegte auch über Jahre ein gutes und enges Verhältnis zu dem jungen König, der ihn wohl auch für seine, heute würde man sagen, körperliche Fitness und Gewandtheit bewunderte (er war gut 35 Jahre älter). Als Jakob V. 1528 an die Macht gelangte, wurde jedoch der gesamte Douglas-Clan des Verrats angeklagt, ihre Ländereien fielen an die Krone, die Douglas flohen ins Exil und Jakob schwor ihnen ewige Feindschaft.

Der alternde Kilspindie (wenn die Daten stimmen, muss er Ende 50 gewesen sein) kam dennoch einige Jahre später zurück und näherte sich dem König im königlichen Park von Stirling. Der König erkannte ihn, ignorierte ihn aber und ritt den Hügel zum Schloss hinauf. Kilspindie, der unter seiner Kleidung ein Kettenhemd trug (sicher ist sicher), folgte ihm zu Fuß und kam erschöpft zur gleichen Zeit an, aber der König würdigte ihn keines Blickes und verschwand, Kilspindie blieb draußen. Obwohl er darum bat, wollte ihm keiner der Bediensteten etwas zu trinken geben, da der Hass des Königs auf den Namen Douglas allen bekannt war. Der König tadelte diese Unhöflichkeit später und erklärte, hätte er keinen Eid geschworen, dass kein Douglas ihm je wieder dienen solle, hätte er dessen Wunsch entsprochen. Kilspindie ging auf seinen Befehl hin nach Frankreich, wo er jedoch bald an gebrochenem Herzen starb. Sogar Heinrich VIII., ebenfalls nicht gerade für ein ausgeglichenes Temperament bekannt, wird zu dieser Sache mit einem Sprichwort zitiert: »A Kingְ’s face should give grace« – »Das Gesicht eines Königs sollte Gnade gewähren.«

Wie ist Fontane nun zu diesem Stoff gekommen? Hier berufe ich mich auf den überaus detaillierten, großartigen Kommentar in der Wikipedia (hier klicken), der besagt, dass es keinen Zweifel gibt, dass Fontane dazu Walter Scott gelesen hat (unklar ist, wann), zur Auswahl stehen jedoch zwei Bücher: »Minstrelsy of the Scottish border« (1802) (Text, Fußnote) und »Tales of a Grandfather Being the History of Scotland« (1830) (Text). Scott wiederum beruft sich auf David Hume of Godscroft: »The History of the House and Race of Douglas and Angus« (1643/44) (Text), der wiederum mit den Douglas verwandt war.
Fontane wiederum war so ergriffen und beeindruckt von dem Stoff, dass er beschloss, das Ende abzuändern, auf dass sie ewig und in Freuden lebten. Er schreibt 1893 in einem Brief an Richard Maria Werner: »Diese kleine Douglas-Geschichte machte einen großen Eindruck auf mich, und da ich ganz der Ansicht von Heinrich dem Achten war, so modelte ich den Stoff in dem entsprechenden Sinne …« (Text, links oben)

Noch im Erscheinungsjahr (1857) schrieb Carl Loewe eine Vertonung der Ballade für Singstimme und Klavier (op. 128). Da das klassische Lied überhaupt nicht mein Fall ist, weise ich nur darauf hin, dass YT dazu einige Aufnahmen anbietet, z B. von Hermann Prey oder dem Wagnersänger Ferdinand Frantz.



Hier klicken, um das Video auf YouTube anzusehen.


Empfehlen möchte ich hingegen eine Aufnahme des gesprochenen Gedichts, vorgetragen von dem (wie so oft großartigen) Otto Sander. Wen es interessiert, der findet dort auch noch eine Aufnahme von Gert Westphal und Fritz Stavenhagen verlinkt. Ich vergleiche gern Interpretationen, vor allem, wenn alle Beteiligten wissen, was sie tun, aber hier gefällt mir Otto Sander am besten, weil er ohne sprachlichen Kanonendonner auskommt.

[Dieser Mann (das Bild im Video) heißt zwar auch Archibald Douglas, ist aber der oben bereits erwähnte 6. Earl of Angus, ein mit allen Wassern gewaschener schottischer Politiker höchsten Ranges.]


Kommt wie immer gut und heiter und gesund in und durch die neue Woche! Und wer sich von euch ins Karnevalsgetümmel stürzt: Viel Vergnügen, und lasst alle Viren und Bazillen draußen vor der Tür!

Achtung, Etüdenschreiber*innen: Die aktuelle Schreibeinladung lässt keine Pings mehr zu. Bitte verewigt euch UNBEDINGT mit dem Link zu eurer Etüde in den Kommentaren, sonst garantiere ich für nichts!

Meine vorherigen Balladentage finden sich in meiner Balladentag-Kategorie: BITTE HIER KLICKEN!


Auch beim Balladenmontag dabei

Werner Kastens: Das Hildebrand-Lied

Arno: Der Fluss des Lebens

 

Balladenmontag: Die Mär vom Ritter Manuel

Pro Jahr eine Ballade auswendig lernen, wie mir neulich über einen erzählt wurde, das finde ich einen wirklich interessanten Vorsatz, den möchte ich mit dem heutigen Balladentag (ich habe ihn angekündigt!) gern unterstützen. Klar, ich spreche natürlich von den alten deutschen Balladen, nicht von den englischen, nicht von den gesungenen, auch wenn Bob Dylan den LITERATUR-Nobelpreis bekommen hat. Mit einer Freundin hatte ich schon zu Schulzeiten eine Wette laufen, nach der ich Schillers Glocke hätte auswendig lernen (und vortragen) müssen, wenn ich verloren hätte. Ich bin heute noch froh, dass DAS an mir vorbeigegangen ist. 😉


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Ich möchte euch heute einer meiner erklärten Lieblingsballaden näherbringen: Die Mär vom Ritter Manuel. Mit ihr habe ich gleich ein doppeltes Problem: Man darf sie nicht zitieren (die Dichterin ist 1964 gestorben, sie ist also nicht gemeinfrei), und die Dichterin war eine Nazigröße. Nun ist besagte Dichterin, Agnes Miegel, ihr Name wird einigen von euch vielleicht bekannt sein, 1879 in Königsberg/Ostpreußen geboren, und hatte, obwohl eher unpolitisch (und religiös), immer in konservativen Kreisen gelebt, was ihre Haltung sicherlich entsprechend vorgeprägt hat. Spätestens ab der Jahrhundertwende beschäftigte sie sich neben ihrer Lyrik intensiv mit Balladenstoffen und hatte überaus großen Erfolg, später wurde sie speziell als »Dichterin Ostpreußens« wahrgenommen. Die Nazis vereinnahmten sie und sie machte mit, so sehr, dass sie später auf der »Gottbegnadeten-Liste« (Wikipedia) landete, also oberstes Regal. Carl Zuckmayer hat bezogen auf sie davon gesprochen, sie sei einer »völligen Hirnvernebelung« verfallen (Wikipedia), und sie soll nach dem Krieg gesagt haben: »Dies habe ich mit meinem Gott alleine abzumachen und mit niemand sonst.« (Wikipedia)
Ich habe viel darüber nachgedacht. Ich habe damals nicht gelebt, ich mag nicht richten, je älter ich werde, umso weniger weiß ich, wie ich mich verhalten hätte. Hinterher ist man immer schlauer. Und auch heute verfallen Menschen wieder aus Überzeugung merkwürdigen Ideologien, wie man in den letzten Jahren eindrücklich gesehen hat …

Natürlich bereitet mir das seit Jahrzehnten (ja, kein Witz) Magenschmerzen. Darf ich eine frühe Ballade einer Frau, die zumindest einen Teil ihres Lebens begeisterte Nationalsozialistin war, mögen? Ja, habe ich entschieden, das darf ich. »Die Mär vom Ritter Manuel« ist bereits in Miegels Buch »Balladen und Lieder« 1907 erschienen, das reicht mir als Entstehungsdatum. Außerdem kommt hinzu, dass mein Vater, der jene Zeit sehr wohl erlebt hat, diese Ballade trotz allem unter seinen persönlichen Best-ofs führte, und auch er hat sich diese Gedanken gemacht.



Quelle: Pixabay

Okay, warum möchte ich euch ausgerechnet heute für eine Ballade begeistern, die ich nicht mal abtippen darf? Weil ich vor drei Tagen zufällig auf eine uralte Aufnahme von 1961 gestoßen bin, auf der der unvergessene Gert Westphal diese Ballade spricht. Ich weiß nicht, ob dort die ganze Schallplatte ins Netz gestellt worden ist, auf der sich auch diese Ballade befindet (»Anthologie Deutscher Dichtung – Deutsche Fabeln Von Luther Bis Kafka / Deutsche Balladen Von Bürger Bis Brecht«), aber man kann diese Platte zurzeit auch online streamen, und die Hamburger Bücherhallen haben einen Online-Link zur Naxos Music Library, woher die Aufnahme scheinbar stammt.

So. Ende der laaaangen Vorrede.

Das ist die Mär vom Ritter Manuel
der auf des fremden Magiers Geheiß
sein Haupt in eine Zauberschale bog.
Und als er’s wieder aus dem Wasser zog,
da seufzte er und sprach …

So weit fürs Erste. Dem guten Ritter ist das passiert, was gern passiert, wenn man fremden Magiern vertraut … dumm gelaufen!
Für ihn sind in den paar Augenblicken zwanzig Jahre vergangen, er empfindet sich als alt und am Ende seines Lebens. Er verspricht, dem Herrscher später ausführlich davon zu erzählen, aber nicht sofort, denn »ein Gram durchrüttelt mich, den nie ein Mensch gekannt. Sieh, ich verließ mein Weib in jenem Land …« und er weiß nichts mehr: nicht mehr den Weg zurück, nicht mehr den Namen jenes Landes, nicht einmal mehr den Namen jener so geliebten Frau. Der König lässt den Magier rufen, damit er den Ritter von dem Bann des Zaubers befreie, aber der ist spurlos verschwunden. Der verzauberte Ritter bleibt am Hof, erinnert sich nicht, quält sich über Jahre und wird schließlich auf einer Jagd von einem verirrten Geschoss getroffen … »und stammelte, eh er die Augen schloss: Tamara! Und er starb. Die Zeit verrann …«
Aber irgendwann kommt eine Gruppe Fremder an den Hof, und ihr Fürst tritt vor den König und fragt: »Wo ist, nach dem wir ausgesandt, mein König Manuel, Tamaras Gatte, den sie in ihrem Felsenschloss beweint …?«, und erklärt, der »sternenkundige Magier« habe ihn an seinen Hof geschickt. Der König greift stumm nach einer Handvoll Erde und lässt sie herabrieseln, und die Männer reiten klagend wieder fort.
Nachts kann der König daraufhin nicht schlafen, und sein Page hört ihn rufen: »›Erbarmer aller Welt, sprich, was ist Schein?‹ Und lange vor dem Kruzifixe stand der König starr mit ausgestreckter Hand.«

Agnes Miegel hat sich mit Zeitgenossen über den Stoff ihrer Ballade ausgetauscht (hier lesen): »Thamar«/»Tamara« ist ein Name aus der Bibel, er bedeutet »Dattelpalme« (wusstet ihr, dass der so alt ist?). Es ist aber auch der Name einer mächtigen georgischen Königin (1160–1213) (Wikipedia). Am Terek, einem Fluss, der in Georgien entspringt, soll ein Turm stehen, der Tamaras Namen trägt. Agnes Miegel hat bei ihrer Schilderung die georgische Landschaft gemeint. Ferner entstammt das Motiv wohl dem Dekameron (X, 9. Geschichte) (Zeno.org) und japanischen und chinesischen Sagen. Ich liebe das ja, so etwas zu erfahren.


Wen es von euch jetzt noch nicht erwischt hat, dem kann ich auch nicht helfen, der*die hat vermutlich keinen Sinn für Balladen, für Märchen und Geschichten und Fantasy oder was auch immer. Mich hat speziell das Ende schon in meiner Jugendzeit fasziniert, und ich liebe die Ballade noch immer – die übrigens in einigen Anthologien zu finden ist.

Gert Westphal macht aus dieser Ballade einen Ohrwurm, und seitdem flüstert es immer wieder in meinem Ohr:  »… der auf des fremden Magiers Geheiß sein Haupt in eine Zauberschale bog« …
Tun wir das nicht alle, wenn wir lesen?

 


Hier klicken, um das Video auf YouTube anzusehen.

Meldet euch gern bei mir, falls ihr das Video nicht hören/sehen könnt (es besteht bloß aus diesem Standbild plus Ton), ich habe auch das MP3.

 

Auch beim Balladenmontag dabei

Werner Kastens: Deutsche Balladen – Die Brueck am Tay

Gerda: Die Kraniche des Ibykus (Balladenmontag)


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Balladentag: Von Angst und Begehrlichkeit

Was heutzutage gerne bei der Betrachtung von Gedichten, speziell älteren, zu kurz kommt, ist die Erkenntnis, dass es früher ja kein Fernsehen, Radio oder Internet gab. Das heißt: Geschichten/Gedichte wurden erzählt bzw. vorgelesen, sie hatten Neuigkeits- und Nachrichtenwert. Es war nicht selbstverständlich, lesen zu können oder Bücher zu besitzen. Daher mussten Geschichten und Gedichte alle Unterhaltung abdecken, sowohl das Erbauliche wie das Aufregende. Und, wie es jeder auch von Hörbüchern kennt, das Ganze steht und fällt mit dem Sprecher …

Vor diesem Hintergrund sind Balladen Romanhandlungen oder zumindest Kurzgeschichten, die ein*e Autor*in in Gedichtform gebracht hat. Das macht das Gedicht in der Regel länger, okay, und zumindest wenn es eine klassische Ballade ist, macht es das Gedicht auch gereimt (auf jeden Fall gibt es so etwas wie ein Versmaß). Und weil eine gute Geschichte die Protagonisten in Schwierigkeiten bringt (mein Dank für diesen Satz verfolgt Jutta Reichelt auf ewig), enthält eine Ballade dramatische Elemente (denn die Schwierigkeiten müssen ja irgendwie bewältigt werden, und oft sind das drastische Lösungen – oder humorvolle).

 

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Beim Stolpern durch YouTube bin ich bei dem großartigen Oskar Werner (Wikipedia) hängen geblieben. Ihr werdet ihn kennen (oder nicht), ihr werdet die folgenden Balladen kennen (oder nicht), aber bevor ihr gelangweilt flieht, weil ihr das eine oder andere in der Schule durchlitten habt: Hört rein. Dies ist kein ätherisches Gesäusel, wo jemand weihevoll ein paar Zeilen dahersagt und vor Rührung über die eigene Größe zusammenbricht.
Versucht es, vielleicht packt es euch ja und ihr glaubt ihm, was er sagt. Nehmt die Texte zum Mitlesen, wenn ihr euch Oskar Werner nicht ansehen wollt.

 

Erlkönig.

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.

Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? –
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron’ und Schweif? –
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. –

»Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir;
Manch’ bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand.« –

Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht? –
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind. –

»Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein.« –

Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? –
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh’ es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau. –

»Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt.« –
Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan! –

Dem Vater grauset’s; er reitet geschwind,
Er hält in Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.

(Johann Wolfgang von Goethe, Erlkönig, aus: Werke, Band 1, 1815, Wikipedia, Online-Quelle, Online-Quelle)

Legende.

Als noch, verkannt und sehr gering,
Unser Herr auf der Erde ging,
Und viele Jünger sich zu ihm fanden,
Die sehr selten sein Wort verstanden,
Liebt er sich gar über die Masen
Seinen Hof zu halten auf der Straßen,
Weil unter des Himmels Angesicht
Man immer besser und freyer spricht;
Er ließ sie da die höchsten Lehren
Aus seinem heilgen Munde hören;
Besonders durch Gleichniß und Exempel
Macht er einen jeden Markt zum Tempel.

So schlendert’ er, in Geistes Ruh,
Mit ihnen einst einem Städtchen zu,
Sah etwas blinken auf der Straß,
Das ein zerbrochen Hufeisen was.
Er sagte zu St. Peter drauf:
Heb doch einmal das Eisen auf!
Sanct Peter war nicht aufgeräumt,
Er hatte so eben im Gehen geträumt,
So was vom Regiment der Welt,
Was einem jeden wohlgefällt,
Denn im Kopf hat das keine Schranken,
Das waren seine liebsten Gedanken.
Nun war der Fund ihm viel zu klein,
Hätte müssen Kron und Zepter seyn,
Aber wie sollt er seinen Rücken
Nach einem halben Hufeisen bücken?
Er also sich zur Seite kehrt
Und thut als hätt’ ers nicht gehört.

Der Herr, nach seiner Langmuth, drauf
Hebt selber das Hufeisen auf
Und thut auch weiter nicht dergleichen.
Als sie nun bald die Stadt erreichen,
Geht er vor eines Schmiedes Thür,
Nimmt von dem Mann drey Pfennig dafür.
Und als sie über den Markt nun gehen
Sieht er daselbst schöne Kirschen stehen,
Kauft ihrer, so wenig oder so viel,
Als man für einen Dreyer geben will,
Die er sodann nach seiner Art,
Ruhig im Ermel aufbewahrt.

Nun gings zum andern Thor hinaus,
Durch Wies’ und Felder ohne Haus,
Auch war der Weg von Bäumen blos,
Die Sonne schien, die Hitz war groß,
So daß man viel an solcher Stätt’,
Für einen Trunk Wasser gegeben hätt’.
Der Herr geht immer voraus vor allen,
Läßt unversehens eine Kirsche fallen.
Sanct Peter war gleich dahinter her,
Als wenn es ein goldner Apfel wär,
Das Beerlein schmeckte seinem Gaum.
Der Herr, nach einem kleinen Raum,
Ein ander Kirschlein zur Erde schickt,
Wornach Sanct Peter schnell sich bückt,
So läßt der Herr ihn seinen Rücken
Gar vielmal nach den Kirschen bücken.
Das dauert eine ganze Zeit.
Dann sprach der Herr mit Heiterkeit:
Thätst du zur rechten Zeit dich regen,
So hättst du’s bequemer haben mögen.
Wer geringe Ding wenig acht’t
Sich um geringere Mühe macht.

(Johann Wolfgang von Goethe, Legende, aus: Friedrich Schiller: Musen-Almanach für das Jahr 1798, 1797, Online-Quelle, Online-Quelle)

 

 

Und? Nachschlag? 😉

Kommt alle gut in und durch die neue Woche, sommerlich oder weniger.

Eingetroffene Adventüden: Immer noch 15. Herzlichen Dank! Ihr anderen: Noch drei Wochen Zeit 🙂

 

Aufruf! Balladenmontag: Graf Eberstein

In der ersten Zeit nach Wahlen geht es mir immer so, dass ich keine großen Versprechungen und Appelle mehr hören oder lesen mag, nicht mal in Gedichten. Meist glaube ich sie nicht, meist kümmert sich bald eh keiner mehr drum (kommt es nur mir so vor?), es sei denn, der- oder diejenige stünde vor den Kameras.

Also habe ich mich für den heutigen Balladenmontag (ach, ihr seid verwundert? Ich HABE in den letzten beiden Wochen vorgewarnt) um etwas Handfesteres bemüht, ging zurück in die Romantik und fand … eine Sagenballade, Graf Eberstein von Ludwig Uhland (Wikipedia, Zeno.org).

 

Zu Speyer im Saale, da hebt sich ein Klingen,
Mit Fackeln und Kerzen ein Tanzen und Springen.
Graf Eberstein
Führet den Reihn
Mit des Kaisers holdseligem Töchterlein.

Und als er sie schwingt nun im luftigen Reigen,
Da flüstert sie leise, sie kann’s nicht verschweigen:
„Graf Eberstein,
Hüte dich fein!
Heut nacht wird dein Schlößlein gefährdet sein.“

Ei! denket der Graf, Euer kaiserlich Gnaden,
So habt Ihr mich darum zum Tanze geladen!
Er sucht sein Roß,
Läßt seinen Troß
Und jagt nach seinem gefährdeten Schloß.

Um Ebersteins Veste, da wimmelt’s von Streitern,
Sie schleichen im Nebel mit Haken und Leitern.
Graf Eberstein
Grüßet sie fein,
Er wirft sie vom Wall in die Gräben hinein.

Als nun der Herr Kaiser am Morgen gekommen,
Da meint er, es seie die Burg schon genommen.
Doch auf dem Wall
Tanzen mit Schall
Der Graf und seine Gewappneten all.

„Herr Kaiser! beschleicht Ihr ein andermal Schlösser,
Tut’s not, Ihr verstehet aufs Tanzen Euch besser.
Euer Töchterlein
Tanzet so fein,
Dem soll meine Veste geöffnet sein.“

Im Schlosse des Grafen, da hebt sich ein Klingen,
Mit Fackeln und Kerzen ein Tanzen und Springen.
Graf Eberstein
Führet den Reihn
Mit des Kaisers holdseligem Töchterlein.

Und als er sie schwingt nun im bräutlichen Reigen,
Da flüstert er leise, nicht kann er’s verschweigen:
„Schön Jungfräulein,
Hüte dich fein!
Heut nacht wird ein Schlößlein gefährdet sein.“

(Ludwig Uhland, Graf Eberstein, Erstdruck 1815, Quelle)

 

Blog goes Ballade | 365tageasatzadayQuelle: Bild Pixabay, Bearbeitung von mir

 

Hübsch, oder? Kann man sich doch auch bestens verfilmt vorstellen … mit heimlicher Liebe, rauschenden Festen, düsteren Schurken, prächtigen Kostümen, Politik (ach nee, das wollte ich ja lassen), Happy End und so weiter.

Die Sache mit dem Hintergrund zu dieser Geschichte (den es natürlich gibt!, schließlich ist es eine Sage), gestaltet sich allerdings schwierig. Unzweifelhaft scheint sich hier um die Burg Alt-Eberstein zu handeln, gelegen auf einer dem Schlossberg nördlich vorgelagerten Bergkuppe direkt über dem Baden-Badener Stadtteil Ebersteinburg.

Wikipedia berichtet zu der zugehörigen Sage: Der Straßburger Bischof liegt im Streit mit Kaiser Otto I., in dem die Grafen von Eberstein dem Bischof zur Seite stehen. Der Kaiser ist darüber wenig erfreut und beschließt die Belagerung der Burg, um die Grafen auszuhungern. Als nach über einem Jahr noch kein Erfolg der Belagerung abzusehen ist, denkt sich der Kaiser eine List aus, um der Burg habhaft zu werden. Er lädt die Grafen zu einem Turnier nach Speyer ein. Sein Hintergedanke ist, ohne die Anwesenheit der Grafen die Burg leicht einzunehmen. Des Kaisers Tochter findet jedoch Gefallen am jüngsten Grafen und verrät ihm den Plan ihres Vaters. Die eiligst zurückkehrenden Grafen von Eberstein können den erneuten Angriff der kaiserlichen Soldaten gerade noch abwehren und bleiben siegreich. […] Der Kaiser, den die Belagerung zu viel Geld kostet, zeigt sich von der Listigkeit der Grafen beeindruckt und macht sie zu seinen Verbündeten, indem er seine Tochter Wendelgard dem jüngsten Grafen Eberhard zur Frau gibt. (Quelle)

Die Geschichte findet sich zum ersten Mal 1508 in einer Weltchronik des Passauer Dompfarrers und Kustos Johannes Staindl, allerdings ohne Turnier und Verrat durch das Töchterlein. Problematisch sind dabei mehrere Dinge:

Alt-Eberstein wurde erst um 1050-1100 erbaut. „Fraglich ist allerdings, ob es im 10. Jahrhundert überhaupt schon Ebersteiner gab. Im Jahr 1085 werden sie zum ersten Mal in einer Urkunde erwähnt. Das heißt zu dieser Zeit muss die Burg Alteberstein bereits seit einiger Zeit existiert haben, da sich das Geschlecht nach ihr benannte. Bis in die Zeit Ottos I. geht die Burg aber mit Sicherheit nicht zurück. Zu dieser Zeit baute sich der Adel noch keine Namen gebenden Stammsitze. […] Einen Aufstand gegen Kaiser Otto im Jahr 938 gab es tatsächlich. Der Straßburger Bischof Ruthard unterstützte die Aufrührer und wurde vom Kaiser vorübergehend inhaftiert. Von einer Eroberung von Straßburg hören wir allerdings nichts und auf welcher Seite die späteren Ebersteiner standen, ist völlig unbekannt.“ (Quelle)

„Die Quellen des Passauer Autors liegen im Dunkeln, aber seine Erzählung wurde bald von anderen aufgegriffen und ausgeweitet, zuerst von dem Humanisten Dr. Caspar Baldung (gestorben 1540). Dass der Kaiser die Ebersteiner mit einer Einladung zum Turnier nach Speyer von ihrer Burg weglockt und die Kaisertochter einem der drei Grafen beim Tanzen den Plan ihres Vaters verrät, sind Zutaten Baldungs.“ (Quelle)

Was aber hatte Baldung davon? Nun, das ist einfach: Caspar Baldung hatte einen Bruder, den Maler Hans Baldung, jener wiederum arbeitete für den Straßburger Domherrn von Eberstein. Jener und dessen Nachfahren waren begeistert, denn die Ebersteins hatten ihre Bedeutung als Adelsgeschlecht längst verloren und konnten auf diese Weise ihre Vergangenheit kräftig aufpolieren. Eine klassische Win-Win-Situation.  😉
Was ja auch funktioniert hat, quod erat demonstrandum. (Hier jetzt endlich den gesamten Quellen-Artikel auf literaturdesign.de lesen.)

 

Jakob Götzenberger: Alt-Eberstein, Fresko, Trinkhallen Baden-Baden

Quelle: Wikimedia

 

Nichtsdestotrotz: Trotz mangelnder historischer Genauigkeit/Wahrheit: die Sage ist/war bekannt. Als 1844 Jakob Götzenberger die Baden-Badener Trinkhalle mit Motiven aus Szenen aus Mythen und Sagen der Region ausmalte, gehörte dazu auch die Sage von Burg Alt-Eberstein.
Ob es einen Grund oder Anlass dafür gab, dass knapp 30 Jahre zuvor Ludwig Uhland die Sage von Alt-Eberstein aufgegriffen hat, entzieht sich meiner Kenntnis, wenn ihr irgendwas darüber wisst, freue ich mich auf eure Kommentare. Aber nicht nur dann  😉

 

Kommt gut in die neue Woche!

 

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Aufruf! Balladenmontag: Der Zauberlehrling

Ihr Lieben, wie angedroht ist heute Balladen(oster)montag, und hier kommt eine meiner erklärten Lieblingsballaden.
Balladen sind, so hatte ich das im Januar kurz erklärt, Romanhandlungen oder zumindest Episoden, die der Autor in Gedichtform gebracht hat. Das macht das Gedicht in der Regel länger, okay, und zumindest wenn es eine klassische Ballade ist, macht es das Gedicht auch gereimt (auf jeden Fall gibt es so etwas wie ein Versmaß). Und weil eine gute Geschichte die Protagonisten in Schwierigkeiten bringt (danke auf ewig für diesen Satz, Jutta), hat eine Ballade dramatische Elemente (denn die Schwierigkeiten müssen ja irgendwie bewältigt werden, und oft sind das drastische Lösungen), womit es dann erstens (hoffentlich) nicht langweilig ist und zweitens gleich drei Literaturgattungen vereint: Lyrik, Epik, Drama. Ja, ich weiß auch, dass es Balladen gibt, wo die Dramatik darin besteht, dass ein Apfel vom Baum fällt, aber die versuche ich zu ignorieren.

Ich habe mir einen DER Balladen-Klassiker ausgesucht, nämlich Goethes Zauberlehrling.

Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort und Werke
Merkt ich und den Brauch,
Und mit Geistesstärke
Tu ich Wunder auch.

Walle! walle
Manche Strecke,
Daß zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.

Und nun komm, du alter Besen,
Nimm die schlechten Lumpenhüllen!
Bist schon lange Knecht gewesen:
Nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
Oben sei ein Kopf,
Eile nun und gehe
Mit dem Wassertopf!

Walle! walle
Manche Strecke,
Daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.

Seht, er läuft zum Ufer nieder!
Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
Und mit Blitzesschnelle wieder
Ist er hier mit raschem Gusse.
Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
Voll mit Wasser füllt!

Stehe! stehe!
Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen! –
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen!

Ach, das Wort, worauf am Ende
Er das wird, was er gewesen!
Ach, er läuft und bringt behende!
Wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
Bringt er schnell herein,
Ach, und hundert Flüsse
Stürzen auf mich ein!

Nein, nicht länger
Kann ichs lassen:
Will ihn fassen!
Das ist Tücke!
Ach, nun wird mir immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!

O, du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
Doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
Der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
Steh doch wieder still!

Willst am Ende
Gar nicht lassen?
Will dich fassen,
Will dich halten
Und das alte Holz behende
Mit dem scharfen Beile spalten!

Seht, da kommt er schleppend wieder!
Wie ich mich nur auf dich werfe,
Gleich, o Kobold, liegst du nieder;
Krachend trifft die glatte Schärfe.
Wahrlich! brav getroffen!
Seht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
Und ich atme frei!

Wehe! wehe!
Beide Teile
Stehn in Eile
Schon als Knechte
Völlig fertig in die Höhe!
Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!

Und sie laufen! Naß und nässer
Wirds im Saal und auf den Stufen:
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister, hör mich rufen! –
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.

„In die Ecke,
Besen! Besen!
Seids gewesen!
Denn als Geister
Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
Erst hervor der alte Meister.“

(Johann Wolfgang von Goethe, Der Zauberlehrling, 1798, Quelle, Quelle)

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Nun habe ich nicht vor, hier eine Gedichtinterpretation vorzunehmen, damit hat man mich schon in der Schule jagen können, und das ist inzwischen doch schon recht lange her. (Es ist ein Phänomen, dass Leute etwas gern zerreden und damit den Zauber kaputtmachen, selbst aus den besten Absichten. Wenn es nicht euer Ding ist, dann ist das eben einfach so.) Verweisen möchte ich aber gern auf den Artikel in der Wikipedia, der auch auf „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“, hinweist, was zumindest ich als geflügeltes Wort kenne. Und ansonsten hoffe ich, die Begegnung mit den Zauberlehrlingen amüsiert euch.

Natürlich gibt es massenweise Interpretationen des Zauberlehrlings. Zuerst habe ich Klaus Kinski für euch, der wirklich eine angenehme Abwechslung vom sonstigen Gesäusel ist.

Was womöglich viele von euch kennen, ist die musikalische Interpretation der „Jungen Dichter und Denker“. Die ist mir allerdings nach Kinski viel zu mainstreamig. Aber immerhin, die Idee ist gut. Nicht überzeugen konnte mich dagegen der ansonsten von mir sehr geschätzte Achim Reichel mit seiner Vertonung.

 

Das Osterei zum Schluss: Micky Maus als Zauberlehrling. Ein dreiteiliger Ausschnitt aus „Fantasia“ von 1940. Ich muss immer wieder darüber lachen.

 

 

 

 

Na, hat es Spaß gemacht? Wenn ihr wollt, seid ihr jetzt dran. Füllt das Netz mit Balladen (und verlinkt mich gern. Auch das Bild oben ist dafür gedacht.). Gegen das Vergessen, gegen den alltäglichen mehr oder weniger großen Irrsinn!

Und schöne Rest-Ostertage euch allen!

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Aufruf! Ostermontag ist Balladentag!

Liebe Glockenfans, liebe Erlkönige, liebe Reiter-über-den-Bodensee, liebe Birnen-im-Havelland-Genießer, liebe Taucher nach dem Ring des Polykrates, liebe Kranich-Ibykus-Bewunderer,
hallo ihr alle, die sich jetzt fragen, wovon spricht sie zum  Teufel denn da jetzt eigentlich?

Es ist wieder Balladentag! Nein, nicht heute: Ostermontag! Ich hatte beim letzten Mal versprochen, ihn anzukündigen, dies geschieht hiermit. Und wer nicht weiß, um was es geht, kann es hier, hier und hier nachlesen.

Also: Ostermontag ist Balladentag! Lasst mal eure Hasen und Häschen beiseite, kramt in euren Bücherregalen oder im Netz nach Balladen und füllt am Ostermontag eure Blogs mit Balladen, mit wilden, romantischen, mystischen, traurigen oder einfach euren Lieblingsballaden.

Dies Bild hier kann gern genutzt werden, muss aber nicht. Und über Links zu mir freue ich mich selbstverständlich auch. Wir lesen uns … seid ihr dabei?

 

Blog goes Ballade | 365tageasatzadayQuelle: Bild Pixabay, Bearbeitung von mir

 

Balladenwochenende: Die Füße im Feuer – Nichts für schwache Nerven

Ich gebs ja zu: Ich drücke mich. Kein Goethe, kein Schiller, kein Gerede über das Balladenjahr, kein Aufschrei und/oder keine Geschichte über die Glocke, die unsägliche. „Von der Stirne heiß | rinnen muss der Schweiß.“ Hier nicht. Jedenfalls nicht beim Glockengießen.

Stattdessen nehme ich euch mit nach Frankreich in die Zeit der Hugenottenverfolgung. Die Hugenotten: französische Protestanten calvinistischen Glaubens; in Frankreich seit 1562 vom Katholizismus benachteiligt und unterdrückt. Zwischenzeitlich durch das Edikt von Nantes von 1598 bis 1685 eigentlich vom Staat geschützt, leitete nach der Übernahme der Regierung 1661 der „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. eine groß angelegte, mit Bekehrungs- und Missionierungsaktionen verbundene systematische Verfolgung der Protestanten ein, die er aufgrund der einsetzenden Flüchtlingswellen 1669 mit einem Emigrationsverbot verband und die schließlich in den berüchtigten Dragonaden 1681 ihren Höhepunkt fanden. In einer Zeit der Aufklärung und Wissenschaft geschahen die größten Greueltaten an Protestanten (Quelle | Wikipedia).

Zurzeit dieser Verfolgungen durch die Dragoner spielt (vermutlich) das Gedicht. Einer dieser Berittenen (als Bote im Dienste des Königs unterwegs) gerät in einer unwirtlichen Gegend in ein Unwetter und sucht Schutz. Man öffnet ihm und lässt ihn ein, aber erst, nachdem er drin ist, erkennen Herr und Gast, dass jener von drei Jahren schon einmal in übler Absicht im Schloss war …

 

Conrad Ferdinand Meyer: Die Füße im Feuer (Quelle)

Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm
Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Ross
Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel saust
Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest.
Ein schmales Gitterfenster schimmert goldenhell
Und knarrend öffnet jetzt das Tor ein Edelmann …

– »Ich bin ein Knecht des Königs, als Kurier geschickt
Nach Nîmes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock!«
– »Es stürmt. Mein Gast bist du. Dein Kleid, was kümmerts mich?
Tritt ein und wärme dich! Ich sorge für dein Tier!«
Der Reiter tritt in einen dunkeln Ahnensaal,
Von eines weiten Herdes Feuer schwach erhellt,
Und je nach seines Flackerns launenhaftem Licht
Droht hier ein Hugenott im Harnisch, dort ein Weib,
Ein stolzes Edelweib aus braunem Ahnenbild …
Der Reiter wirft sich in den Sessel vor dem Herd
Und starrt in den lebendgen Brand. Er brütet, gafft …
Leis sträubt sich ihm das Haar. Er kennt den Herd, den Saal …
Die Flamme zischt. Zwei Füsse zucken in der Glut.

Den Abendtisch bestellt die greise Schaffnerin
Mit Linnen blendend weiss. Das Edelmägdlein hilft.
Ein Knabe trug den Krug mit Wein. Der Kinder Blick
Hangt schreckensstarr am Gast und hangt am Herd entsetzt …
Die Flamme zischt. Zwei Füsse zucken in der Glut.

– »Verdammt! Dasselbe Wappen! Dieser selbe Saal!
Drei Jahre sinds … Auf einer Hugenottenjagd …
Ein fein, halsstarrig Weib … ›Wo steckt der Junker? Sprich!‹
Sie schweigt. ›Bekenn!‹ Sie schweigt. ›Gib ihn heraus!‹ Sie schweigt.
Ich werde wild. Der Stolz! Ich zerre das Geschöpf …
Die nackten Füsse pack ich ihr und strecke sie
Tief mitten in die Glut … ›Gib ihn heraus!‹ … Sie schweigt …
Sie windet sich … Sahst du das Wappen nicht am Tor?
Wer hiess dich hier zu Gaste gehen, dummer Narr?
Hat er nur einen Tropfen Bluts, erwürgt er dich.« –
Eintritt der Edelmann. »Du träumst! Zu Tische, Gast …«

Da sitzen sie. Die drei in ihrer schwarzen Tracht
Und er. Doch keins der Kinder spricht das Tischgebet.
Ihn starren sie mit aufgerissnen Augen an –
Den Becher füllt und übergiesst er, stürzt den Trunk,
Springt auf: »Herr, gebet jetzt mir meine Lagerstatt!
Müd bin ich wie ein Hund!« Ein Diener leuchtet ihm,
Doch auf der Schwelle wirft er einen Blick zurück
Und sieht den Knaben flüstern in des Vaters Ohr …
Dem Diener folgt er taumelnd in das Turmgemach.

Fest riegelt er die Tür. Er prüft Pistol und Schwert.
Gell pfeift der Sturm. Die Diele bebt. Die Decke stöhnt.
Die Treppe kracht … Dröhnt hier ein Tritt? Schleicht dort ein Schritt? …
Ihn täuscht das Ohr. Vorüberwandelt Mitternacht.
Auf seinen Lidern lastet Blei, und schlummernd sinkt
Er auf das Lager. Draussen plätschert Regenflut.

Er träumt. »Gesteh!« Sie schweigt. »Gib ihn heraus!« Sie schweigt.
Er zerrt das Weib. Zwei Füsse zucken in der Glut.
Aufsprüht und zischt ein Feuermeer, das ihn verschlingt …
– »Erwach! Du solltest längst von hinnen sein! Es tagt!«
Durch die Tapetentür in das Gemach gelangt,
Vor seinem Lager steht des Schlosses Herr – ergraut,
Dem gestern dunkelbraun sich noch gekraust das Haar.

Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt sich heut.
Zersplittert liegen Ästetrümmer quer im Pfad,
Die frühsten Vöglein zwitschern, halb im Traume noch.
Friedselge Wolken schwimmen durch die klare Luft,
Als kehrten Engel heim von einer nächtgen Wacht.
Die dunkeln Schollen atmen kräftgen Erdgeruch,
Die Ebne öffnet sich. Im Felde geht ein Pflug,
Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: »Herr,
Ihr seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit
Und wisst, dass ich dem grössten König eigen bin.
Lebt wohl! Auf Nimmerwiedersehn!« Der andre spricht:
»Du sagsts! Dem grössten König eigen! Heute ward
Sein Dienst mir schwer … Gemordet hast du teuflisch mir
Mein Weib! Und lebst … Mein ist die Rache, redet Gott.«

 

Kaminfeuer | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

Warum hat der Schlossherr, der seinen Gast jederzeit hätte aufsuchen und töten können (die Tapetentür), darauf verzichtet? Mehr als „Mein ist die Rache, redet Gott“, bietet Meyer/der Schlossherr uns als Begründung nicht an. Er umreißt mit diesen Worten eine ganze Ethik, einen Verhaltenskodex, die Unterwerfung unter die als absolutes Gesetz angesehenen göttlichen Regeln, den Glauben an die göttliche Gerechtigkeit. Seine Frau ist für ihn und für die gemeinsame Religion gestorben. Würde er jetzt seinem Hass freien Lauf lassen, würde er gegenüber seinem Glauben und dem Andenken an sie wortbrüchig, würde er sich selbst verraten und das, woran er glaubt. Diese Erkenntnis (symbolisiert durch den einsetzenden Regen) rettet dem Mörder seiner Frau das Leben, auch wenn der jene Nacht wohl ebenfalls nie mehr vergessen wird. Aber das Ringen um diese Entscheidung (dem „höchsten König“ eigen zu sein; sehr schön: der Dragoner meint den (irdischen) König, der Schlossherr den himmlischen, hört mal auf die Betonung bei Gert Westphal) lässt den Schlossherrn über Nacht ergrauen. Kennen wir das heute noch, nur dem Gewissen verpflichtet zu sein und das auch durchzuziehen, selbst bei einer Sache auf Leben und Tod? Mir flößt dieses Dilemma einen Heidenrespekt ein, und ich bin froh, dass ich nicht drinstecke.

Wer dieses Gedicht (ziemlich genial) gesprochen hören möchte, dem sei Gert Westphal empfohlen:

 

 

Und natürlich, last but not least, wieder das Projektbild. Bedient euch, wenn ihr mitmachen möchtet, muss ja nicht heute sein.

 

Blog goes Ballade | 365tageasatzaday

 

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Balladenwochenende: Belsazar – Gewogen und zu leicht befunden

Bel-šarru-uṣur (auch Belsazar; griechisch Baltạsar) war ein babylonischer Kronprinz, der von 552 bis 543 v. Chr. die Regierungsgeschäfte führte. Sein Name bedeutet: „Bēl (Baal) beschütze den König“. Belsazar nun kommt auf die Idee, sich bei einem großen Fest zu besaufen und dann aus den schicken heiligen Gefäßen, die sein Vater aus Jerusalem geraubt hat, weiterzutrinken und seine eigenen Götter hochleben zu lassen. Götter zu ver…eiern war immer schon eine schlechte Idee, die reagieren dann oft komisch, und der, dem die Gefäße gehören, ist keine Ausnahme. Es erscheint eine geisterhafte Hand ohne Körper und schreibt geheimnisvolle Worte an die Wand, die keiner versteht. Belsazar erschrickt tierisch und verspricht Gold und Macht demjenigen, der ihm vorlesen und deuten kann, was da steht. Schließlich schafft man einen jüdischen Weisen namens Daniel zu ihm, der ihm erklärt, an der Wand stünde „Mene mene tekel u-parsin“: „Gezählt, gewogen (und zu leicht befunden) und zerteilt.“ Belsazar hält sein Versprechen Daniel gegenüber, wird aber noch in der gleichen Nacht ermordet (Quellen: Belsazar und Menetekel, beides Wikipedia). Sein Reich fällt an die Perser.

Ja, das ist eine biblische Geschichte (Daniel 5, 1–30), aber darauf will ich jetzt gar nicht hinaus, das ist mir sogar ziemlich egal. Aus der Bibel zu stammen erklärt nur, wieso dieses Motiv der Hand, die geisterhaft irgendwelche Wahrheiten an die Wand schreibt, die erst mal keiner versteht, bzw. der Schrift an der Wand so ungeheuer populär werden konnte. Sozusagen der Ursprung von allem „Dumm gelaufen“.

Rembrandt van Rijn [Public domain], via Wikimedia Commons

Rembrandt van Rijn [Public domain], via Wikimedia Commons

 

Ungeheuer bekannt ist Rembrandts Gemälde, „Das Gastmahl des Belsazar“ (hier mehr Info). Belsazar oder die Hand oder die Schrift an der Wand tauchen bei ungeheuerlich vielen Gelegenheiten (nicht nur) in der deutschen Geistesgeschichte auf. Eine davon ist die Ballade, bei der ich jetzt endlich gelandet bin.

 

Heinrich Heine: Belsatzar (Quelle)

Die Mitternacht zog näher schon;
In stummer Ruh lag Babylon.

Nur oben, in des Königs Schloß,
Da flackert’s, da lärmt des Königs Troß,

Dort oben, in dem Königssaal,
Belsatzar hielt sein Königsmahl.

Die Knechte saßen in schimmernden Reih’n,
Und leerten die Becher mit funkelndem Wein.

Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht’;
So klang es dem störrigen Könige recht.

Des Königs Wangen leuchten Glut;
Im Wein erwuchs ihm kecker Muth.

Und blindlings reißt der Muth ihn fort;
Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort.

Und er brüstet sich frech, und lästert wild;
Die Knechtenschaar ihm Beifall brüllt.

Der König rief mit stolzem Blick;
Der Diener eilt und kehrt zurück.

Er trug viel gülden Geräth auf dem Haupt;
Das war aus dem Tempel Jehovas geraubt.

Und der König ergriff mit frevler Hand
Einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand’.

Und er leert ihn hastig bis auf den Grund,
Und rufet laut mit schäumendem Mund:

Jehovah! dir künd’ ich auf ewig Hohn, –
Ich bin der König von Babylon!

Doch kaum das grause Wort verklang,
Dem König ward’s heimlich im Busen bang.

Das gellende Lachen verstummte zumal;
Es wurde leichenstill im Saal.

Und sieh! und sieh! an weißer Wand
Da kam’s hervor wie Menschenhand;

Und schrieb, und schrieb an weißer Wand
Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.

Der König stieren Blicks da saß,
Mit schlotternden Knien und todtenblaß.

Die Knechtenschaar saß kalt durchgraut,
Und saß gar still, gab keinen Laut.

Die Magier kamen, doch keiner verstand
Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.

Belsatzar ward aber in selbiger Nacht
Von seinen Knechten umgebracht.

 

Bemerkenswert sind die Abweichungen von der biblischen Geschichte am Ende. Offensichtlich ging Heine davon aus, dass seinen Lesern die Geschichte so vertraut war, dass er gar nicht mehr andeuten musste, was an der Wand stand: Beispielsweise das Scheitern des politischen Systems, in dem er lebte, denn Belsazar ward ja in selbiger Nacht … eben. Heine schrieb die Ballade 1827; und „gewogen und zu leicht befunden“, dieses Gefühl habe ich dieser Tage oft an allen Ecken und Enden, nur das Vertrauen, dass alles besser wird, mit Umsturz oder ohne, das fehlt mir grundlegend. Aber ich bin ein grimmiger Optimist, was das angeht: Aufgeben ist auch keine Lösung.

Es gibt einige moderne Adaptionen der Ballade, von denen ich persönlich die von Achim Reichel am liebsten mag (und am besten kenne) (und online nicht finde), zurzeit höre ich mich aber gerade in Händels „Belshazzar“-Oratorium ein.

Hier ist also der freundliche Herr Stavenhagen (und nein, ich finde Vogelfrey und JDD nicht besser)

 

 

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Aufruf! Balladenwochenende: Die Brück‘ am Tay

Balladen sind, kurz erklärt, Romanhandlungen in einem Gedicht zusammengefasst. Das macht das Gedicht in der Regel länger, jawohl, und zumindest wenn es eine klassische Ballade ist, macht es das Gedicht auch gereimt, auf jeden Fall gibt es so etwas wie ein Versmaß. Und meist ist es dramatisch (was sehr oft wörtliche Rede bedeutet), womit es dann erstens (hoffentlich) nicht langweilig ist und zweitens gleich drei Literaturgattungen vereint: Lyrik, Epik, Drama.

Klingt eigentlich ganz nett? Ist es auch. Wäre es noch viel mehr, wenn nicht ungezählte Schüler/innen in ungezählten Jahrgängen damit geplagt worden wären, eines dieser Trümmer auswendig lernen und aufsagen zu müssen. Ich hatte auch diese Sorte Lehrer, die einem alles versauen können. Bei mir haben sie es nicht geschafft, aber wenn ich Balladen nicht vorher schon gekannt und geliebt hätte, wäre es knapp geworden. Ich vermute mal, ihr habt da eigene Geschichten.

Daher und auch, weil es ein grau-weißer, kalter, stürmischer Freitag der 13. im Winter ist und ich finde, dass wir alle „Lieder vor dem Ofen zu singen“ brauchen und singen sollten, damit die Welt bunt bleibt, mein Aufruf an euch: Macht mit beim Balladenwochenende! Füllt drei Tage lang eure Blogs mit Balladen! Postet eure Lieblingsballaden bei euch, stoßt ein Fenster in andere Welten auf, erzählt, warum ihr diese Ballade besonders liebt oder hasst oder was euch mit ihr verbindet! Ich freue mich, wenn mein Bildchen benutzt wird und/oder ihr hierher verlinkt, aber das steht euch natürlich völlig frei.

 

Blog goes Ballade | 365tageasatzadayQuelle: Bild Pixabay, Bearbeitung von mir

 

Meine Freitags-Ballade, die mich damals unglaublich beeindruckt hat, basiert auf einem wahren Vorfall.

 

Theodor Fontane: Die Brück‘ am Tay (Quelle)

(28. Dezember 1879)
When shall we three meet again?
Macbeth

»Wann treffen wir drei wieder zusamm?«
»Um die siebente Stund‘, am Brückendamm.«
»Am Mittelpfeiler.«
»Ich lösche die Flamm.«
»Ich mit.«

»Ich komme vom Norden her.«
»Und ich vom Süden.«
»Und ich vom Meer.«

»Hei, das gibt einen Ringelreihn,
Und die Brücke muß in den Grund hinein.«

»Und der Zug, der in die Brücke tritt
Um die siebente Stund’?«
»Ei, der muß mit.«
»Muß mit.«

»Tand, Tand
Ist das Gebilde von Menschenhand!«

Auf der Norderseite, das Brückenhaus —
Alle Fenster sehen nach Süden aus,
Und die Brücknersleut’ ohne Rast und Ruh
Und in Bangen sehen nach Süden zu,
Sehen und warten, ob nicht ein Licht
Übers Wasser hin »Ich komme« spricht,
»Ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,
Ich, der Edinburger Zug.«

Und der Brückner jetzt: »Ich seh’ einen Schein
Am anderen Ufer. Das muß er sein.
Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,
Unser Johnie kommt und will seinen Baum,
Und was noch am Baume von Lichtern ist,
Zünd’ alles an wie zum heiligen Christ,
Der will heuer zweimal mit uns sein, —
Und in elf Minuten ist er herein.«

Und es war der Zug. Am Süderturm
Keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,
Und Johnie spricht: »Die Brücke noch!
Aber was tut es, wir zwingen es doch.
Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,
Die bleiben Sieger in solchem Kampf.
Und wie’s auch rast und ringt und rennt,
Wir kriegen es unter, das Element.

Und unser Stolz ist unsre Brück’;
Ich lache, denk’ ich an früher zurück,
An all den Jammer und all die Not
Mit dem elend alten Schifferboot;
Wie manche liebe Christfestnacht
Hab’ ich im Fährhaus zugebracht
Und sah unsrer Fenster lichten Schein
Und zählte und konnte nicht drüben sein.«

Auf der Norderseite, das Brückenhaus —
Alle Fenster sehen nach Süden aus,
Und die Brücknersleut’ ohne Rast und Ruh
Und in Bangen sehen nach Süden zu;
Denn wütender wurde der Winde Spiel,
Und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel’,
Erglüht es in niederschießender Pracht
Überm Wasser unten… Und wieder ist Nacht.

»Wann treffen wir drei wieder zusamm?«
»Um Mitternacht, am Bergeskamm.«
»Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm.«

»Ich komme.«
»Ich mit.«
»Ich nenn’ euch die Zahl.«
»Und ich die Namen.«

»Und ich die Qual.«
»Hei!
Wie Splitter brach das Gebälk entzwei.«
»Tand, Tand
Ist das Gebilde von Menschenhand.«

 

Weshalb ich diese Ballade niemals völlig vergessen werde, hat mehrere Gründe. Das Unglück, über das Fontane berichtet, hat es wirklich gegeben, Fontane spricht „vom Einsturz der Firth-of-Tay-Brücke in Schottland am 28. Dezember 1879, der mit einem Eisenbahnzug 75 Menschen in den Tod riss. Die Firth-of-Tay-Brücke war 1871–1878 unter enormem Aufwand erbaut worden und bereits eineinhalb Jahre nach ihrer Eröffnung im Sturm zusammengebrochen“ (Quelle: Wikipedia, seht euch die Bilder an, ich zumindest war damals schon fassungslos).

Ferner ist diesem Gedicht ein Zitat aus Shakespeares „Macbeth“ vorangestellt. Ich will hier überhaupt keine Diskussion über Shakespeare vom Zaun brechen, seine Werke sind (mit anderen) das Fundament, auf dem die moderne Geistesgeschichte steht. Meine Erinnerung an Macbeth ist eine Off-Topic-Erinnerung an den Englischunterricht der Oberstufe, als wir das Teil ungelogen mindestens ein Jahr durchgekaut und alles, wirklich alles, durchdiskutiert haben. (Wir haben uns, trotz der Orson-Welles-Verfilmung, teilweise rechtschaffen gelangweilt. Der Parallelkurs hatte mit „Romeo und Julia“ mehr Glück.) Und drittens geht es um das Wirken von Hexen.

Ich habe schon immer ein Faible für Hexen gehabt. Ich fand es meist doof, wie sie in den Märchen wegkamen, ich hatte immer das Gefühl, dass da mehr dahintersteckte, als man mir erzählte. Auch Fontane benutzt Hexen hier nur scheinbar als Sündenböcke, in Wirklichkeit kritisiert er die Industrialisierung, die Fortschritts- und Technikgläubigkeit der Menschen, die glauben, die Macht der Naturgewalten (hier symbolisiert durch die Hexen, siehe Macbeth) bezwungen zu haben. Kommt mir als Thema heute immer noch sehr vertraut vor.

Und schließlich gibt es da noch Terry Pratchetts Eingangsszene zu „MacBest“.

Wind heulte. Blitze stachen ziellos herab, wie ein ungeschickter Mörder. Donner rollte über das dunkle, regengepeitschte Land. […] Mitten im elementaren Stürmen, neben tropfnassen Stechginsterbüschen, glühte Feuerschein wie Tollheit im Auge eines Wiesels. Das flackernde Licht fiel auf drei Gestalten. Es blubberte im nahen Kessel, und eine unheimliche Stimme kreischte: Wann soll’n wir drei uns wiedersehen?“
Eine kurze Pause folgte.
Schließlich erwiderte eine andere und weitaus normaler klingende Stimme: „Tja, ich hätte nächsten Dienstag Zeit.“

Willkommen auf der Scheibenwelt! Wer jetzt bildlich sehen möchte, worauf Terry Pratchett sich bezieht, klicke hier, dies ist die Eingangsszene von Macbeth in der grandiosen Verfilmung mit Orson Welles.

Reicht das? Das reicht. Also, ich freue mich darauf, eure liebsten Balladen zu lesen.

Und last but not least gibt es nach so viel Shakespeare noch ein Bröckchen Otto Sander zu herrlichen Bildern von William Turner.

 

 

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