Vom Frühlingsregen

Frühlingsregen

Regne, regne, Frühlingsregen,
weine durch die stille Nacht!
Schlummer liegt auf allen Wegen,
nur dein treuer Dichter wacht …

lauscht dem leisen, warmen Rinnen
aus dem dunklen Himmelsdom,
und es löst in ihm tiefinnen
selber sich ein heißer Strom,

läßt sich halten nicht und hegen,
quillt heraus in sanfter Macht …
Ahndevoll auf stillen Wegen
geht der Frühling durch die Nacht.

(Christian Morgenstern, Frühlingsregen, aus: Ich und die Welt, 1898, Online-Quelle)

[Es kommt der Regen des Frühlings]

Es kommt der Regen des Frühlings
Und bringt den Segen des Frühlings,
Die Blumen stehen und warten
An allen Stegen des Frühlings.
Und Düfte streuen die Lüfte
Auf allen Wegen des Frühlings.
Doch mein Gemüth ist beklommen
In Kummer wegen des Frühlings,
Wie ich soll feiern die Feier,
Ich bin verlegen, des Frühlings?
Mir ist im Froste des Winters
Die Lust erlegen des Frühlings.
Bis euch, ihr Blumen, die blühtet
In Lustgehegen des Frühlings,
Mir neu anreget zu blühen
Ein Hauch allregendes Frühlings;
Hab’ ich, ein trauriger Gärtner,
Das Grab zu pflegen des Frühlings.

(Friedrich Rückert, Es kommt der Regen des Frühlings, aus: Winter und Frühling, in: Kindertodtenlieder aus seinem Nachlasse, entstanden 1833-1834, Online-Quelle)

[In tiefen Nächten grab ich dich, du Schatz]

In tiefen Nächten grab ich dich, du Schatz.
Denn alle Überflüsse, die ich sah,
sind Armut und armseliger Ersatz
für deine Schönheit, die noch nie geschah.

Aber der Weg zu dir ist furchtbar weit
und, weil ihn lange keiner ging, verweht.
O, du bist einsam. Du bist Einsamkeit,
du Herz, das zu entfernten Talen geht.

Und meine Hände, welche blutig sind
vom Graben, heb ich offen in den Wind,
so daß sie sich verzweigen wie ein Baum.
Ich sauge dich mit ihnen aus dem Raum,
als hättest du dich einmal dort zerschellt
in einer ungeduldigen Gebärde
und fielest jetzt, eine zerstäubte Welt,
aus fernen Sternen wieder auf die Erde
sanft, wie ein Frühlingsregen fällt.

(Rainer Maria Rilke, In tiefen Nächten grab ich dich, du Schatz, aus: Das Buch von der Pilgerschaft, in: Das Stunden-Buch, 1901, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Okay, ich gebe es zu: Der Rilke passt eigentlich auch für mein Gefühl nicht rein. Aber ich habe die beiden Zeilen „Aber der Weg zu dir ist furchtbar weit | und, weil ihn lange keiner ging, verweht“ SO lange für „zugeschrieben“ gehalten (keine Ahnung warum, vielleicht war das Stundenbuch noch nicht digitalisiert, als ich danach gesucht habe, und/oder ich hatte zu oberflächlich gelesen – vielleicht habe ich es auch gewusst und einfach wieder vergessen), dass ich es jetzt sozusagen öffentlich abspeichern wollte. Seht es mir bitte nach.

Ansonsten wünsche ich euch einen guten, heiteren und gesunden Start in die vorösterliche Woche! Kommt gut rein, durch und wieder raus! 😉

 

25 Kommentare zu “Vom Frühlingsregen

  1. Ich fürchte, zum vollständigen Verständnis der Rilke-Zeilen fehlen bei mir noch so etwa 2 bis 37 Tassen Kaffee …

    Das Morgenstern-Gedicht dagegen hat was. Ich persönlich sehe förmlich vor meinem inneren Auge, wie der um den Schlaf gebrachte Dichter nachts aufsteht, aus dem Fenster sieht und schließlich diese Zeilen zu Papier bringt. 🙂

    Auch dir eine schöne vorösterliche Woche.

    Gefällt 1 Person

    • Ich finde, Rilke versteht mensch leichter über das Gefühl als über den Kopf, aber das ist vielleicht nur meins? 🤔 Und ich finde es bei ihm völlig normal, nicht alles zu verstehen.
      Morgenstern hatte eine sehr nachdenkliche Seite. Wie Ringelnatz, nur anders 😉
      Morgenkaffeegrüße zurück 🌧️☁️🎶☕🍪

      Gefällt 1 Person

  2. In tiefen Träumen
    denn, alles was ich darin sah
    ist Dein Anmut
    Deine Schönheit
    die mir geschah

    Der Weg zu Dir ist mir
    der Erinnerung ganz nah
    weil Du in mir
    zu mir kommst immerdar

    O, ich bin nicht einsam
    Du bist was das ewige Bild
    O, Seele, dass in mir täglich wiederkehrt

    Und meine Hände
    falte ich zum Gebet
    ich heb sie nicht der Hoffnung
    in den lauen Wind
    so daß sie sich spät verbinden
    Dich und mich

    ich küsse Dich heute
    den Kuss den ich Dir damals versagt
    als hättest du Dich damals
    vor meiner Kälte verbeugt
    Deine Zuneigung zu mir vertagt

    meiner tiefen Schuld
    unbewusster Gebärde
    und ich weiss mir
    ich ahne Dir
    Deiner Vergangenheit
    Deine blühende Welt

    die fernen Sternen wissen
    der reglosen Liebe zu Dir

    wie der Frühlingsregen fällt
    so nehme ich Dich unberührt
    bald in das Vergessen
    in Mutter Erde zurück

    Like

  3. Ich finde schon, dass Rilke passt. Alle drei gedichte haben Nachdenkliches im Gepäck, es sind nicht diese leichten Hymnen auf den Frühling, wie sie oft sonst zu finden sind – mir kommt das entgegen, empfinde ich diesen Frühling doch auch etwas abgebremst und über Regen freue ich mich gerade nicht mehr.
    Ich wünsche dir eine gute Woche, mit kleinen Freuden am Wegesrand.
    Herzlichst, Ulli

    Gefällt 1 Person

    • Ich bin im Stress, die kleinen Freuden am Wegesrand wären sehr willkommen. Heute Morgen bin ich schon von einem Tiger angegähnt worden 😉🐯
      Guten Morgen und auch dir eine heitere Woche, liebe Ulli!
      Vormittagskaffeegrüße, hier kommt die Sonne auch gerade raus 🌤️🌱🎶☕🍪

      Gefällt 1 Person

  4. Guten Morgen!
    Für mich passt der Rilke wunderbar und, wie so häufig, bin ich von seiner Sprache begeistert. Auch den Morgenstern finde ich fein. Gestolpert bin ich über den Begriff ‚ahndevoll‘, den hab ich, glaub ich zum letzten Mal bei Thomas Mann gelesen. Ich finde das Wort so wunderbar, dass ich nicht ausschließe es demnächst einmal einzubauen. Danke also für diese Wortspende!

    Der Rückert geht eher nicht an mich ran. Den habe ich bisher nur im Zusammenhang mit Mahler genossen. Aber das ist, wie Du ja bei mir geschrieben hast, so gar nicht Deins.

    Ich wünsche Dir ebenfalls eine schöne rundumösterliche Woche!

    Gefällt 1 Person

    • Ich mag bei Rückert speziell diesen fließenden Rhythmus und die Wiederholungen, mit eventuellen Vertonungen, von denen ich natürlich weiß, dass es sie gibt, kannst du mich ziemlich sicher jagen, korrekt 😉
      Ich freue mich sehr, dass du Rilke magst. „Ahndevoll“ hätte ich dagegen woanders nicht zugeordnet; ich freue mich immer noch über die beiden gefundenen Zeilen bei Rilke …
      Herzliche Vormittagskaffeegrüße 🌤️🌱🎶☕🍪

      Like

      • lese ich richtig, Christiane, dass du die „Kindertotenlieder“ von Mahler (mit dennRückert-Texten) nicht magst? Für mich gehören sie, seit ich sie vor sehr langer Zeit zum ersten Mal hörte, zu den überaus wichtigen Musikerlebnissen. Vielleicht willst du sie doch noch einmal hören?

        Gefällt 1 Person

        • Ich habe generell ein Problem mit klassischer gesungener Musik, liebe Gerda. Das fängt bei Opern an und hört beim klassischen deutschen Lied nicht auf. Es gibt Ausnahmen, häufig Kirchenmusik, aber meist ist der Gesang nicht mein Fall. Ich würde mich nie einem Chor anschließen, dessen Repertoire sich hauptsächlich in diesem Bereich bewegt. Ja, das ist mit Sicherheit ein persönlicher Fehler und nicht die Schuld der Musik. Ich probiere es immer wieder mal und scheitere, und irgendwann habe ich dann keine Lust mehr.
          Ehrlich gesagt, weiß ich spontan nicht, ob ich die Kindertotenlieder mögen könnte, daher mein „ziemlich sicher“ an Cynthia. Kennst du eine Aufnahme, die du mir empfehlen würdest?
          Mittagskaffeegrüße 🌦️☁️🎶☕🍪

          Gefällt 1 Person

          • Alte Aufnahmen müssen nicht schlechter sein als neue. Ich fräse mich gerade durch YouTube:

            Magst Du lieber Männer- oder Frauenstimmen?

            Die Uraltaufnahme (1968)von Fischer-Dieskau ist eine meiner liebsten. Niemand singt so herrlich ‚fahl‘ mit nur einem Hauch von Stimmband wie er. Auch die zurückhaltenden Interpretation von Lorin
            Maazel passt hervorragend dazu.

            https://youtu.be/fV0GxL9cRWk?feature=shared

            Es gibt noch eine Aufnahme, die 20 Jahre später entstanden ist, die ich aber viel offensichtlicher und weniger transparent finde. Die Aufnahmen mit Frauen finde ich fast alle etwas zu dick aufgetragen. Anne Sofie von Otter ist da eine Ausnahme (für mich):

            https://youtu.be/vR-tuYEBmfo?feature=shared

            Es gibt natürlich auch noch die Version für Stimme und Klavier. Für meine Ohren fehlt da aber der mysthische Zauber der Instrumente, das Sphärische.

            So… klasse. Die Sonne kommt raus und ich hab Kindertotenlieder als Ohrwurm… *lach*

            Gefällt 1 Person

          • Herzlichen Dank für deine Mühe, damit habe ich ja nun gar nicht gerechnet! Ich höre später mal rein und kann dir dann hoffentlich wenigstens sagen, ob ich den Herrn oder die Dame lieber mag 😉
            Nachmittagskaffeegrüße 🌦️☁️🎶☕🍪

            Like

          • Moin. Ich HABE reingehört, und zwar jeweils das erste Stück. Ich finde, dass beide Stimmen was (sehr Schönes) für sich haben, und mag mich dementsprechend nicht entscheiden. Vielen Dank, dass du mir die Aufnahmen herausgesucht hast, ich sage es noch mal. Aber: Die Musik ist nicht meins. Ich versuche, irgendwas dazu zu assoziieren, finde nichts (sehr verwunderlich) außer einem Fluchtimpuls: Mach das aus, das ist furchtbar, ich will das nicht hören, kann ich bitte raus. Das ist mit Sicherheit nicht die Schuld der Musik bzw. der Aufnahme oder der Sänger, und ich persönlich bin ratlos, was meine Reaktion angeht, die ich als überzogen empfinde. Ob das auch die Epoche ist, weiß ich nicht, wäre aber denkbar. 🤔
            Morgenkaffeegrüße ❄️🌤️🎶☕🍪

            Like

          • Das mit dem Fluchtimpuls finde ich spannend. Mir geht es z. B. beim Rilke-Projekt so, dass ich das Meiste unerträglich finde. Mir liegt der den Rilke-Gedichten eigene Klang so am Herzen, dass ich die (für meine Ohren) profanen, geschmäcklerischen Vertonungen, die (wieder für meine Ohren) einen beliebigen bis nahezu gehaltlosen Klangbrei bilden, die den Text (für meine Ohren) verschlimmbessern, nicht aushalten kann. Ich habe etliche Anläufe genommen, weil das Projekt ja sogehypt wurde und ich erst mal unterstelle, dass es an MIR liegt, dass ich das nicht so toll finde. Ich konnte jedesmal feststellen, dass es einen bestimmten Verlauf an Emotionen in mir auslöst:

            Langeweile – Ärger – Widerwillen – Abscheu – Übelkeit – körperlicher Schmerz – zurückkehrend zur Fassungslosigkeit, warum Rilke-Fans das hören mögen – und abschließend Traurigkeit. – Krass, oder? Kann ich auch nicht regulieren. Darum ‚flüchte‘ ich, wenn das Rilke-Projekt irgendwo auftaucht auch erst einmal. Auch ‚überzogen‘ aber eben nicht zu ändern. 😉

            Zu den Kindertotenliedern von Mahler: Die SIND aber auch einfach krass und zum Flüchten. Das hat Mahler schon sehr schön komponiert, dass einem das direkt bis ins Mark geht.

            Gefällt 1 Person

          • Ha! Jetzt wird es richtig interessant! 😉 Gedicht-Rezitationen sind nämlich auch so ein Punkt, wo ich sehr leicht ins Würgen komme, und zwar auch bei sogenannten „großen Namen“, egal ob mit oder ohne Musikeinbindung. Und ja, ich teile deine Einschätzung des Rilke-Projekts: Meistens furchtbar, Wort wie Musik. Dennoch haben sich ein paar gesprochene Zeilen in mein Gehirn vergraben („Und wie mag die Liebe dir kommen sein“, mehr will gerade nicht), aber die Musik dazu blende ich in der Regel aus: Übergriffig und aufdringlich, zu laut, zu sehr im Vordergrund, zu viel Show.
            Es gibt aber genau zwei Vertonungen, die ich sehr liebe, die beide wirklich sehr: Nummer eins ist Laith al-Deen mit „In meinem wilden Herzen“ („Wunderliches Wort, die Zeit vertreiben“). Gibt es noch auf YT, aber sehr versteckt, ich fürchte, es wird bei zu viel öffentlicher Aufmerksamkeit gelöscht (die Trommeln am Anfang gehören zum Account). Das ist, wenn ich mich recht erinnere, von Anfang an nicht als Rezitation geplant gewesen, sondern als freie Umsetzung, und die Musik ist (ebenfalls, wenn ich mich recht erinnere) von Laith al-Deen. Nummer zwei ist „Liebes-Lied“ von Frida Gold und Cassandra Steen, über das ich nichts weiter weiß und sehr zauberhaft finde, das ist als offizielles Rilke-Projekt-Video online:

            Vormittagskaffeegrüße! 😀

            Like

    • Ach, liebe Bruni, das freut mich aber sehr, dass dein Herz so eindeutig schlägt! 😁👍
      Wir haben Aprilwetter. Vorhin Regen, dann blauen Himmel und Sonne, jetzt hat es sich wieder zugezogen … Und es fühlt sich frisch an, das allerdings soll sich Richtung Ostern ändern … 🤔😉
      Vormittagskaffeegrüße ☁️🌦️🎶☕🍪

      Gefällt 2 Personen

  5. das Vergleichen ist immer eine Versuchung – ich versuche, sie zu vermeiden. So verschieden sind die drei Gedichte, als Verbindendes bleibt nur das Wort „Frühlingsregen“. Jedes Gedicht für sich ein Diamant.
    Frühlingsregen also: vielleicht mag Sonja es in ihre tägliche Wortsammlung aufnehmen.

    Gefällt 3 Personen

  6. Liebe Christiane,
    da hast du drei Dichter ausgesucht, die zu unseren Lieblingsdichtern gehören.
    Rückert war ein Spezialist für orientalische Lyrik und ahmte oftmals Nizami, Rumi und andere wie auch in diesem Gedicht nach.,
    Frohe Osterferien
    The Fab Four of Cley
    🙂 🙂 🙂 🙂

    Gefällt 1 Person

    • Lieber Klausbernd, ich glaube, darauf hast du mich sogar schon einmal aufmerksam gemacht. Ja, Rückert war nicht „nur“ ein Dichter, sondern ein Sprachgelehrter und Professor, das wird oft übersehen. Danke dir!
      Frohe Osterferien auch euch!
      Vormittagskaffeegrüße 🌦️🎶☕🍪

      Gefällt 1 Person

Mit der Nutzung der Kommentarfunktion erklärst du dich mit der Verarbeitung deiner Daten durch diese Website bzw. WordPress (Wordpress.com, Gravatar, Akismet) einverstanden. Weitere Informationen findest du in meiner Datenschutzerklärung.

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..