Von Pfingsten (unkirchlich)

Berliner Pfingsten

Heute sah ich ein Gesicht,
Wonnevoll zu deuten:
In dem frühen Pfingstenlicht
Und beim Glockenläuten
Schritten Weiber drei einher,
Feierlich im Gange,
Wäscherinnen, fest und schwer!
Jede trug ’ne Stange.

Mädchensommerkleider drei
Flaggten von den Stangen;
Schönre Fahnen, stolz und frei,
Als je Krieger schwangen,
Blau und weiß und rot gestreift,
Wunderbar beflügelt,
Frisch gewaschen und gesteift,
Tadellos gebügelt.

Lustig blies der Wind, der Schuft,
Lenden auf und Büste,
Und von frischer Morgenluft
Blähten sich die Brüste!
Und ich sang, als ich gesehn
Ferne sie entschweben:
Auf und laßt die Fahnen wehn,
Schön ist doch das Leben!

(Gottfried Keller, Berliner Pfingsten, aus: Neuere Gedichte, 1851/54, Online-Quelle)

Pfingstbestellung

Ein Pfingstgedichtchen will heraus
Ins Freie, ins Kühne.
So treibt es mich aus meinem Haus
Ins Neue, ins Grüne.

Wenn sich der Himmel grau bezieht,
Mich stört’s nicht im geringsten.
Wer meine weiße Hose sieht,
Der merkt doch: Es ist Pfingsten.

Nun hab ich ein Gedicht gedrückt,
Wie Hühner Eier legen,
Und gehe festlich und geschmückt
Pfingstochse meinetwegen
Dem Honorar entgegen.

(Joachim Ringelnatz, Pfingstbestellung, aus: Gedichte dreier Jahre, 1932, Online-Quelle)

Kleinstadtpfingsten

Um eine schöne Pfingststimmung zu bewirken,
Stellt man in den kleinen Städten Birken
Vor die Tür. Und am Vorabend singen
Die Mädchen süßsonderbare Lieder, die den Sommer herbeizwingen
Sollen. Die Buben zwitschern auf ihren Kalmusstauden wie Nachtigallen.
Aber vor allen
Dingen vergeßt
Nicht: wir feiern Pfingsten das Schützenfest.
In grasgrüner Uniform wie die Förster, mit Fahnen, Flöten, Pauken, und unter Applaus
Des Publikums, marschiert die Schützengilde (63 Mann) zum Schützenhaus.
Mein Vater ist Schützenmajor – er trägt einen Ehrendegen
Und muß an solchem Fest- und Ehrentage auch seinen Kronenorden vierter Klasse anlegen,
Sowie die hohenzollern-sigmaringsche Verdienstmedaille. –
Die Mädchen gehen alle schon in weißer Taille,
Und am Abend tanzt man im Schützenhaussaal bis zum Verrücktwerden …
Dann draußen unter den Bäumen … im Grase … von deinem Munde beglückt werden.
… Küsse … Musik von ferne … am Abendhimmel die Venus gleißt …
Und wir reden jauchzend irr mit fremden Zungen,
Unsere Herzen sind wie Blüten aufgesprungen,
Nieder fuhr durchs Dunkel wie ein Blitz singend der heilige Geist …

(Klabund, Kleinstadtpfingsten, aus: Morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern!, 1913, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Ja, das ist eigentlich ein Maibaum. Aber ich zum Beispiel kenne diesen Brauch eher von Pfingsten, wo in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, zugleich auch immer Kirmes war. Wen es interessiert, den verweise ich auf den sehr informativen Wikipedia-Artikel.

Euch allen einen schönen Feiertag und eine gute neue Woche!

 

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Vom Regen

Regen

Geht ein grauer Mann
Durch den stillen Wald,
Singt ein graues Lied.
Die Vöglein schweigen alsbald.
Die Fichten ragen so stumm und schwül
Mit ihrem schweren Astgewühl.
In fernen Tiefen
Vergrollt ein Ton. —

(Johannes Schlaf, Regen, aus: Helldunkel, 1899, Online-Quelle)

Im Regen

Es stimmt zu mir, es ist ein sinnreich Wetter;
mein Nacken trieft, denn Baum und Borke triefen.
Die Tropfen klatschen durch die schlaffen Blätter;
die nassen Vögel tun, als ob sie schliefen.

Der Himmel brütet im verwaschnen Laube,
als würde nie mehr Licht nach diesem Regen;
nun kann er endlich, ungestört vom Staube,
das Los der Erde gründlich überlegen.

Die Welt fühlt grämlich ihres Alters Schwere:
kein Fünkchen Freude, keine Spur von Trauer.
Und immer steter schwemmt sie mich ins Leere:
kein Staub, kein Licht mehr – grau – und immer grauer.

(Richard Dehmel, Im Regen, aus: Erlösungen. Gedichte und Sprüche, 2., veränderte Auflage 1898, Online-Quelle)

Regen

Der Regen rinnt schon tausend Jahr,
Die Häuser sind voll Wasserspinnen,
Seekrebse nisten mir im Haar
Und Austern auf des Domes Zinnen.

Der Pfaff hier wurde eine Qualle,
Seepferdchen meine Nachbarin.
Der blonde Seestern streckt mir alle
Fünfhundert Fühler zärtlich hin.

Es ist so dunkel, kalt und feucht.
Das Wasser hat uns schon begraben.
Gib deinen warmen Mund – mich deucht,
Nichts bleibt uns als uns lieb zu haben.

(Klabund, Regen, aus: Die Harfenjule, Berlin 1927, Online-Quelle)

Regenlied

Des Regens starker Gesang wird zum Rauschen,
Das voller und voller erklingt.
Es schweigt selbst der Wald, um dem Liede zu lauschen,
Das der strömende Himmel ihm singt.

Es schäumen mit wuchtendem Anprall die Wasser
Vom Himmel zur Erde herab.
Es rasen die Ströme des Regens in nasser,
Wild stürzender Wut, die der Blitz ihnen gab.

Es duckt sich und beugt ihren Rücken die Erde
Unter dem peitschenden Sausen.
Wie vom Hufschlag einer hinrasenden Herde
Ist die Luft erfüllt von dem Brausen.

Dann wird das Rauschen zum raunenden Schallen,
Zum Murmeln von müder Süße.
Auf die Dächer vereinzelte Tropfen fallen
Wie ferne, glückstrunkene Küsse.

1.8.1941

(Selma Merbaum, Regenlied, aus: Blütenlese/Ich bin in Sehnsucht eingehüllt, Wikipedia zu Dichterin (auch bekannt als Selma Meerbaum-Eisinger) und Werk, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Ich dachte, ich brauche mal wieder ein paar Regengedichte. Nichtsdestotrotz: Eine fröhliche Woche wünsche ich euch, mögt ihr heil, gesund und heiter sein!

 

Von Liebesliedern und der Nacht

[Das Glück ist dieses]

Das Glück ist dieses: Beieinander ruhen,
schweigsam als wie gebettet in den Abend,
und Horchen ist es auf den Ton,
den meine Seele nächtlich deiner singt.

(Walter Calé, Das Glück ist dieses, aus: Mauthner (Hg.), Nachgelassene Schriften von Walter Calé, 1910, Online-Quelle)

Ein Liebeslied

Komm zu mir in der Nacht – wir schlafen engverschlungen.
Müde bin ich sehr, vom Wachen einsam.
Ein fremder Vogel hat in dunkler Frühe schon gesungen,
Als noch mein Traum mit sich und mir gerungen.

Es öffnen Blumen sich vor allen Quellen
Und färben sich mit deiner Augen Immortellen …..

Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternenschuhen
Und Liebe eingehüllt spät in mein Zelt.
Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen.

Wir wollen wie zwei seltene Tiere liebesruhen
Im hohen Rohre hinter dieser Welt.

(Else Lasker-Schüler, Ein Liebeslied, aus: Mein blaues Klavier, 1943, Online-Quelle)

Liebes-Lied

Wie soll ich meine Seele halten, daß
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen

an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.

Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Spieler hat uns in der Hand?
O süßes Lied.

(Rainer Maria Rilke, Liebes-Lied, aus: Neue Gedichte, 1907, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Wer Zeit hat, dem empfehle ich zwei Videos:

Die Vertonung des obigen Rilke-Gedichtes, gesungen von Frida Gold und Cassandra Steen für das Rilke-Projekt. Die beiden geben dem Gedicht eine ganz einzigartige Klangfarbe und bezaubern mich jedes Mal, wenn ich sie höre –> hier klicken (YouTube).

„Bilder von dir“, Laith al-Deen, eines meiner Lieblingsliebeslieder. Ich kenne es seit inzwischen vielen Jahren, es macht mich immer noch lächeln, wenn ich es höre, und ich mag den Sänger nach wie vor. Dies ist eine ungewöhnliche Live-Aufnahme mit der Bigband des Hessischen Rundfunks, eindeutig eine Version für die Fans 😉 –> hier klicken (YouTube).

Wer sich jetzt fragt, ob es einen aktuellen Anlass für meine gute Laune gibt: Nein. Es ist einfach nur Mai und die Sonne scheint.

Kommt gut und heiter in und durch die neue Woche. Ach, und den Feiertag am Donnerstag haben wir ja auch noch.

 

Von Schwalben

Schwalben

Schwalben, durch den Abend treibend,
leise rufend, hin und wieder,
kurze rasche Bogen schreibend,
goldne Schimmer im Gefieder –.

Oh, wie möcht’ ich dir sie zeigen,
diese sonnenroten Rücken!
Und der götterleichte Reigen
müsste dich wie mich entzücken.

(Christian Morgenstern, Schwalben, aus: Ein Sommer. Verse. S. Fischer, Berlin, 1900, Online-Quelle)

Die Schwalben schossen vorüber tief dir zu Füßen

Die Schwalben schossen vorüber tief dir zu Füßen,
Als sei ihr Flug ihr Zeichen tief dich zu grüßen.
Oft dünkten die Vögel am Himmel mich mehr klug
Wie mancher, den ich nach Wegen der Erde frug.
Schwalben, die früh bis spät in Freiheit schwammen,
Die halten sich in Liebe eng zusammen.
Sie bauen ihr Nest warm wie der Mensch sein Dach.
Sie fliegen von früh bis spät begeistert wach
Und eilen stets hurtig dem Weg ihres Herzens nach.

(Max Dauthendey, Die Schwalben schossen vorüber tief dir zu Füßen, aus: Lusamgärtlein, in: Gesammelte Gedichte und kleinere Versdichtungen, Albert Langen, München 1930, S. 279)

Sonnenkraft

Und immer wieder sinkt der Winter
und immer wieder wird es Frühling
und immer immer wieder stehst du
und freust dich an dem ersten Grün,
und wenn die kleinen Veilchen blühn,
und immer wieder ist es schön
und macht es jung und macht es froh,
und ob du’s tausendmal gesehn:
wenn hoch in lauen blauen Lüften
die ersten Schwalben lustig zwitschern …
immer wieder … jedes Jahr …
sag, ist das nicht wunderbar?!

Diese stille Kraft der Seele:
immer neu sich aufzuringen
aus dem Banne trüber Winter,
aus dem Schatten grauer Nächte,
aus der Tiefe in die Höhe …
sag, ist das nicht wunderbar?!
diese stille Kraft der Seele,
immer wieder
sich zur Sonne zu befrein,
immer wieder stolz zu werden,
immer wieder froh zu sein?!

(Cäsar Flaischlen, Sonnenkraft, in: Ziel-entgegen, aus: Aus den Lehr- und Wanderjahren des Lebens, Erstdruck 1900, Online-Quelle)

Schwalbensiciliane.

Zwei Mutterarme, die das Kindchen wiegen,
Es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder.
Maitage, trautes Aneinanderschmiegen,
Es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder.
Des Mannes Kampf: Sieg oder Unterliegen,
Es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder.
Ein Sarg, auf den drei Handvoll Erde fliegen,
Es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder.

(Detlev von Liliencron, Schwalbensiciliane, aus: Adjutantenritte und andere Gedichte, Leipzig, 1883, Online-Quelle)


Quelle: Pixabay

Ich konnte nicht widerstehen, auch wenn ich eigentlich Schwalben im Flug hätte haben wollen …

Kommt gut und heiter durch diese Woche!

 

Von Ostern und Frühling

Die Amseln haben Sonne getrunken

Die Amseln haben Sonne getrunken,
aus allen Gärten strahlen die Lieder,
in allen Herzen nisten die Amseln,
und alle Herzen werden zu Gärten
und blühen wieder.

Nun wachsen der Erde die großen Flügel
und allen Träumen neues Gefieder;
alle Menschen werden wie Vögel
und bauen Nester im Blauen.

Nun sprechen die Bäume in grünem Gedränge
und rauschen Gesänge zur hohen Sonne,
in allen Seelen badet die Sonne,
alle Wasser stehen in Flammen,
Frühling bringt Wasser und Feuer
liebend zusammen.

(Max Dauthendey, Die Amseln haben Sonne getrunken, aus: Reliquien, in: Gesammelte Gedichte und kleinere Versdichtungen, Albert Langen, München 1930, S. 122)

[Andre haben andre Schwingen]

Andre haben andre Schwingen,
Aber wir, mein fröhlich Herz,
Wollen grad hinauf uns singen,
Aus dem Frühling himmelwärts!

(Joseph von Eichendorff, Andre haben andre Schwingen, in: VI. Geistliche Gedichte, aus: Gedichte, 1841, Online-Quelle)

Ewige Ostern

Als sie warfen Gott in Banden,
Als sie ihn ans Kreuz geschlagen,
Ist der Herr nach dreien Tagen
Auferstanden.

Felder dorren. Nebel feuchten.
Wie auch hart der Winter wüte:
Einst wird wieder Blüt’ bei Blüte
Leuchten.

Ganz Europa brach in Trümmer,
Und an Deutschland frißt der Geier, –
Doch der Frigga heiliger Schleier
Weht noch immer.

Leben, Liebe, Lenz und Lieder:
Mit der Erde mag’s vergehen.
Auf dem nächsten Sterne sehen
Wir uns wieder.

(Klabund, Ewige Ostern, aus: Die Harfenjule, Berlin 1927, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Feiertag hin oder her, mein Wunsch an euch ändert sich nicht: Kommt gut (heil und gesund) durch diesen Tag, diese Woche!

 

Von Trost

Am Luganer See

Durchs Fenster strömt der See zu mir herein,
Der Himmel auch mit seinem Mondenschein.
Die Wogen ziehen über mir dahin,
Ich träume, daß ich längst gestorben bin.
Ich liege auf dem Grunde alles Seins
Und bin mit Kiesel, Hecht und Muschel eins.

(Klabund (Alfred Henschke), Am Luganer See, aus: Gedichte, 1926, Artikel über Klabunds Situation, Online-Quelle)

Dämmerung

Am Himmel steht der erste Stern,
Die Wesen wähnen Gott den Herrn,
Und Boote laufen sprachlos aus,
Ein Licht erscheint bei mir zu Haus.

Die Wogen steigen weiß empor,
Es kommt mir alles heilig vor.
Was zieht in mich bedeutsam ein?
Du sollst nicht immer traurig sein.

(Theodor Däubler, Dämmerung, aus: Das Sternenkind, 1916, Online-Quelle)

[Tröste dich, die Stunden eilen]

Tröste dich, die Stunden eilen,
Und was all’ dich drücken mag,
Auch das Schlimmste kann nicht weilen,
Und es kommt ein andrer Tag.

In dem ew’gen Kommen, Schwinden,
Wie der Schmerz liegt auch das Glück,
Und auch heitre Bilder finden
Ihren Weg zu dir zurück.

Harre, hoffe, nicht vergebens
Zählest du der Stunden Schlag;
Wechsel ist das Los des Lebens,
Und – es kommt ein andrer Tag!

(Theodor Fontane, Tröste dich, die Stunden eilen, aus: Vor dem Sturm, Dritter Band, 6. Kapitel „Im Kolleg“, 1878, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Das ist übrigens wirklich der Luganer See.

Kommt alle gut und fröhlich und heil (also anders als ich) in und durch die neue Woche und genießt die Feiertage, so ihr feiert!

 

Von Mut

Krokodile

Einst
war meine Seele ein Lämmchen.

Sie packten es,
schoren ihm gierig seinen weißen Flaum,
und auf sein rosiges Schnuffelschnäuzchen schlugen sie mit Knütteln.

Sein jämmerliches Weinen
rührte sie nicht.

Aus meinen Schwielen
wurden Schuppen.

Ich wuchs zum grünen Drachen mit langer Krokodilschnauze,
unter jedem Zahn eine Giftdrüse.

Ich beiße alle in den Bauch!

Sie weichen mir aus.

Ich bin böse, unchristlich und überhaupt ein Gemütsmensch.

(Rolf Wolfgang Martens, Krokodile, aus: Befreite Flügel, 1899, Online-Quelle)

Der Unterschied zwischen Kraft und Mut

Man braucht Kraft, um stark zu sein,
aber man muß Mut haben, um höflich zu sein.

Man braucht Kraft, um sich zu verteidigen,
aber man muß Mut haben, um Vertrauen zu haben.

Man braucht Kraft, um einen Kampf zu gewinnen,
aber man muß Mut haben, um sich zu ergeben.

Man braucht Kraft, um recht zu haben,
aber man muß Mut haben, um zu zweifeln.

Man braucht Kraft, um stabil zu bleiben,
aber man braucht Mut, um aufrichtig zu bleiben.

Man braucht Kraft, um seine eigenen Fehler zu verbergen,
aber man braucht Mut, um dieselben einzugestehen.

Man braucht Kraft, um das Unrecht zu ertragen,
aber man braucht Mut, um dasselbe zu beenden.

Man braucht Kraft, um alleine zu bleiben,
aber man braucht Mut, um Hilfe zu bitten.

Man braucht Kraft zum Lieben,
aber man braucht Mut, um geliebt zu werden.

Man braucht Kraft, um zu überleben,
aber man braucht Mut zum Leben.

(Berthold Auerbach, Der Unterschied zwischen Kraft und Mut, Online-Quelle, wer eine bessere hat, möge sie bitte nennen – laut Wikipedia (hier) hat Auerbach keine Gedichte geschrieben, und die Formulierung kommt mir sehr modern vor)



Quelle: Pixabay

Wie immer: Kommt gut, heil und gesund in und durch die neue Woche!

 

Vom Lob der Kartoffel

Kartoffellied

Pasteten hin, Pasteten her,
Was kümmern uns Pasteten?
Die Kumme hier ist auch nicht leer,
Und schmeckt so gut, als bonne chère
Von Fröschen und von Kröten.

Und viel Pastet und Leckerbrot
Verdirbt nur Blut und Magen.
Die Köche kochen lauter Not,
Sie kochen uns viel eher tot;
Ihr Herren laßt euch sagen!

Schön rötlich die Kartoffeln sind
Und weiß wie Alabaster!
Sie däun sich lieblich und geschwind
Und sind für Mann und Frau und Kind
Ein rechtes Magenpflaster.

(Matthias Claudius, Kartoffellied, in: Paul Erdmanns Fest, aus: ASMUS omnia sua SECUM portans oder Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen, Vierter Theil, 1774, Online-Quelle (Text), Online-Quelle (im Kontext))

Die Kartoffel

Es ist für uns Materielle
Nur eine Kartoffel die Welt,
Von der der Weise die Pelle
Fürsorglich herunter schält.

Denn eine von unsern Devisen
Ist die: Kartoffel und Welt,
Sind beide nicht zu genießen,
Wenn man sie nicht richtig quellt.

Der idealistische Stoffel,
Der alles für herrlich hält,
Verzehrt die ganze Kartoffel
Natürlich unabgepellt.

Doch liegt sie ihm dann im Magen,
So jammert er und erzählt,
Wie schwer für ihn zu ertragen
Oft diese so „rohe“ Welt!

Wir aber genießen behaglich
Die Süße, die sie enthält –
Die beste Kartoffel, unfraglich,
Ist – richtig genossen – die Welt.

(A. de Nora (Anton Alfred Noder), Die Kartoffel, aus: Ruhloses Herz, 1908, Online-Quelle)

Abschiedsworte an Pellka

Jetzt schlägt deine schlimmste Stunde,
Du Ungleichrunde,
Du Ausgekochte, du Zeitgeschälte,
Du Vielgequälte,
Du Gipfel meines Entzückens.
Jetzt kommt der Moment des Zerdrückens
Mit der Gabel! – – Sei stark!
Ich will auch Butter und Salz und Quark
Oder Kümmel, auch Leberwurst in dich stampfen.
Mußt nicht so ängstlich dampfen.
Ich möchte dich doch noch einmal erfreun.
Soll ich Schnittlauch über dich streun?
Oder ist dir nach Hering zumut?

Du bist ein so rührend junges Blut. –
Deshalb schmeckst du besonders gut.
Wenn das auch egoistisch klingt,
So tröste dich damit, du wundervolle
Pellka, daß du eine Edelknolle
Warst, und daß dich ein Kenner verschlingt.

(Joachim Ringelnatz, Abschiedsworte an Pellka, aus: Gedichte, Gedichte von Einstmals und Heute, 1934, Online-Quelle)

Altes Lied

Es war einmal ein Bäcker,
Der prunkte mit einem Wanst,
Wie du ihn kühner und kecker
Dir schwerlich träumen kannst.

Er hat zum Weibe genommen
Ein würdiges Gegenstück;
Sie konnten zusammen nicht kommen,
Sie waren viel zu dick.

(Frank Wedekind, Altes Lied, aus: Die vier Jahreszeiten, 1905, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Fastenzeit, ja? Ich weiß ja nicht, wie das bei euch ist, aber den einen oder die andere von euch wird man doch bestimmt damit hinter dem Ofen vorlocken können, oder? Tatsächlich ist Claudius’ bekanntes Kartoffellied offen politisch, daher habe ich euch einmal den puren Text und einmal im Kontext verlinkt. Nora und Ringelnatz sprechen mit einem Augenzwinkern für sich, und den Wedekind konnte ich mir nicht verkneifen, nachdem ich ihn gefunden hatte …

Kommt gut und heiter und gesund in und durch eure neue Woche! 😉

 

Von Freude und so

Erinnerung.

Willst du immer weiter schweifen?
Sieh, das Gute liegt so nah.
Lerne nur das Glück ergreifen,
Denn das Glück ist immer da.

(Johann Wolfgang von Goethe, Erinnerung, aus: Gedichte (Ausgabe letzter Hand, 1827), Online-Quelle)

Zuspruch.

Such’ nicht immer, was Dir fehle,
Demuth fülle Deine Seele,
Dank erfülle Dein Gemüth.
Alle Blumen, alle Blümchen,
Und darunter selbst ein Rühmchen,
Haben auch für Dich geblüht!

(Theodor Fontane, Zuspruch, aus: Gedichte, 1905, Online-Quelle)

Freude

Freude soll nimmer schweigen.
Freude soll offen sich zeigen.
Freude soll lachen, glänzen und singen.
Freude soll danken ein Leben lang.
Freude soll dir die Seele durchschauern.
Freude soll weiterschwingen.
Freude soll dauern
Ein Leben lang.

(Joachim Ringelnatz, Freude, aus: Gedichte, 1910, Online-Quelle)

Wie sich das Galgenkind die Monatsnamen merkt

Jaguar
Zebra
Nerz
Mandrill
Maikäfer
Ponny
Muli
Auerochs
Wespenbär
Locktauber
Robbenbär
Zehenbär.

(Christian Morgenstern, Wie sich das Galgenkind die Monatsnamen merkt, aus: Galgenlieder (erw. Ausgabe 1932), Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Aus Gründen 😉

Ach, Aufruf! Balladentag, nächste Woche Montag? Wer macht mit? Wie ist es mit euch, seid ihr dabei? Was ich damit meine, könnt ihr hier genauer nachlesen.

Kommt gut und heil und fröhlich in und durch die neue Woche!


Vom Frieden

Weß ist der Erdenraum?

Weß ist der Erdenraum? Des Fleißigen.
Weß ist die Herrschaft? Des Verständigen.
Weß sei die Macht? Wir wünschen alle, nur
Des Gütigen, des Milden. Rach’ und Wuth
Verzehrt sich selber. Der Friedselige
Bleibt und errettet. Nur der Weisere
Soll unser Vormund seyn. Die Kette ziemt
Den Menschen nicht und minder noch das Schwert.

(Johann Gottfried von Herder, Weß ist der Erdenraum?, aus: Die Fremdlinge, in: Zerstreute Blätter, Sechste Sammlung, VII. Legenden, Neue Auflage 1820, Online-Quelle)

II.

Verlange nichts von irgendwem,
laß jedermann sein Wesen,
du bist von irgendwelcher Fehm
zum Richter nicht erlesen.

Tu still dein Werk und gib der Welt
allein von deinem Frieden,
und hab dein Sach auf nichts gestellt
und niemanden hienieden.

(Christian Morgenstern, Verlange nichts von irgendwem, aus: Wir fanden einen Pfad, 1914, Online-Quelle)

Es wird citiert hienieden …

Es wird citiert hienieden
Ein Bild zum Ueberdruß:
Von dem Faß der Danaiden
Und dem Stein des Sysiphus.

Schafft endlich Beiden Frieden
Durch freundlichen Beschluß:
Verstopft das Faß der Danaiden
Mit dem Stein des Sysiphus.

(Albert Roderich, 1846–1938, Schriftsteller und Aphoristiker, Es wird citiert hienieden, keine Quelle bekannt, möglicherweise aus den „Fliegenden Blättern“ oder „In Gedanken. Vers-Aphorismen“, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Als ich vor wenigen Tagen eher zufällig den ersten Gedichteintrag des letzten Jahres aufrief, stutzte ich, weil er „Vom Frieden“ hieß und mir das spontan doch bemerkenswert vorkam. Also, dachte ich mir, kann ich ihn auch noch einmal (verändert) wiederholen, denn ich finde den Gedanken, einem Übel ein anderes in den Rachen zu stopfen und damit beide zu erschlagen, immer noch reizvoll. Ich glaube allerdings noch weniger als letztes Jahr, dass es funktioniert.
Und ach, Herder: Der Text spielt zu der Frühzeit der deutschen Christianisierung, da mal reinzulesen lohnt sich durchaus ;-), der steht hier also richtig außerhalb jedes Kontextes als frommer (wenn auch sehr nachvollziehbarer) Wunsch …
Ja, Gerda, ich habe bei den Danaiden auch an dein Weltentheater denken müssen.

Auch in diesem Jahr: Kommt gut und gesund und heil in und durch die neue Woche!

 

Von Zweisamkeit. Irgendwie

Eine Ehe

Sie konnten sich nie leiden
Und wurden doch ein Paar.
Sie dachten täglich ans Scheiden
Durch fünfundzwanzig Jahr.

Sie haßt ihn, der nicht minder
Von Schmähungen über sie strotzt.
Und beide haben neun Kinder
Einander abgetrotzt.

(Georg Bötticher, Eine Ehe, Online-Quelle)

Der Nachtschelm und das Siebenschwein
oder
Eine glückliche Ehe

Der Nachtschelm und das Siebenschwein,
die gingen eine Ehe ein,
o wehe!
Sie hatten dreizehn Kinder, und
davon war eins der Schluchtenhund,
zwei andre waren Rehe.

Das vierte war die Rabenmaus,
das fünfte war ein Schneck samt Haus,
o Wunder!
Das sechste war ein Käuzelein,
das siebte war ein Siebenschwein
und lebte in Burgunder.

Acht war ein Gürteltier nebst Gurt,
neun starb sofort nach der Geburt,
o wehe!
Von zehn bis dreizehn ist nicht klar; –
doch wie dem auch gewesen war,
es war eine glückliche Ehe!

(Christian Morgenstern, Der Nachtschelm und das Siebenschwein oder Eine glückliche Ehe, aus: Galgenlieder, 1932, Online-Quelle)

VERSÖHNUNG

Es ließe sich alles versöhnen,
Wenn keine Rechenkunst es will.
In einer schönen,
Ganz neuen und scheuen
Stunde spricht ein Bereuen
So mutig still.

Es kann ein ergreifend Gedicht
Werden, das kurze Leben,
Wenn ein Vergeben
Aus Frömmigkeit schlicht
Sein Innerstes spricht.

Zwei Liebende auseinandergerissen:
Gut wollen und einfach sein!
Wenn beide das wissen,
Kann ihr Dach wieder sein Dach sein
Und sein Kissen ihr Kissen.

(Joachim Ringelnatz, Versöhnung, aus: Flugzeuggedanken, 1929, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Und wieder: Normalerweise veröffentliche ich keine zwei Beiträge an einem Tag, damit sie sich untereinander keine Konkurrenz machen, speziell bei den Adventüden möchte ich das nicht. Aber weil mein Herz daran hängt, will ich euch so ganz ohne Gedicht(e) dann doch nicht in/durch die Woche entlassen.

Mir fiel es heute schwer, der schrägen Adventüde etwas zur Seite zu stellen. Ich hoffe, ihr lasst euch dennoch berühren, nachdenklich machen … und lächelt.

Hier geht es zur Adventüde von heute.

 

Vom Miteinander (2)

WIE MACHEN WIR UNS GEGENSEITIG DAS LEBEN LEICHTER?

Wir haben zu großen Respekt vor dem,
Was menschlich über uns himmelt.
Wir sind zu feig oder sind zu bequem,
Zu schauen, was unter uns wimmelt.

Wir trauen zu wenig dem Nebenuns.
Wir träumen zu wenig im Wachen.
Und könnten so leicht das Leben uns
Einander leichter machen.

Wir dürften viel egoistischer sein
Aus tierisch frommem Gemüte. –
In dem pompösesten Leichenstein
Liegt soviel dauernde Güte.

Ich habe nicht die geringste Lust,
Dies Thema weiter zu breiten.
Wir tragen alle in unsrer Brust
Lösung und Schwierigkeiten.

(Joachim Ringelnatz, Wie machen wir uns gegenseitig das Leben leichter?, aus: Flugzeuggedanken, Berlin 1929, Online-Quelle)

Es gehört nicht viel dazu

Es gehört nicht viel dazu
Einander glücklich zu machen:
Ein bißchen Liebe nur
Und ein befreiendes Lachen
Und die Klugheit, zu wissen,
Daß wir lauter Bettler sind,
Die von Pfennigen leben müssen,
Die man am Weg gewinnt.

(A. de Nora, Es gehört nicht viel dazu, aus: Hochsommer, Neue Gedichte. 1912, Online-Quelle, Quelle unbestätigt)



Quelle: Pixabay

Ich habe es letzte Woche schon geschrieben: Normalerweise veröffentliche ich keine zwei Beiträge an einem Tag, damit sie sich untereinander keine Konkurrenz machen, speziell bei den Adventüden möchte ich das nicht. Aber weil mein Herz daran hängt, will ich euch so ganz ohne Gedicht(e) dann doch nicht in/durch die Woche entlassen.

Hier geht es zur Adventüde von heute.