Von Farben (1)

[Alles hat Farbe]

Alles hat Farbe, alles hat Klang;
was ich begegne, schenkt mir Gesang.
Alles wird Weite und alles wird Raum,
Äste umgreifen mich wie einen Baum.

(Margarete Seemann, Alles hat Farbe, aus: Funken, 1940 (Angabe nicht überprüfbar, Hilfe erwünscht), Online-Quelle)

 

Gedicht

Blume Anmut blüht so rot,
Blume Huldvoll blaut daneben,
Blume Anmut ist das Leben,
Blume Huldvoll ist der Tod.
Süß und herbe ist das Leben,
herb die Lust und süß die Not.
Blume Leben blüht so rot –
Blume Tod blüht blau daneben.

(Wolfgang Borchert, Gedicht, in: Ich seh in einen Spiegel, aus: Das gesamte Werk – Ausgabe 2020, Online-Quelle)

 

Hochroth

Du innig Roth,
Bis an den Tod
Soll meine Lieb Dir gleichen,
Soll nimmer bleichen,
Bis an den Tod,
Du glühend Roth,
Soll sie Dir gleichen.

(Karoline von Günderrode, Hochroth, aus: Gedichte aus dem Nachlaß, entstanden vor 1804, Erstdruck 1899, Online-Quelle)

 

Ein Liebeslied

Komm zu mir in der Nacht – wir schlafen engverschlungen.
Müde bin ich sehr, vom Wachen einsam.
Ein fremder Vogel hat in dunkler Frühe schon gesungen,
Als noch mein Traum mit sich und mir gerungen.

Es öffnen Blumen sich vor allen Quellen
Und färben sich mit deiner Augen Immortellen …..

Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternenschuhen
Und Liebe eingehüllt spät in mein Zelt.
Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen.

Wir wollen wie zwei seltene Tiere liebesruhen
Im hohen Rohre hinter dieser Welt.

(Else Lasker-Schüler, Ein Liebeslied, aus: Mein blaues Klavier, 1943, Online-Quelle)


 


Quelle: Pixabay

Danke für all die Fragen und Anteilnahme zu dem Herrn Fellträger in der letzten Woche. Das Nicht-Fressen-Wollen wird mit einer geringen Dosierung einer Appetitanregertablette bekämpft, noch funktioniert es, man frisst und trinkt befriedigend, liegt schnurrend draußen in der Sonne, so vorhanden, und macht auf entspannte Katze. Möge der Zustand lange anhalten.

Kommt ihr alle gut, heil und heiter in und durch die Walpurgisnacht, den 1. Mai und die gesamte nächste Woche! 😉

 

 

 

Von Angsthaben und Liebe

Angst packt mich an

Angst packt mich an.
Denn ich ahne, es nahen Tage
Voll großer Klage.
Komm du, komm her zu mir! –
Wenn die Blätter im Herbst ersterben,
Und sich die Flüsse trüber färben,
Und sich die Wolken ineinander schieben
Dann komm, du, komm!
Schütze mich –
Stütze mich –
Faß meine Hand an.
Hilf mir lieben!

(Erich Mühsam, Angst packt mich an, aus: Die Wüste. 1898–1903, Online-Quelle)

Alle handeln wie die Herzen müssen

Meine Ohren horchen in die Nacht,
Wie der Regen seinen Tanzschritt macht.
Ruhe, eine der uralten Ammen,
Singt ihr Lied mit Dunkelheit zusammen,
Und der Regen tanzt auf flinken Füßen.
Alle handeln wie die Herzen müssen,
Alle wandeln frisch und unverfroren.
Nur die Liebe wird mit Angst geboren,
Nur der Sehnsucht ruhen nie die Ohren.

(Max Dauthendey, Alle handeln wie die Herzen müssen, in: Der weiße Schlaf, aus: Gesammelte Gedichte und kleinere Versdichtungen, Albert Langen, München 1930, S. 445)

Erinnerung

Und du wartest erwartest das Eine,
das dein Leben unendlich vermehrt;
das Mächtige, Ungemeine,
das Erwachen der Steine,
Tiefen, dir zugekehrt.

Es dämmern im Bücherständer
die Bände in Gold und Braun;
und du denkst an durchfahrene Länder,
an Bilder, an die Gewänder
wiederverlorener Fraun.

Und da weißt du auf einmal: das war es.
Du erhebst dich und vor dir steht
eines vergangenen Jahres
Angst und Gestalt und Gebet.

(Rainer Maria Rilke, Erinnerung, aus: Das Buch der Bilder, 1. Buch Teil 2, zweite sehr vermehrte Auflage, 1906, Online-Quelle)


 


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Ich mag die Aussage sehr, dass Liebe bei Angst hilft, weil mensch damit sein Herz vorwärts wirft, in eine positiv gedachte/erhoffte Zukunft. Ich bin überzeugt, dass das nicht nur für eine Beziehung im engeren Sinne gilt.
Ich frage mich, an wen Mühsam das Gedicht adressiert hat …

Ja, dem Fellträger geht es so weit wieder gut, aber er muss noch mal Blut lassen, so ca. in zwei bis drei Wochen, und DAS ist die Stunde der Wahrheit. Aber bis dahin schnurrt er sich so durch. Hoffentlich.

Kommt gut in und durch die neue Woche, die wieder auch bei uns recht kühl ausfallen soll, bleibt gesund und seid heiter … 😉

 

 

 

 

Von Blütenjubel und Frühling

Blütenzeit 

Durch die Nacht, die monderglühte,
flog der Schelm, der Frühling, heut
Mit der großen Zuckertüte
Und nun ist mit weißer Blüte
Baum und Strauch und Flur bestreut. 

Zucker! Zucker! Nichts als Zucker!
Alles Bittre süß gemacht!
Schnuppernd streich ich armer Schlucker,
Büchergucker, Versedrucker,
Durch die neue Blütenpracht. 

Soll ich schönre Schenken suchen?
Lieblich duftet um die Nas
Mir der frische Frühlingskuchen –
Unter Linden, unter Buchen
Leg ich mich ins grüne Gras. 

Und ich strample mit den Füßen
Und bis in des Magens Grund
Laß ich mir den goldnen süßen
Honigseim der Sonne fließen
Durch den offnen Schleckermund.

(A. de Nora, Blütenzeit, in: Jugend, Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben (Wikipedia), Nr. 13, 1908, Online-Quelle (rechts unten))

Komm her und laß dich küssen

Die Luft ist wie voll Geigen,
Von allen Blütenzweigen
Das weiße Wunder schneit;
Der Frühling tobt im Blute,
Zu allem Uebermute
Ist jetzt die allerbeste Zeit.

Komm her und laß dich küssen!
Du wirst es dulden müssen,
Daß dich mein Arm umschlingt.
Es geht durch alles Leben
Ein Pochen und ein Beben:
Das rote Blut, es singt, es singt.

(Otto Julius Bierbaum, Komm her und laß dich küssen, aus: Irrgarten der Liebe, 1901, Online-Quelle)

Blütenreife

1.

Die Blüten schlafen am Baume
In schwüler, flüsternder Nacht,
Sie trinken in duftigem Traume
Die flimmernde, feuchte Pracht.
Sie trinken den lauen Regen,
Den glitzernden Mondenschein,
Sie zittern dem Licht entgegen,
Sie saugen es taumelnd ein:
Sie sprengen die schweigende Hülle
Und gleiten berauscht durch die Luft
Und sterben an der Fülle
Von Glut und Glanz und Duft.

Das war die Nacht der Träume,
Der Liebe schwül gärende Nacht,
Da sind mit den Knospen der Bäume
Auch meine Lieder erwacht.
Sie sprengten die schweigende Hülle
Und glitten berauscht durch die Luft
Und starben an der Fülle
Von Glut und Glanz und Duft.

(Hugo von Hofmannsthal, Blütenreife, aus: Die Gedichte 1891-1898, entstanden 1891, Online-Quelle)


Quelle: Pixabay

Wenn ich rausschaue, dann stehen im übernächsten Garten zwei Kirschbäume in voller Blüte. Ich freue mich jedes Mal darüber, ich freue mich auch jetzt schon auf den Sommer, wenn dort nicht nur irgendwelche Vögel, sondern sogar MÖWEN zum Pflücken einfallen werden – es ist ausgesprochen unwahrscheinlich, dass den Eigentümern reife Kirschen übrig bleiben, aber ich denke, sie sind daran gewöhnt … Auf jeden Fall ist es eine Augenweide.

Kommt gut und heil und heiter in und durch die neue Woche, und mögen eure Gemüter sonnig sein!

 

Vom Frühling im April

Frühlings-Seufzer

Großer Gott, in dieser Pracht
Seh’ ich Deine Wunder-Macht
Mit vergnüg’ter Seelen an.
Es gereiche dir zu Ehren,
Daß ich sehen, daß ich hören,
Fühlen, schmecken, riechen, kann!

(Barthold Hinrich Brockes, Frühlings-Seufzer, aus: Irdisches Vergnügen in Gott, Zweyter Theil, 1739, Online-Quelle)

April

Das ist die Drossel, die da schlägt,
Der Frühling, der mein Herz bewegt;
Ich fühle, die sich hold bezeigen,
Die Geister aus der Erde steigen.
Das Leben fließet wie ein Traum –
Mir ist wie Blume, Blatt und Baum.

(Theodor Storm, April, aus: Gedichte (Ausgabe 1885), entstanden 1853, Online-Quelle)

April.

Wie der Südwind pfeift,
In den Dornbusch greift,
Der vor unserm Fenster sprießt.
Wie der Regen stürzt
Und den Garten würzt
Und den ersten Frühling gießt!

Plötzlich säumt der Wind,
Und der Regen rinnt
Spärlich aus dem Wolkensieb.
Und die Mühle dreht
Langsam sich und steht,
Die noch eben mächtig trieb.

Schießt ein Sonnenblick
Über Feld und Knick,
Wie der Blitz vom Goldhelm huscht
Und auf Baum und Gras
Schnell im Tropfennaß
Tausend Silbertüpfel tuscht.

Wieder dann der Süd,
Immer noch nicht müd,
Zornt die Welt gewaltig an.
Und der Regen rauscht,
Und der Garten lauscht
Demütig dem wilden Mann.

Meiner Schulter dicht
Lehnt dein hold Gesicht,
Schaut ins Wetter still hinein.
Kennst das alte Wort,
Ewig währt es fort:
Regen tauscht und Sonnenschein.

(Detlev von Liliencron, April, aus: Liliencrons Gedichte. Auswahl für die Jugend. Zusammengestellt von der Lehrervereinigung zur Pflege der künstlerischen Bildung in Hamburg, 1901, Online-Quelle)

Aus einem April

Wieder duftet der Wald.
Es heben die schwebenden Lerchen
mit sich den Himmel empor, der unseren Schultern schwer war;
zwar sah man noch durch die Aeste den Tag, wie er leer war, –
aber nach langen, regnenden Nachmittagen
kommen die goldübersonnten
neueren Stunden,
vor denen flüchtend an fernen Häuserfronten
alle die wunden
Fenster furchtsam mit Flügeln schlagen.

Dann wird es still. Sogar der Regen geht leiser
über der Steine ruhig dunkelnden Glanz.
Alle Geräusche ducken sich ganz
in die glänzenden Knospen der Reiser.

(Rainer Maria Rilke, Aus einem April, aus: Das Buch der Bilder, 1. Buch, Teil 1, 1906, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Ich glaube, im Moment muss bei mir immer bisschen Rilke sein. Das ist der „Sound“ einzelner Sätze, der bei mir hängen bleibt … „Dann wird es still. Sogar der Regen geht leiser über der Steine ruhig dunkelnden Glanz. Alle Geräusche ducken sich ganz …“

Kommt gut, gesund und heiter in und durch die neue Woche, möge sie warm sein oder kühl, sonnig oder regnerisch … 😉

 

Von Ostern, Has und Ei

Ostern

Wenn die Schokolade keimt,
Wenn nach langem Druck bei Dichterlingen
„Glockenklingen“ sich auf „Lenzesschwingen“
Endlich reimt,
Und der Osterhase hinten auch schon preßt,
Dann kommt bald das Osterfest.

Und wenn wirklich dann mit Glockenklingen
Ostern naht auf Lenzesschwingen, – – –
Dann mit jenen Dichterlingen
Und mit deren jugendlichen Bräuten
Draußen schwelgen mit berauschten Händen – – –
Ach, das denk ich mir entsetzlich,
Außerdem – unter Umständen –
Ungesetzlich.

Aber morgens auf dem Frühstückstische
Fünf, sechs, sieben flaumweich gelbe, frische
Eier. Und dann ganz hineingekniet!
Ha! Da spürt man, wie die Frühlingswärme
Durch geheime Gänge und Gedärme
In die Zukunft zieht,
Und wie dankbar wir für solchen Segen
Sein müssen.

Ach, ich könnte alle Hennen küssen,
Die so langgezogene Kugeln legen.

(Joachim Ringelnatz, Ostern, aus: Allerdings, 1928, Online-Quelle)

Auf ein Ei geschrieben

Ostern ist zwar schon vorbei,
Also dies kein Osterei;
Doch wer sagt, es sei kein Segen,
Wenn im Mai die Hasen legen?
Aus der Pfanne, aus dem Schmalz
Schmeckt ein Eilein jedenfalls,
Und kurzum, mich tät’s gaudieren,
Dir dies Ei zu präsentieren,
Und zugleich tät es mich kitzeln,
Dir ein Rätsel drauf zu kritzeln.

Die Sophisten und die Pfaffen
Stritten sich mit viel Geschrei:
Was hat Gott zuerst erschaffen,
Wohl die Henne? wohl das Ei?

Wäre das so schwer zu lösen?
Erstlich ward ein Ei erdacht:
Doch weil noch kein Huhn gewesen,
Schatz, so hat’s der Has gebracht.

(Eduard Mörike, Auf ein Ei geschrieben, aus: Gedichte (Ausgabe 1867), Online-Quelle)

O Welt in einem Ei

O Welt im Ei, von Haut
Und Schale rings umgeben!
Wenn dich die Sonne schaut,
Beginnt dein freieres Leben.

Dann lebst du, wie dein Ahne will,
Als Strauß, als Fisch, als Krokodil,
Als Huhn ein Mehrerwachen,
Ein größeres Glück und größere Qual
In einem weiteren Oval.
Bis neue Schalen krachen.

O Welt in einem Ei,
Wie Wichtiges entscheidet sich,
Geht deine Wand entzwei.
Vielleicht verschlingt man, kocht man dich,
Ißt dich mit Senf, mit Kaviar
(Störs ungezählten Eiern!).

Und wenn sie Ostern feiern,
Die dich verschlucken roh und gar,
Dann lachen sie und spaßen
a conto Osterhasen.
Doch wer von ihnen denkt dabei
An dich, du Mikrowelt in einem Ei?!

(Joachim Ringelnatz, O Welt in einem Ei, aus: Gedichte, Gedichte von Einstmals und Heute, 1934, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Ihr Lieben, ich wünsche euch schöne Ostertage (gehabt zu haben), kommt gut, gesund  und heiter in die neue Woche! Ich hoffe, die Zeitumstellung beutelt euch nicht so sehr. Ich jedenfalls fluche wie jedes Jahr.

Mit Gedichten zu Ostern ist das so eine Sache. Die ernsten, die ich zitieren düfte, mag ich meist nicht, weil ich sie unerträglich fromm finde und das nicht aushalte, die anderen sind oft für Kinder gemacht und sehr leicht/seicht von der Sprache her, auch das ist normalerweise nicht mein Fall. Übrig bleibt da nicht viel.
Wie dem auch immer sei: Lasst es euch gut ergehen!

 

Vom Frühlingsregen

Frühlingsregen

Regne, regne, Frühlingsregen,
weine durch die stille Nacht!
Schlummer liegt auf allen Wegen,
nur dein treuer Dichter wacht …

lauscht dem leisen, warmen Rinnen
aus dem dunklen Himmelsdom,
und es löst in ihm tiefinnen
selber sich ein heißer Strom,

läßt sich halten nicht und hegen,
quillt heraus in sanfter Macht …
Ahndevoll auf stillen Wegen
geht der Frühling durch die Nacht.

(Christian Morgenstern, Frühlingsregen, aus: Ich und die Welt, 1898, Online-Quelle)

[Es kommt der Regen des Frühlings]

Es kommt der Regen des Frühlings
Und bringt den Segen des Frühlings,
Die Blumen stehen und warten
An allen Stegen des Frühlings.
Und Düfte streuen die Lüfte
Auf allen Wegen des Frühlings.
Doch mein Gemüth ist beklommen
In Kummer wegen des Frühlings,
Wie ich soll feiern die Feier,
Ich bin verlegen, des Frühlings?
Mir ist im Froste des Winters
Die Lust erlegen des Frühlings.
Bis euch, ihr Blumen, die blühtet
In Lustgehegen des Frühlings,
Mir neu anreget zu blühen
Ein Hauch allregendes Frühlings;
Hab’ ich, ein trauriger Gärtner,
Das Grab zu pflegen des Frühlings.

(Friedrich Rückert, Es kommt der Regen des Frühlings, aus: Winter und Frühling, in: Kindertodtenlieder aus seinem Nachlasse, entstanden 1833-1834, Online-Quelle)

[In tiefen Nächten grab ich dich, du Schatz]

In tiefen Nächten grab ich dich, du Schatz.
Denn alle Überflüsse, die ich sah,
sind Armut und armseliger Ersatz
für deine Schönheit, die noch nie geschah.

Aber der Weg zu dir ist furchtbar weit
und, weil ihn lange keiner ging, verweht.
O, du bist einsam. Du bist Einsamkeit,
du Herz, das zu entfernten Talen geht.

Und meine Hände, welche blutig sind
vom Graben, heb ich offen in den Wind,
so daß sie sich verzweigen wie ein Baum.
Ich sauge dich mit ihnen aus dem Raum,
als hättest du dich einmal dort zerschellt
in einer ungeduldigen Gebärde
und fielest jetzt, eine zerstäubte Welt,
aus fernen Sternen wieder auf die Erde
sanft, wie ein Frühlingsregen fällt.

(Rainer Maria Rilke, In tiefen Nächten grab ich dich, du Schatz, aus: Das Buch von der Pilgerschaft, in: Das Stunden-Buch, 1901, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Okay, ich gebe es zu: Der Rilke passt eigentlich auch für mein Gefühl nicht rein. Aber ich habe die beiden Zeilen „Aber der Weg zu dir ist furchtbar weit | und, weil ihn lange keiner ging, verweht“ SO lange für „zugeschrieben“ gehalten (keine Ahnung warum, vielleicht war das Stundenbuch noch nicht digitalisiert, als ich danach gesucht habe, und/oder ich hatte zu oberflächlich gelesen – vielleicht habe ich es auch gewusst und einfach wieder vergessen), dass ich es jetzt sozusagen öffentlich abspeichern wollte. Seht es mir bitte nach.

Ansonsten wünsche ich euch einen guten, heiteren und gesunden Start in die vorösterliche Woche! Kommt gut rein, durch und wieder raus! 😉

 

Vom Frühling, klassisch

Der Frühling

Der Mensch vergißt die Sorgen aus dem Geiste,
Der Frühling aber blüht, und prächtig ist das meiste,
Das grüne Feld ist herrlich ausgebreitet,
Da glänzend schön der Bach hinuntergleitet.

Die Berge stehn bedecket mit den Bäumen,
Und herrlich ist die Luft in offnen Räumen,
Das weite Tal ist in der Welt gedehnet
Und Turm und Haus an Hügeln angelehnet.

Mit Untertänigkeit
Scardanelli.

(Friedrich Hölderlin, Der Frühling, aus: Gedichte 1806–1843, Online-Quelle)

Er ist’s.

Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist’s!
Dich hab’ ich vernommen!

(Eduard Mörike, Er ist’s, aus: Maler Nolten. Novelle in zwei Teilen. 2. Teil, S. 330, 1829 entstanden, Online-Quelle)

5. Lob des Frühlings.

Saatengrün, Veilchenduft,
Lerchenwirbel, Amselschlag,
Sonnenregen, linde Luft!

Wenn ich solche Worte singe,
Braucht es dann noch großer Dinge,
Dich zu preisen, Frühlingstag?

(Ludwig Uhland, Lob des Frühlings, aus: Gedichte, 1815, Online-Quelle)

VI.

Leise zieht durch mein Gemüth
Liebliches Geläute.
Klinge, kleines Frühlingslied,
Kling’ hinaus in’s Weite.

Kling’ hinaus, bis an das Haus,
Wo die Blumen sprießen.
Wenn du eine Rose schaust,
Sag’ ich lass’ sie grüßen.

(Heinrich Heine, Leise zieht durch mein Gemüt, aus: Neue Gedichte, 1844, Online-Quelle)



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Es ist nicht zu ändern: Diese Woche überrollt uns der Frühling, zumindest kalendarisch – ich weiß nicht, wie es bei euch aussieht, aber hier ist es nachts oft noch recht kalt, auch wenn meine Wetter-App meint, es sei für März insgesamt zu warm. Also hoffe ich, ihr könnt in Frühlingslaune sein und euch an meinen Gedichten erfreuen, die dieses Mal allesamt etwa 100 Jahre älter sind als sonst. Klassiker halt.

Kommt heiter und heil in und durch die neue Woche!

 

Vom Hafen

Im Hafen

Vor meinem Fenster fliesst ein Bach,
Der hält die ganze Nacht mich wach,
Singt immerfort sein Sehnen
In ungestillten Thränen.

Und seinen Tropfen träum ich nach …
Da rinnen mit dem rauschenden Bach
Gedanken in die Fernen,
Bis zu den stillsten Sternen.

Sie rinnen in die tiefe Flut
Der Ewigkeit. Da ruht sichs gut.
Da ruht sichs in dem Hafen,
Wo alle Stürme schlafen

(Karl Ernst Knodt, Im Hafen, aus: Neue Gedichte, 1. Teil, 1902, Online-Quelle)

Auf hoher Insel

Auf hoher Insel
steh ich alleine.
Düne und Steine
sind nicht zu befragen.
Ewig zerrinnen
Wellen und Sand.

Aber die Göttin
liebender Nächte
tröstet den Frager
und in der Seele
öffnet sie innen
Hafen und Land.

(Rudolf G. Binding, Auf hoher Insel, aus: Nordische Kalypso, 1937(?), Online-Quelle)

Wo aber fliegen die Abendvögel hin?

Die Tauben schlummern im Hause:
Wo aber fliegen die Abendvögel hin?
Der Wasserfall dämpft sein Gebrause:
Wo aber rinnen die Bäche hin?
Friedlich wurzelt der Rauch auf den Dächern:
Wo aber strömt das Nachtgewölk hin?
Lichter stehen in tausend Gemächern:
Wo aber sinken die Sterne hin?
Immer indem wir liegen und schlafen
Lösen sich Schiffe dunkel vom Hafen.

(Albin Zollinger, Wo aber fliegen die Abendvögel hin?, aus: Gedichte, 1933. Beleg, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Jaaa, ich gebe zu, dass ich eine Vorliebe für die „Abendvögel“ habe, sollten sie jemandem von euch irgendwie bekannt vorkommen.
Jaaa, ich habe letztes Wochenende ein paar Stunden am Hafen verbracht, genauer gesagt, an den Hamburger Landungsbrücken, und es war wieder mal wunderschön. Das oben ist Alaska.

Und oh: Ich habe noch ein Mascha-Kaléko-Gedicht für euch, das ich mal wieder nicht zitieren darf, aber hoffentlich die Leute hinter goodreads: Die Andern sind das weite Meer. Du aber bist der Hafen.

Kommt gut (gelaunt), gesund und heiter in und durch die neue Woche!

Von der Feierei

Der Humor

Es zog durch die Straßen der lust’ge Humor.
Ihm folgte laut lachend ein Menschenchor.
Sie freuten der Späße sich, die er trieb,
Und wie er auf die Narren hieb.

Nun trat in sein Haus er, in sein Gemach,
Und ein paar Menschen schlichen ihm nach.
Ist er draußen so fröhlich – fiel ihnen ein –,
Wie lustig muß er erst zu Hause sein!

Doch es machte starr sie, was sie geschaut:
Der Humor saß im Winkel und weinte laut.

(Albert Roderich, Der Humor, aus: In Gedanken. Vers-Aphorismen, 1907, Online-Quelle)

Nach dem Ball

Die Nacht kriecht in die Keller, muffig matt.
Glanzkleider torkeln durch der Straßen Schutt.
Gesichter sind verschimmelt und kaputt.
Kühl brennt der blaue Morgen auf der Stadt.

Wie bald Musik und Tanz und Gier zerrann …
Es riecht nach Sonne. Und der Tag beginnt
Mit Schienenwagen, Pferden, Schrei und Wind.
Ein Mann streicht einen Herrenrumpf grau an.

Alltag und Arbeit staubt die Menschen ein.
Familien fressen stumm ihr Mittagsmahl.
Durch einen Schädel schwingt noch oft ein Saal,
Viel dumpfe Sehnsucht und ein Seidenbein.

(Alfred Lichtenstein, Nach dem Ball, aus: Die Dämmerung, 1913, Online-Quelle)

IX.

Dieser Liebe toller Fasching,
Dieser Taumel unsrer Herzen,
Geht zu Ende, und ernüchtert
Gähnen wir einander an!

Ausgetrunken ist der Kelch,
Der mit Sinnenrausch gefüllt war,
Schäumend, lodernd, bis am Rande;
Ausgetrunken ist der Kelch.

Es verstummen auch die Geigen,
Die zum Tanze mächtig spielten,
Zu dem Tanz der Leidenschaft;
Auch die Geigen, sie verstummen.

Es erlöschen auch die Lampen,
Die das wilde Licht ergossen
Auf den bunten Mummenschanz;
Auch die Lampen, sie erlöschen.

Morgen kommt der Aschenmittwoch,
Und ich zeichne deine Stirne
Mit dem Aschenkreuz und spreche:
Weib bedenke, daß du Staub bist.

(Heinrich Heine, Dieser Liebe toller Fasching, aus: Neue Gedichte, 1844, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Ich weiß nicht, ob ihr Karneval feiert und wann. Wir hier im Norden Deutschlands bleiben von allen lauten Formen verschont, und ich bin, ehrlich gesagt, seit vielen Jahren froh, davon nichts mitzukriegen. Ja, das war auch mal anders, aber irgendwann ist die Lust erloschen.

Hier blühen die ersten Winterlinge, die Vögel singen sich zum Teil schon schier die Seele aus dem Leib und die Schneeglöckchen sind auch schon da.

Kommt gut und heiter und gesund (gerade beim Karneval) in und durch die neue Woche!

 

Vom Schnee

Schneeflöckchen vom Himmel

Schneeflöckchen, vom Himmel
Da kommst du geschneit,
Du warst in der Wolke,
Dein Weg ist gar weit;
Ach setz’ dich an’s Fenster,
Du niedlicher Stern,
Giebst Blätter und Blumen,
Wir sehen dich gern!

Schneeflöckchen, ach decke
Die Saaten geschwind,
Sie frieren, du wärmst sie,
So bittet das Kind.
Schneeflöckchen, Weißröckchen
So kommet doch all’,
Dann wird bald ein Schneemann,
Dann werf’ ich den Ball.

(Hedwig Haberkern, Schneeflöckchen vom Himmel, aus: Tante Hedwigs Geschichten für kleine Kinder, 1869, Online-Quelle und Infos)

Im Schneegestöber

Schneewehen! Verdrossenen Blickes seht ihr nur Flocken;
aber meine Augen werden groß und frohlocken:
Rudel milchweißer Pferde —
Mit wehendem Schweif und wallender Mähne,
die elfenbeinernen Zähne
bleckend zum Freudengeschrei,
jagen sie, rasen sie über die Erde.
Stiebend! Vorbei!

(Fridolin Hofer (Wikipedia), Im Schneegestöber, aus: Daheim. Neue Gedichte, 1918/1924, Online-Quelle)

Winter

Es treiben grosse Flocken dicht und schräg –
Der Wald hält still, die Zweige hängen träg.

Der Wind, der um die Wipfel wehte, schweigt.
Die Kronen haben langsam sich geneigt.

Um eine hohe Tanne rieselt kalt
Der Schnee: Mein Haupt wie Eis! Bin ich schon alt?

Durch hundert Jahre ist es nicht so weit –
Ich steh schon immer in der Ewigkeit.

(Hedwig Lachmann, Winter, aus: Gesammelte Gedichte, 1919, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Es schneit und friert, ich vermute, bei euch ist es nicht anders. Nun sind auch wir im Norden froh darüber, wenn der Frost erst einmal das Hochwasser eindämmt und die Böden ein bisschen austrocknet, trotzdem hoffe ich persönlich, dass es nicht zu lange anhält, auch wenn dabei die Sonne scheint …

Kommt gesund und munter in und durch die neue Woche! Ja, das ist „Schneeflöckchen, Weißröckchen“ ganz oben – die Urfassung 😀

 

Vom ersten Schnee

Schnee

Schnee, zärtliches Grüßen
der Engel,
schwebe, sinke –
breit alles in Schweigen
und Vergessenheit!
Gibt es noch Böses,
wo Schnee liegt?
Verhüllt, verfernt er nicht
alles zu Nahe und Harte
mit seiner beschwichtigenden
Weichheit, und dämpft selbst
die Schritte des Lautesten
in Leise?
Schnee, zärtliches Grüßen
der Engel,
den Menschen, den Tieren! –
Weißeste Feier
der Abgeschiedenheit.

(Francisca Stoecklin, Schnee, aus: Die singende Muschel, 1925, Online-Quelle)

Erster Schnee

Aus silbergrauen Gründen tritt
ein schlankes Reh
im winterlichen Wald
und prüft vorsichtig, Schritt für Schritt,
den reinen, kühlen, frischgefallnen Schnee.

Und Deiner denk’ ich, zierlichste Gestalt.

(Christian Morgenstern, Erster Schnee, aus: Und aber ründet sich ein Kranz, 1902, Online-Quelle)

Als der erste Schnee fiel

Gleich einem König, der in seine Staaten
Zurück als Sieger kehrt, empfängt ein Jubel dich!
Der Knabe balgt um deine Pflocken sich,
Wie bey der Krönung um Dukaten.

Selbst mir, obschon ein Mädchen, und der Ruthe
Lang’ nicht mehr unterthan, bist du ein lieber Gast;
Denn siehst du nicht, seit du die Erde hast
So weich belegt, wie ich mich spute?

Zu fahren, ohne Segel, ohne Räder,
Auf einer Muschel, hin durch deinen weißen Flor,
So sanft, und doch so leicht, so schnell, wie vor
Dem Westwind’ eine Pflaumenfeder.

Aus allen Fenstern, und allen Thüren,
Sieht mir der bleiche Neid aus hohlen Augen nach,
Selbst die Matrone wird ein leises Ach!
Und einen Wunsch um mich verlieren.

Denn der, um den wir Mädchen oft uns stritten,
Wird hinter mir, so schlank wie eine Tanne, stehn,
Und sonst auf nichts mit seinen Augen sehn,
Als auf das Mädchen in dem Schlitten.

(Leopold Friedrich Günther von Goeckingk, Als der erste Schnee fiel, aus: Lieder zweier Liebenden, 1777, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Nein, NATÜRLICH hat es im Norden noch nicht richtig geschneit – okay, von „geschlossener Schneedecke“ kann eh nicht die Rede sein, das ist in Hamburg wirklich eher selten – aber es friert nachts, speziell, wenn es aufklart, die Dächer sind morgens bereift, und ich hatte am vergangenen Wochenende das Vergnügen mit Graupelschauern und ganz, ganz leichtem Pulverschneegeriesel. Und wie jedes Jahr zu Anfang der Saison ergreift mich so ein gewisses andächtiges Gefühl, das Radio dudelt die ersten Weihnachtssongs und ich lächele und freue mich auf die nächsten Schneeflocken – solange ich nicht rausmuss.

Einen gewissen Fellträger hält das übrigens von nichts ab, der geht nach wie vor bei Wind und Wetter vor die Tür, wenn ihm danach ist, nur halt kürzer. Ich bin sehr zufrieden mit der Entwicklung der letzten Woche – toi, toi, toi!

Euch eine gute, heile, heitere und gesunde Woche!

 

Von Astern und Verfall

Herbst

Astern blühen schon im Garten,
Schwächer trifft der Sonnenpfeil
Blumen, die den Tod erwarten
Durch des Frostes Henkerbeil.

Brauner dunkelt längst die Heide,
Blätter zittern durch die Luft.
Und es liegen Wald und Weide
Unbewegt im blauen Duft.

Pfirsich an der Gartenmauer,
Kranich auf der Winterflucht.
Herbstes Freuden, Herbstes Trauer,
Welke Rosen, reife Frucht.

(Detlev von Liliencron, Herbst, aus: Adjutantenritte und andere Gedichte, Leipzig, 1883, Online-Quelle)

Verfall

Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,
Folg ich der Vögel wundervollen Flügen,
Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen,
Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten.

Hinwandelnd durch den dämmervollen Garten
Träum ich nach ihren helleren Geschicken
Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken.
So folg ich über Wolken ihren Fahrten.

Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.
Die Amsel klagt in den entlaubten Zweigen.
Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern,
Indes wie blasser Kinder Todesreigen
Um dunkle Brunnenränder, die verwittern,
Im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen.

(Georg Trakl, Verfall, aus: Gedichte (1913), Online-Quelle)

[Fürchte dich nicht]

Fürchte dich nicht, sind die Astern auch alt,
streut der Sturm auch den welkenden Wald
in den Gleichmut des Sees, –
die Schönheit wächst aus der engen Gestalt;
sie wurde reif, und mit milder Gewalt
zerbricht sie das alte Gefäß.

Sie kommt aus den Bäumen
in mich und in dich,
nicht um zu ruhn;
der Sommer ward ihr zu feierlich.
Aus vollen Früchten flüchtet sie sich
und steigt aus betäubenden Träumen
arm ins tägliche Tun.

(Rainer Maria Rilke, Fürchte dich nicht, aus: Die frühen Gedichte, 2. Auflage 1909, stark überarbeitete Ausgabe von »Mir zur Feier« von Dez. 1899, Entstehungsdatum verm. 1900, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Wir haben eh verspätete Jahreszeiten, also jetzt auch verspätete Astern 😉 …
Kommt heil, gesund und hoffnungsfroh in und durch die neue Woche!

Weihnachten wirft seine Schatten voraus! Die Termine für eure Adventüden sind raus, schaut bitte mal in eure Mailpostfächer, so ihr noch nicht habt!

Ach, hat jemand von euch Ahnung von Nierenproblemen (CNI) bei Katzen (ja, diagnostiziert, wir sind in der Futterumstellung) und von Arthrose (vermutet, weitere Untersuchungen stehen noch aus, Tabletten) – und wie man offensichtlich auftretende Schmerzen richtig zuordnet? Man kann ihn ja nicht fragen …

Er ist ziemlich sicher 13 und ein Maine-Coon-Mix (Fundkatze), ich hatte gehofft, wir hätten damit noch laaaange Zeit, und ich möchte mich so schlau wie möglich machen, denn ich weiß kaum was.

 

Vom Norden

Gegen Norden

Die braunen Segel blähen an den Trossen,
Die Kähne furchen silbergrau das Meer.
Der Borde schwarze Netze hangen schwer
Von Schuppenleibern und von roten Flossen.

Sie kehren heim zum Kai, wo raucht die Stadt
In trübem Dunst und naher Finsternis.
Der Häuser Lichter schwimmen ungewiß
Wie rote Flecken, breit, im dunklen Watt.

Fern ruht des Meeres Platte wie ein Stein
Im blauen Ost. Von Tages Stirne sinkt
Der Kranz des roten Laubes, da er trinkt,
Zur Flut gekniet, von ihrem weißen Schein.

Es zittert Goldgewölke in den Weiten
Vom Glanz der Bernsteinwaldung, die enttaucht,
Verlorner Tiefe, wenn die Dämmerung raucht,
In die sich gelb die langen Äste breiten.

Versunkne Schiffer hängen in den Zweigen.
Ihr langes Haar schwimmt auf der See wie Tang.
Die Sterne, die dem Grün der Nacht entsteigen,
Beginnen frierend ihren Wandergang.

(Georg Heym, Gegen Norden, aus: Der ewige Tag, 1911, Online-Quelle)

Nach Norden

Palmström ist nervös geworden;
darum schläft er jetzt nach Norden.

Denn nach Osten, Westen, Süden
schlafen, heißt das Herz ermüden.

(Wenn man nämlich in Europen
lebt, nicht südlich in den Tropen.)

Solches steht bei zwei Gelehrten,
die auch Dickens schon bekehrten —

und erklärt sich aus dem steten
Magnetismus des Planeten.

Palmström also heilt sich örtlich,
nimmt sein Bett und stellt es nördlich.

Und im Traum, in einigen Fällen,
hört er den Polarfuchs bellen.

(Christian Morgenstern, Nach Norden, aus: Palmström, 1922, Online-Quelle)

XLIV.

Himmel grau und wochentäglich!
Auch die Stadt ist noch dieselbe!
Und noch immer blöd und kläglich
Spiegelt sie sich in der Elbe.

Lange Nasen, noch langweilig
Werden sie wie sonst geschneutzet,
Und das duckt sich noch scheinheilig,
Oder bläht sich, stolz gespreitzet.

Schöner Süden! wie verehr’ ich
Deinen Himmel, deine Götter,
Seit ich diesen Menschenkehricht
Wiederseh, und dieses Wetter!

(Heinrich Heine, Himmel grau und wochentäglich!, aus: Neue Gedichte, 1844, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Zugabe für alle, die den Norden lieben: Nachts zeigt der NDR im Fernsehen so Schnipsel, meist Flüge über den Norden, ab und an auch mal Bahnfahrten. Und da habe ich neulich Mona Harry (wieder-)entdeckt mit ihrer „Liebeserklärung an den Norden“ mit dem sie vor ein paar Jahren bei einem Poetry-Slam abgeräumt hat – und ich finde es immer noch einfach nur großartig.

Hier gibt es Mona Harry auf der NDR-Seite, hier gibt es die Übersicht über alle „Mein Norden“-Clips. Viel Freude beim Ansehen!

Und wer fürs Handy einen YouTube-Link zu Mona Harry braucht, möge hier klicken. Hat dann halt nicht die schönen bunten Bilder …

Kommt heil und gesund und fröhlich in und durch die neue Woche, ihr kennt das …

Update: Wer übrigens wissen möchte, wie ein Polarfuchs bellt, sollte hier klicken (Deutsche Digitale Bibliothek). 😉

 

Von Wahrheit

 

Ja was man so erkennen heißt!
Wer darf das Kind beym rechten Namen nennen?
Die wenigen, die was davon erkannt,
Die thöricht g’nug ihr volles Herz nicht wahrten,
Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreutzigt und verbrannt.

(Johann Wolfgang von Goethe, aus: Faust – Der Tragödie erster Teil, Faust an Wagner, Tübingen 1808, Online-Quelle)

Gefährliche Nachfolge.

Freunde, bedenket euch wohl, die tiefere kühnere Wahrheit
Laut zu sagen, sogleich stellt man sie euch auf den Kopf.

(Friedrich Schiller (Hrsg.)/ J. W. v. Goethe, Gefährliche Nachfolge, in: Xenien (Artikel), aus: Musen-Almanach für das Jahr 1797, Online-Quelle)

[Im Meinungskampf zu allen Zeiten]

Im Meinungskampf zu allen Zeiten
Die gleichen Waffen Sieg erstreiten:
Es sind die schärfsten Zungen
Und allerstärksten Lungen.
Da hat die Wahrheit liebe Not –
Sie wird zumeist geschlagen tot.

(Otto Leixner von Grünberg, Im Meinungskampf zu allen Zeiten, aus: Aus meinem Zettelkasten. Sprüche aus dem Leben für das Leben, 1896, Online-Quelle)

Blutige Wahrheit

»Gebt mir eine Riesenbombe,
Und ich will die Welt befrein!«
– Narr! Auf deiner Hekatombe
Wird ein neuer Riesenhaufe
Morgen nach der roten Taufe:
»Cäsar Heil! Heil Mammon!« schrein
Und der »Freiheit« deiner Bombe
In den schäumenden Blutkelch spein.

(Karl Henckell, Blutige Wahrheit, in: Buch der Sprüche, aus: Buch des Kampfes, 1921, Online-Quelle)


Bocca della Verità, Rom

Bocca della Verità, Rom

Quelle: Pixabay

Wer (wie ich) erst mal ein bisschen zum „Mund der Wahrheit“ auf dem Schlauch stand, der*die kann hier bei Wikipedia ein paar höchst interessante Fakten dazu nachlesen.
Ansonsten gilt wie immer: Kommt gut und heiter (ja, ich weiß, ist gerade kein so dankbares Thema) in und durch die neue Woche. Und, Norddeutsche: Schönen Feiertag morgen! 😀 Allerheiligen haben wir ja nicht, dafür aber den Reformationstag! ❤

 

Auszeit: Den Krieg Krieg sein lassen

Ich habe in den letzten Wochen zunehmend auf vielen Blogs die Aussage gelesen, dass die Zeiten, die Tage so dunkel seien. Ja, die Nachrichten sind bedrückend, und der Irrsinn scheint zuzunehmen, wohin man schaut, innenpolitisch und außenpolitisch.

Als ich mir gestern also überlegte, welches Gedicht, welches Thema ich momentan passend finden würde, fiel mir nichts ein. Herbstgedichte über sanftes Vergehen? Schon wieder das Vertrauen in höhere Mächte? Heute mal nicht.
Ich bin leider daran gebunden, keine Werke lebender Dichter*innen zitieren zu dürfen, und dies ist einer der Fälle, wo ich das sehr bedaure:
»Das Gedicht ist nicht der Ort, wo das Sterben begütigt
Wo der Hunger gestillt, wo die Hoffnung verklärt wird«,
aber ich kenne zu wenige Gedichte von Verfasser*innen, die +70 Jahre tot sind (Urheberrecht) und einigermaßen kurz und eingängig sind. Die Zeile mit dem Sterben stammt übrigens aus »Rede vom Gedicht« von Christoph Meckel, das sehr wortgewaltige Gedicht (hallo, Werner) plus Besprechung gibt es hier.


Was ich euch anbieten möchte, um ein bisschen fröhlicher in den Tag und in die neue Woche zu schlittern, ist Musik. Immer wieder bin ich von der Lebensfreude von »Playing for Change« (Website (englisch)) begeistert. PFC ist »ein Multimedia-Musikprojekt, das von dem Produzenten und Tontechniker Mark Johnson zusammen mit seiner Timeless Media Group ins Leben gerufen wurde. Ziel ist es, Musiker aus der ganzen Welt zusammenzubringen. … Inzwischen sind weltweit über 1000 Musiker in das Projekt involviert« (Quelle: Wikipedia).

Die wenigsten von uns sind vermutlich (zum Glück) direkt vom Krieg betroffen. Wir anderen alle können uns aber daran erinnern, dass Frieden (auch und speziell im Kleinen) bei uns anfängt.


Freut euch also an »Down by the Riverside« (Wikipedia), diesem alten Gospelklassiker und Friedenslied, den es in so vielen überaus unterschiedlichen Versionen gibt, hier mit dem wunderbaren Grandpa Elliott:

I gonna lay down my burden | Down by the riverside | Study war no more
(Ich lege meine Last ab | unten am Flussufer | werde nicht mehr in den Krieg ziehen)



Wie immer gilt: Kommt gut in und durch die neue Woche!

Zugabe gefällig, um den Ohrwurm wieder loszuwerden? Bitte schön: »Peace Train« in der Version von Playing for Change, von und mit Yusuf/Cat Stevens 😉