Von der Feierei

Der Humor

Es zog durch die Straßen der lust’ge Humor.
Ihm folgte laut lachend ein Menschenchor.
Sie freuten der Späße sich, die er trieb,
Und wie er auf die Narren hieb.

Nun trat in sein Haus er, in sein Gemach,
Und ein paar Menschen schlichen ihm nach.
Ist er draußen so fröhlich – fiel ihnen ein –,
Wie lustig muß er erst zu Hause sein!

Doch es machte starr sie, was sie geschaut:
Der Humor saß im Winkel und weinte laut.

(Albert Roderich, Der Humor, aus: In Gedanken. Vers-Aphorismen, 1907, Online-Quelle)

Nach dem Ball

Die Nacht kriecht in die Keller, muffig matt.
Glanzkleider torkeln durch der Straßen Schutt.
Gesichter sind verschimmelt und kaputt.
Kühl brennt der blaue Morgen auf der Stadt.

Wie bald Musik und Tanz und Gier zerrann …
Es riecht nach Sonne. Und der Tag beginnt
Mit Schienenwagen, Pferden, Schrei und Wind.
Ein Mann streicht einen Herrenrumpf grau an.

Alltag und Arbeit staubt die Menschen ein.
Familien fressen stumm ihr Mittagsmahl.
Durch einen Schädel schwingt noch oft ein Saal,
Viel dumpfe Sehnsucht und ein Seidenbein.

(Alfred Lichtenstein, Nach dem Ball, aus: Die Dämmerung, 1913, Online-Quelle)

IX.

Dieser Liebe toller Fasching,
Dieser Taumel unsrer Herzen,
Geht zu Ende, und ernüchtert
Gähnen wir einander an!

Ausgetrunken ist der Kelch,
Der mit Sinnenrausch gefüllt war,
Schäumend, lodernd, bis am Rande;
Ausgetrunken ist der Kelch.

Es verstummen auch die Geigen,
Die zum Tanze mächtig spielten,
Zu dem Tanz der Leidenschaft;
Auch die Geigen, sie verstummen.

Es erlöschen auch die Lampen,
Die das wilde Licht ergossen
Auf den bunten Mummenschanz;
Auch die Lampen, sie erlöschen.

Morgen kommt der Aschenmittwoch,
Und ich zeichne deine Stirne
Mit dem Aschenkreuz und spreche:
Weib bedenke, daß du Staub bist.

(Heinrich Heine, Dieser Liebe toller Fasching, aus: Neue Gedichte, 1844, Online-Quelle)



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Ich weiß nicht, ob ihr Karneval feiert und wann. Wir hier im Norden Deutschlands bleiben von allen lauten Formen verschont, und ich bin, ehrlich gesagt, seit vielen Jahren froh, davon nichts mitzukriegen. Ja, das war auch mal anders, aber irgendwann ist die Lust erloschen.

Hier blühen die ersten Winterlinge, die Vögel singen sich zum Teil schon schier die Seele aus dem Leib und die Schneeglöckchen sind auch schon da.

Kommt gut und heiter und gesund (gerade beim Karneval) in und durch die neue Woche!

 

Von Angsthaben und Hoffnung

Angst

Wald und Flur liegt tot in Schutt und Scherben.
Himmel klebt an Städten wie ein Gas.
Alle Menschen müssen sterben.
Glück und Glas, wie bald bricht das.

Stunden rinnen matt wie trübe Flüsse
Durch der Stuben parfümierten Sumpf.
Spürst du die Pistolenschüsse –
Ist der Kopf noch auf dem Rumpf.

(Alfred Lichtenstein, Angst, Erstdruck in: Die Aktion (Berlin), Nr. 27, 1913, Online-Quelle)

Angst packt mich an

Angst packt mich an.
Denn ich ahne, es nahen Tage
Voll großer Klage.
Komm du, komm her zu mir! –
Wenn die Blätter im Herbst ersterben,
Und sich die Flüsse trüber färben,
Und sich die Wolken ineinander schieben
Dann komm, du, komm!
Schütze mich –
Stütze mich –
Faß meine Hand an.
Hilf mir lieben!

(Erich Mühsam, Angst packt mich an, aus: Die Wüste. 1898–1903, Online-Quelle)

Der Wächter der Lampe

Wachsein ist alles. Es kommt die Nacht
und keiner wird keinen erkennen.
Haltet Wacht
und laßt die Lampen brennen.
Alles Werden ist wankend und ungewiß,
aber alles Ziel ist Reife.
Und das Licht leuchtet in der Finsternis,
auf daß sie es einst begreife.

(Manfred Kyber, Der Wächter der Lampe, aus: Genius Astri, 1918, Online-Quelle)

Lied vor Tag

Was bewegt dich, stiller Himmel?
Was beschwingt die schweren Wolken?
Herz, wie kommt die helle Höhe
übers tiefgraue Meer?

Durch die Wolken schwebt ein Vogel,
schwebt vorbei mit hellen Flügeln,
trägt die goldne Morgenröte
übers tiefgraue Meer.

Komm zurück, du goldner Vogel!
Nimm mich hoch in deine Höhe!
Trag mein Herz, du helle Hoffnung,
übers tiefgraue Meer!

(Richard Dehmel, Lied vor Tag, aus: Weib und Welt, Ein Buch Gedichte, Vierte Ausgabe, 1913, Online-Quelle)


Quelle: Bild von dokumol auf Pixabay


Wie jede Woche: Passt auf euch auf und kommt gut und heil in und durch die neue Woche!


Vom Menschen

Der Mensch.

Empfangen und genähret
Vom Weibe wunderbar,
Kömmt er und sieht und höret,
Und nimmt des Trugs nicht wahr;
Gelüstet und begehret,
Und bringt sein Thränlein dar;
Verachtet und verehret,
Hat Freude und Gefahr;
Glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
Hält Nichts und Alles wahr;
Erbauet und zerstöret,
Und quält sich immerdar;
Schläft, wachet, wächst und zehret,
Trägt braun und graues Haar etc.
Und alles dieses währet,
Wenn’s hoch kommt, achtzig Jahr.
Denn legt er sich zu seinen Vätern nieder,
Und er kömmt nimmer wieder.

(Matthias Claudius, Der Mensch, aus: ASMUS omnia sua SECUM portans, oder Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen, Vierter Theil, 1782, Online-Quelle)

Was ist der Mensch? Ein Magen, zwei Arme

Was ist der Mensch? Ein Magen, zwei Arme,
Ein kleines Hirn und ein großer Mund,
Und eine Seele – daß Gott erbarme! –.

Was muß der Mensch? Muß schlafen und denken,
Muß essen und feilschen und Karren lenken,
Muß wuchern mit seinem halben Pfund.
Muß beten und lieben und fluchen und hassen,
Muß hoffen und muß sein Glück verpassen
Und leiden wie ein geschundner Hund.

(Erich Mühsam, Was ist der Mensch? Ein Magen, zwei Arme, aus: Wolken, 1909–1913, Online-Quelle)

Gebet an die Menschen

Ich geh in den Tagen
Wie ein Dieb.
Und niemand hört
Mein Herz zu sich klagen.

Habt, bitte, Erbarmen.
Habt mich lieb.
Ich hasse euch.
Ich will euch umarmen.

(Alfred Lichtenstein, Gebet an die Menschen, Erstdruck in: Die Aktion (Berlin), 1913, Online-Quelle)

Ecce homo

Ja! Ich weiß, woher ich stamme!
Ungesättigt gleich der Flamme
Glühe und verzehr ich mich.
Licht wird alles, was ich fasse,
Kohle alles, was ich lasse:
Flamme bin ich sicherlich.

(Friedrich Nietzsche, Ecce homo, aus: Die fröhliche Wissenschaft, Erstdruck 1882, Online-Quelle)

Nennt ihr das Seele, was so zage zirpt

Nennt ihr das Seele, was so zage zirpt
in euch? Was, wie der Klang der Narrenschellen,
um Beifall bettelt und um Würde wirbt,
und endlich arm ein armes Sterben stirbt
im Weihrauchabend gotischer Kapellen, –
nennt ihr das Seele?

Schau ich die blaue Nacht, vom Mai verschneit,
in der die Welten weite Wege reisen,
mir ist: ich trage ein Stück Ewigkeit
in meiner Brust. Das rüttelt und das schreit
und will hinauf und will mit ihnen kreisen …
Und das ist Seele.

(Rainer Maria Rilke, Nennt ihr das Seele, was so zage zirpt, aus: Erste Gedichte/Advent, 1898, Online-Quelle)

 

Quelle: Pixabay

 

Auch wenn ich meine Worte seltsam dürr finde, sind sie so gemeint: Kommt gut in und durch die neue Woche!

 

Von Gelüsten und Karneval

 

Karneval

Väter, hört mich, Mütter, hört die Mahnung,
Jetzt kommt wieder jene Zeit – versteht! –
Wo so manche Tugend ohne Ahnung
Der Besitzerin abhanden geht.

Beute suchend schleicht umher das Laster;
Wer ist sicher, daß ihm nichts geschieht,
Wenn man jetzt der Busen Alabaster
Und beim Hofball auch die Nabel sieht?

Von den Blicken kommt es zur Berührung,
Irgendwo zu einem Druck der Hand,
Und so manches Mittel der Verführung
Sei aus Scham hier lieber nicht genannt!

Wenn an hochgewölbte Männerbrüste
Sich das zarte Fleisch der Mädchen drängt,
Regen sich von selbst die bösen Lüste
Und was sonst damit zusammenhängt.

Darum Eltern, wenn die Geigen klingen
Und die Klarinette schrillend pfeift,
Hütet eure Tochter vor den Dingen,
Die sie hoffentlich noch nicht begreift!

(Peter Schlemihl (Ludwig Thoma), Karneval, 27.01.1903, Zeitschrift „Simplicissimus“, Online-Quelle)

 

LEBEN WIE KARNEVAL

Jeder summt sein Sümmchen
Oder brummt sein Brümmchen
Wie ein Bär oder wie ein Bienchen,
Wenn er ganz in sich
Hindöst. – Aber öffentlich
Zieht dann jeder, jede,
Jedes sein Mienchen. – – –

(Fällt mir plötzlich ein Gerede
Ein, eines Arztes mit schizophrenen Fraun.
Hielt der Arzt sie heimlich lieb am Zügel.
Sagte eine: „Hängen Sie meinen
Linken Lungenflügel
An den Gartenzaun!“)

Jedes flucht sein Flüchlein,
Wenn’s nicht ging, wie’s ihmnach gehen soll.
Manches weint ein Tüchlein
Oder scheißt ein Höslein voll.

Das störend niedrige Geschmeiß
Ist schwierig zu erreichen.
Es bleibt Gesetz: Die Schnake weiß
Dem Kuhschwanz auszuweichen.

(Joachim Ringelnatz, Leben wie Karneval, aus: Flugzeuggedanken, Berlin 1929, Online-Quelle)

 

Aschermittwoch

Gesten noch ging ich gepudert und süchtig
In der vielbunten tönenden Welt.
Heute ist alles schon lange ersoffen.

Hier ist ein Ding.
Dort ist ein Ding.
Etwas sieht so aus.
Etwas sieht anders aus.
Wie leicht pustet einer die ganze
Blühende Erde aus.

Der Himmel ist kalt und blau.
Oder der Mond ist gelb und platt.
Ein Wald hat viele einzelne Bäume.

Ist nichts mehr zum Weinen.
Ist nichts mehr zum Schreien.
Wo bin ich –

(Alfred Lichtenstein, Aschermittwoch, 1914, aus: Gedichte und Geschichten 1919, Online-Quelle)

 

Maskenzauber Hamburg 2020 | 365tageasatzadayQuelle: ichmeinerselbst, anklicken macht groß!

 

Nein, natürlich habe ich nicht vergessen, dass ich euch noch die Maskenzauber-Bilder zeigen wollte. Das will ich auch weiterhin, es ist nur gerade ein bisschen viel los …

Kommt gut in und durch die neue Woche, ob mit Karneval oder ohne …

 

Vom Sommer und Sommerfrische

 

Sommerfrische

Man soll nicht in die Sommerfrische gehen,
man wird doch seines Lebens nicht so richtig froh.
Ob da nun Berges- oder Meereslüfte wehen,
auf dem Balkon zu Hause weht es grade so.
Man wird gepiesackt von den Schnaken und den Mücken,
im Meer die Quallen sind auch nicht sehr angenehm.
Und dann an alle Welt das Ansichtskartenschicken.
Nee, nee, mir ist schon mies von alledem.
Ich frage Sie: ist das vielleicht Erbauung,
wenn man da schwitzend auf die Berge klimmt?
Und dann: das fremde Wasser stört mir die Verdauung.
Laß mich in Ruh mit diesem ganzen Zimt.
Was brauch ich Schwarzwald? Ich hab eine Edeltanne
und laß den Ventilator durch mein Zimmer wehn.
Statt in den See, kriech ich in meine Badewanne.
Nee, nee, man soll nicht in die Sommerfrische gehn.

(Fred Endrikat, Sommerfrische, aus: Höchst weltliche Sündenfibel, 1940, Online-Quelle)

 

Sommerfrische

Zupf dir ein Wölkchen aus dem Wolkenweiß,
Das durch den sonnigen Himmel schreitet.
Und schmücke den Hut, der dich begleitet,
Mit einem grünen Reis.

Verstecke dich faul in die Fülle der Gräser.
Weil’s wohltut, weil’s frommt.
Und bist du ein Mundharmonikabläser
Und hast eine bei dir, dann spiel, was dir kommt.

Und laß deine Melodien lenken
Von dem freigegebenen Wolkengezupf.
Vergiß dich. Es soll dein Denken
Nicht weiter reichen, als ein Grashüpferhupf.

(Joachim Ringelnatz, Sommerfrische, aus: 103 Gedichte, 1933, Online-Quelle)

 

Sommerfrische

Der Himmel ist wie eine blaue Qualle.
Und rings sind Felder, grüne Wiesenhügel –
Friedliche Welt, du große Mausefalle,
entkäm ich endlich dir .. O hätt ich Flügel –

Man würfelt. Säuft. Man schwatzt von Zukunftsstaaten.
Ein jeder übt behaglich seine Schnauze.
Die Erde ist ein fetter Sonntagsbraten,
hübsch eingetunkt in süße Sonnensauce.

Wär doch ein Wind .. zerriß mit Eisenklauen
die sanfte Welt. Das würde mich ergötzen.
Wär doch ein Sturm .. der müßt den schönen blauen
ewigen Himmel tausendfach zerfetzen.

(Alfred Lichtenstein, Sommerfrische, aus: Die Aktion, 1913, Online-Quelle)

 

Blühende Wiese | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

Kommt gut durch die neue heiße Woche!