Von November und Stille

 

Herbst-Abend

Wind aus dem Mond,
plötzlich ergriffene Bäume
und ein tastend fallendes Blatt.
Durch die Zwischenräume
der schwachen Laternen
drängt die schwarze Landschaft der Fernen
in die unentschlossene Stadt.

(Rainer Maria Rilke, Herbst-Abend, aus: Die Gedichte 1906 bis 1910 (Paris, September 1907), Online-Quelle)

 

Solch ein lauer weißer Tag

Solch ein lauer weißer Tag,
Mag die Hände gar nicht rühren,
Nur die Augen liegen wach.

Draußen welken gelb die Bäume,
In der stillen Esche nicken
Graue Blätter, altersschwach.
Graue Blätter, graue Träume.

(Max Dauthendey, Solch ein lauer weißer Tag, aus: Reliquien, in: Gesammelte Gedichte und kleinere Versdichtungen, Albert Langen, München 1930, S. 112)

 

Herbstschöne.

Nun sind im Jahresreigen
Verstummt die hellen Geigen
Mit ihrem Lustgetön.
Die glühen Sommerfarben
Sie welkten schon und starben,
Und dennoch ist es schön. –

Wenn auch das Sonnenprangen
Vom Wolkenflor verhangen,
Und wenn auch Nebel brau’n –
Du mußt es nur verstehen
Im Sterben und Vergehen
Die Schönheit noch zu schau’n.

(Heinrich Kämpchen, Herbstschöne, aus: Was die Ruhr mir sang, 1909, S. 159–160, Online-Quelle)

 

Herbst, gelbes Blatt auf Asphalt  | 365tageasatzadayQuelle: ichmeinerselbst

 

Kommt gut in die neue Woche!

 

36 Kommentare zu “Von November und Stille

    • Das ist das Ziel, dass ich mit den Gedichten irgendwie die Stimmung aufgreife. Eine Stimmung.
      Freut mich, wenn/dass sie dir was sagen!
      Liebe Grüße
      Christiane aus ebenfalls trübem Hamburger Grau 🍁😺😉

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  1. Ja still wird es in diesem Monat, es ist aber auch nach all dieser oft vorangegangenen Töne-Farbenflut etwas sehr wohltuendes. Man hält innere Einkehr und es beginnt die Vorfreude auf die neuen Feste, die anstehen: Advent, Nikolaus, Weihnachten, Sylvester verbunden mit dem kulturellen Treiben.
    Deine Gedichtauswahl ist wieder zauberhaft und das Bild dazu sowieso (das ich mir erlaube, irgendwann zu mopsen -:)).
    Sei herzlich gegrüßt vom kerzenerleuchteten Dach, Karin

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    • Das Bild: Mach, liebe Karin, gerne! Ja, jetzt ist die eigentliche stille Zeit, so geht es mir auch damit, jetzt und im Januar, bevor der Rummel um den Karneval losgeht und alles schon wieder nach Frühling brüllt …
      Herzliche Grüße auf dein Dach und an den Katzenherrn 😺🐈
      Christiane 😁🐱👍❤️

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  2. Wieder Rilke, dieser so Besondere! Ich folge fasziniert der großen Bewegung des Windes, der vom Mond hinab zu den Bäumen rauscht, das Blatt reibt, und dann in die Menschenwelt hinabtaucht, Laternen, dazwischen drängt sich die große dunkle Landschaft, wieder Öffnung, zurück zum Mond.
    Pardon für die etwas grobe Anatomie des sehr feinen Gedichts. ich mache es ja nicht kaputt, zeichne nur mit dickem Stift nach, um die Aufmerksamkeit zu fesseln. Nun lasse ich das Gedicht allein in der windigen Nacht. …..

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    • Ja, ich fand das auch so toll, dieses Hereindringen, Hereinfließen …
      Gleichzeitig scheint das Gedicht zwar irgendwo in seinen Werken auffindbar, aber in den gängigen Gedichtbüchern, derer ich ein paar habe, ist es nicht gelistet. Es muss also etwas Unbekannteres sein.
      Ich mag das sehr, von einem Entzücken ins nächste zu stolpern. 😉

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  3. ich schaffe es nicht, einem der drei die Krone aufzusetzen, ich kann mich nicht entscheiden zwischen Rilke und Dauthendey. Bei beiden fließt es poetisch so unsagbar schön und ich lasse heute beide als Sieger stehn, liebe christiane.

    Ganz herzliche Gutenachtgrüße von Bruni

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    • Die Amplitude reicht nicht von Himmelhoch bis zu Tode betrübt, und alles ist ein bisschen unaufgeregter. Und wenn es dann schön ist … dann ist es sehr schön, aber eben anders als im Sommer.
      November ist fein.
      Freut mich, dass du auch so drauf bist.

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      • Ich bin heute Abend mit dem Fahrrad gefahren, und es war nett: Kühl, aber nicht frostig, feucht, aber nicht nass, noch keine Weihnachtslichter, man muss also in keiner besonderen Stimmung sein, ganz normal reicht völlig. Das war irgendwie – entspannend.

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