Undercover | Etüdensommerpausenintermezzo I-18

Tanztee, ha! Die bessere Gesellschaft! Die Versammlung der Eitelkeiten in Abendgarderobe nervte Ronja. Dass sie miterlebte, mit welcher Nichtachtung man ihrer Freundin Elise begegnete, die an jenem Abend an der Garderobe Dienst schob, machte es nicht besser. Bleib professionell, beschwor sie sich, halt die Ohren offen, du bist schließlich nicht zum Spaß hier.

Schön, es war nicht das Klügste gewesen, dass sie es sich gegönnt hatte, hinter dem Rücken der fetten Dame im Federkleid ein trotziges „Federn stehen Vögeln am besten“ zu raunen, woraufhin die so schnell herumgefahren war, dass die langen Ohrringe klimperten und ihr fast die Gabel vom Teller mit der Sachertorte gerutscht war. „Haben Sie was gesagt?“, hatte sie Ronja angefahren, und Ronja hatte ihr das Tablett mit den Getränken entgegengereckt und stockend „Wünschen Sie …?“ geantwortet, als ob sie der Sprache nicht so ganz mächtig wäre. Das klappte immer.

Die Dame konzentrierte sich lieber wieder auf den Sermon der Fabrikantengattin. „‚Schau mal her, Walter‘, habe ich zu ihm bei der Besichtigung gesagt, ‚das ist das Biedermeierschränkchen deiner seligen Ururgroßmutter Hedwig, ich bin ganz sicher!‘ Und wissen Sie, wie schade, dass die Polizei dieses Lager erst jetzt gefunden hat, wo wir die Sache mit der Versicherung schon abgewickelt haben! Jetzt bekommen wir zwar die Möbel zurück, zusammen mit dem ganzen anderen Firlefanz, Sie wissen ja, Schmuck, Bilder, Teppiche und so, aber wir haben uns ja längst neu eingerichtet, der furchtbare Einbruch ist doch über sechs Monate her.“ Sie wedelte mit der Hand und lächelte fahrig.

Tja, dachte Ronja, Besitz ist ohne Frage eine mächtige Fußfessel, die Gier nach Geld eine nicht zu unterschätzende Motivation. Oder war es vielleicht etwas ganz anderes? Sie zweifelte nicht daran, dass es in der Fischkonservenfabrik viele stille Eckchen für überflüssige Möbel gab. Platz genug war ja, die Geschäfte liefen dem Vernehmen nach nicht so rosig. Als die Fischkonservenfabrikantengattin jedoch einige Zeit später Stein und Bein schwor, dass das Möbelstück alt und wertvoll sei, sie habe schließlich Ahnung davon, hörte sie dann wieder genauer hin. Die fette Dame bekundete Interesse, Freundschaftspreis vorausgesetzt, falls sie sich von dem Schränkchen trennen wollen würde.
Das war jetzt schon die fünfte an diesem Abend. Ronjas unauffälliges Herumlungern mit dem Tablett würde sich vielleicht doch auszahlen.

Tat sie es wohl aus Liebe oder eher aus schnödem Eigennutz, die Gattin? Wusste sie, dass sie und Ronja ein Geheimnis teilten, dass es nämlich diese Besichtigung des konfiszierten Diebesguts so nie gegeben hatte und die ach so alten Möbel sogar durch ein Bad im Baggersee nicht wesentlich an Wert verloren hätten? Sie waren so neu, dass man eigentlich die Farbe noch hätte riechen müssen.

Irgendwann war auch dieser Abend vorbei und Ronja, der scheinbar dienstbare Geist, auf dem Heimweg. Sie begann, leise zu pfeifen. „Dieser Fall ist klar, lieber Herr Kommissar, auch wenn Sie and’rer Meinung sind: Den Schnee, auf dem wir alle talwärts fahr’n, kennt heute jedes Kind.“

Kriminalhauptkommissarin Ronja Kaiser witterte Betrug.

 

Sommeretüdenintermezzo 2 | 365tageasatzadayVisuals: Ludwig Zeidler

 

Ich habe mich entschieden, bei diesem Etüdensommerpausenintermezzo folgende 10 Wörter in einem Text beliebiger Länge, in dem zusätzlich eine Gedicht- oder Liedzeile vorkommen muss, einzubauen: Baggersee, Biedermeierschränkchen, Federkleid, Firlefanz, Fischkonservenfabrik, Fußfessel,  Liebe, Ohrring, Sachertorte, Tanztee.

Ach, hier kommt das Zitat her, wer es nicht erkannt hat:
Falco – Der Kommissar (Link zu YouTube)

Kein direkter Song zum Text, aber aus Gründen:
Faun – Federkleid (Link zu YouTube)

 

40 Kommentare zu “Undercover | Etüdensommerpausenintermezzo I-18

  1. Moin liebe Christiane, Krimis sind zwar eigentlich nicht so mein Ding, doch mit diesem hast du mich gespannt gefesselt 🙂 Liebe Grüße an Herrn Kater und dich, Annette
    P.S. Kaffee und Keks? 😉

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  2. Toll. Mein Kopfkino hat diese Geschichte mit Vergnügen in einen Film umgewandelt. Die Regisseurin bist du. Ich bin allenfalls die Kameraassistentin. 😂
    Wunderbar hast du diese stark kriminell angehauchte Episode geschrieben. Oder geht einfach nur die Fantasie mit KHK Kaiser durch und alle beim Tanztee Anwesenden haben blütenreine Westen (…auch unter dem Federkleid) ? 😉

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    • Neee, gar nicht! KHK Kaiser ist quasi von Amts wegen undercover unterwegs und einem nicht ganz so kleinen Schwindel mit Antiquitäten auf der Spur.
      Liebe Grüße, freut mich, dass es dir gefällt 😀
      Christiane

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  3. Ich war bis zum Ende ziemlich ahnungslos. Dass Sonja in einer bestimmten Mission unterwegs war, habe ich gespürt, aber nicht gedacht, dass sie von der Polizei ist. Clever gemacht!

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  4. Was da heute so alles an Antiquitäten als nicht solche verkauft wird, ist schon kriminell, wem kann man eigentlich noch vertrauen? Deine Milljöhschilderung ist köstlich….Der Kriminaltango würde auch passen. Geniessender Abendgruss vom Westbalkon mit Rotwein, Mondsichel, Mars und Abendrothimmel…..Herz was willst Du mehr, Karin

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    • Vom Kriminal-Tango hab ich eigentlich nur noch die Taverne, den Schuss und die rote Laterne(?) im Ohr. Neee, da kam ich aus einer ganz anderen Ecke, liebe Karin.
      Nur der Herr da mit dem Kneifer … nee, auch der nicht.
      Abendgruss mit Weinschorle, Buch und vorbeischauendem Fellträger, ein Lüftchen, so leicht und so lind
      Christiane

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  5. Ahaaaa, Kriminalhauptkommisarin ist sie, die Ronja mit dem Gläsertablett.
    Ich war sehr gespannt, in welcher Mission sie hier unterweg ist, die Frau mit dem Namen Ronja, der mich soooo sehr an die Räubertochter erinnert 🙂 und am Ende kam die Auflösung und ich war erleichtert, war doch da endlich jemand, der dem Schwindel mit den falschen Antiquitäten schon bald den Garaus machen würde …
    Eine feine Etüde mit all den verrücktschönen Sommerpausenwörtern, liebe Christiane

    Schmunzelgrüße von Bruni am späten Abend

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