Von Astern und Schönheit

Herbst

Astern blühen schon im Garten,
Schwächer trifft der Sonnenpfeil
Blumen, die den Tod erwarten
Durch des Frostes Henkerbeil.

Brauner dunkelt längst die Heide,
Blätter zittern durch die Luft.
Und es liegen Wald und Weide
Unbewegt im blauen Duft.

Pfirsich an der Gartenmauer,
Kranich auf der Winterflucht.
Herbstes Freuden, Herbstes Trauer,
Welke Rosen, reife Frucht.

(Detlev v. Liliencron, Herbst, aus: Adjutantenritte und andere Gedichte, Leipzig, 1883, Online-Quelle)

Musik im Mirabell

Ein Brunnen singt. Die Wolken stehn
Im klaren Blau, die weißen, zarten.
Bedächtig stille Menschen gehn
Am Abend durch den alten Garten.

Der Ahnen Marmor ist ergraut.
Ein Vogelzug streift in die Weiten.
Ein Faun mit toten Augen schaut
Nach Schatten, die ins Dunkel gleiten.

Das Laub fällt rot vom alten Baum
Und kreist herein durchs offne Fenster.
Ein Feuerschein glüht auf im Raum
Und malet trübe Angstgespenster.

Ein weißer Fremdling tritt ins Haus.
Ein Hund stürzt durch verfallene Gänge.
Die Magd löscht eine Lampe aus,
Das Ohr hört nachts Sonatenklänge.

(Georg Trakl, Musik im Mirabell, aus: Gedichte (1913), Online-Quelle)

[Fürchte dich nicht]

Fürchte dich nicht, sind die Astern auch alt,
streut der Sturm auch den welkenden Wald
in den Gleichmut des Sees, –
die Schönheit wächst aus der engen Gestalt;
sie wurde reif, und mit milder Gewalt
zerbricht sie das alte Gefäß.

Sie kommt aus den Bäumen
in mich und in dich,
nicht um zu ruhn;
der Sommer ward ihr zu feierlich.
Aus vollen Früchten flüchtet sie sich
und steigt aus betäubenden Träumen
arm ins tägliche Tun.

(Rainer Maria Rilke, Fürchte dich nicht, aus: Die frühen Gedichte, 2. Auflage 1909, stark überarbeitete Ausgabe von »Mir zur Feier« von Dez. 1899, Entstehungsdatum verm. 1900, Online-Quelle)


Quelle: Pixabay

Was immer ihr tut und/oder zu tun habt, möge die Woche sanft zu euch und euren Lieben sein.


25 Kommentare zu “Von Astern und Schönheit

  1. Was für ein schöner Geleitspruch zur neuen Woche! Ich wünsche selbiges. Danke für die Gedichtsauswahl. Ich bin melancholisch, so im Spätsommer/Frühherbst, da die Zeit sich kristallisiert als unwiderruflich vergangen und noch so viele Momente im Gemüt nachdauern. Ich wünschte wirklich, es wäre möglich, diesen kreisenden, wuchtigen prallen Erdball ein wenig zu entschleunigen! Viele Grüße auch an den Fellträger!

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    • Herbst ist die Zeit für das lange Ausatmen, für das Einfahren in den dunklen Winter-Tunnel und ja, auch für Melancholie.
      Ja, nicht leicht.
      Der Fellträger wärmt den Bauch auf der Heizung und ignoriert den Rest. Wenigstens einer. 😉
      Danke dir.
      Morgenkaffeegrüße 🌄🌻🍃☕🍪👍

      Gefällt 2 Personen

  2. Ganz wundervoll, liebe christiane, und nicht nur der wahnsinnig gute Tracl, nein, auch Liliencron ist ein riesiges Lob wert, aber Tracl schreibt mit einer derartig poetischen Wucht, daß man sich ihm gar nicht entziehen kann…

    Liebe Grüße zum Mittag von Bruni

    Gefällt 1 Person

  3. Liebe Christiane,
    danke dir.
    Alle drei Gedichte fangen den Herbst ganz wunderbar ein.
    Besonders angetan hat es mir die Formulierung „in den Gleichmut des Sees“ – das schwingt in mir nach.
    Abendgrüße zu dir
    Judith

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