Katzengold | abc.etüden

Es tat weh. Sie starrte auf die Mail. Soso, sie war ihm also nicht gut genug. Soso, er wünschte sich eine, die mehr auf Augenhöhe war. Soso.

Sie verkörperte den Satz, dass der Mensch nicht vom Brot allein existiert, denn unter ihrem Dach lebten die Musen. Musik umgab sie, Bücher und Bilder waren kostbare, geliebte Gefährten und brachten Regale und Wände in schöner Regelmäßigkeit fast zum Bersten, für ihre Abonnements für Konzerte, Oper und Schauspiel verzichtete sie auf manches andere. Aus reiner Lust unterhielt sie eine Präsenz im Internet, wo sie Gleichgesinnten ihre gesammelten Preziosen vorstellte.

Nicht genug? Sie fühlte sich deklassiert. Er nämlich vollbrachte wichtige Arbeit für die Gesellschaft. Tatkräftig, hochintellektuell, beredt, charakterstark. Eine Führungspersönlichkeit. Sie dagegen spielte mit bunten Steinen.
Es war erschreckend leicht, sich klein zu fühlen.

„Man kann einen Wasserhahn nicht streicheln, bis er kräht“, hätte ihr viel zu früh verstorbener Partner nüchtern geurteilt. Auch er war nicht von ihrer Art gewesen, aber er hatte sich dadurch nicht bedroht gefühlt, dass es Gebiete gab, in denen sie ihn weit überflügelte.
„Lass den, Mama, der ist doch weich in der Birne, wenn er nicht sieht, wer du bist“, hörte sie ihren Sohn wie von fern sagen, praktisch wie eh und je.

Nun, es stimmte wohl, dass sie für unterschiedliche Dinge im Leben brannten. Wenn ihre Schätze für ihn Katzengold waren, weil er glaubte, schon weiter zu sein – ha! –, dann hatte sie sich leider geirrt.

Sollte sie also vom Olymp der schönen Künste in den Nieselregen der Alltäglichkeiten hineintreten, um auf Augenhöhe zu sein? Für einen Mann, der Mozart nicht von Wagner unterscheiden konnte? Wirklich nicht. Was war sie eigentlich bereit, sich selbst anzutun, um endlich von ihrem Prinzen auf sein weißes Pferd gehoben und bewundert zu werden?

„Werd erwachsen“, schalt sie sich.

Es tat weh.

 

abc.etüden 2019 10+11 | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

Für die abc.etüden, Wochen 10/11.2019: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Worte stammen dieses Mal von Natalie und ihrem Blog Fundevogelnest und lauten: Nieselregen, weich, irren.

Bitte: Die Protagonistin ist fiktiv, eine Ähnlichkeit mit lebenden Personen oder Ereignissen nicht beabsichtigt. Alle anderen Möglichkeiten sind mir zu spät aufgefallen und ich mochte es nicht mehr ändern. Frauen machen gemeinhin in Kunst und Mode, Männer in Wissenschaft oder Wirtschaft: Dass Männer und Frauen / Mädels und Jungs in zwei sehr unterschiedlichen Welten leben, ist anscheinend gerade wieder sehr modern; und sich blöd benehmen kann man in jedem Alter. Der Verweis auf Lagerfeld gilt nicht. Und oh, Anwesende sind sowieso natürlich ausgenommen.

 

35 Kommentare zu “Katzengold | abc.etüden

  1. … und wenn Frauen „in Wissenschaft machen“, wählen sie häufig andere Wissenschaften als Männer. Dass frau als Ingenieurin wichtige Projekte durchzieht, während mann daheim das Kind hütet, wie bei einer meiner Nichten, ist eher selten. Dass ER als Erzieher arbeitet, während SIE als Psychologin das Kind betreut, kommt vermutlich häufiger vor. Viele Menschen können die gesellschaftlich vorgetrampelten Pfade nicht ohne weiteres verlassen, weil die Verluste, die sie fürchten, ihnen zu hoch erscheinen. Übrigens: „Nicht auf Augenhöhe“ kann auch heißen, dass jemand nicht von oben herab angeguckt werden möchte, oder? Vielleicht hat deine Protagonistin ihrem Möchte-nicht-mehr-gern-Partner einmal zu oft vermittelt, dass er Wagner nicht von Mozart unterscheiden konnte. Das kratzt wohl doch sehr am (nicht nur männlichen) Ego. Und dann haut es zurück!

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    • Ich sehe das so, dass er auf seinem Feld brilliert und sie auf ihrem. Aber er handelt und sie „empfängt“, sprich, sie ist selbst keine Künstlerin. Daher schätzt er ihr Wissen nicht besonders hoch ein und handelt entsprechend: Er „sieht“ sie eigentlich nicht. Dass sie wiederum ihm durchaus auch mal gesteckt haben könnte, dass er ja Mozart von Wagner nicht unterscheiden könne, halte ich für möglich und in diesem Fall für Notwehr 😉. Schön, dass du das „vom Olymp heruntergestiegen“ gelesen hast, das ich vermieden hatte. Und ja, ich bin deiner Meinung, was die Wissenschaften angeht, auch da gibt es „typisch weiblich“ und „typisch männlich“.
      Liebe Grüße
      Christiane

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  2. Liebe Christiane, nun hab ich Pipi in den Augen … ehrlich! Aber ich will das jetzt nicht weiter ausführen. Wo Tränen sind, ist auch Lachen, zB. über diesen Satz: „Man kann einen Wasserhahn nicht streicheln, bis er kräht“
    Lachen und Weinen in einem Sack – danke für deine Etüde, die auch zur ersten Kata-Strophe von Gerda zur jetzigen Runde passt:“ warum meint I eigentlich immer E besiegen zu müssen …“
    herzliche Grüße
    Ulli

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    • Den Satz mit dem Wasserhahn liebe ich sehr. Ich weiß zwar, von wem ich ihn habe, weiß aber nicht, ob es nicht trotzdem ein Zitat ist – ich glaube, ich habe nie danach gesucht. Ja, warum muss irgendwie immer einer siegen, warum kann man nicht erkennen, dass man auf manchen Gebieten Lehrer und auf anderen immer Schüler ist, weil man nicht alles wissen kann.
      Freut mich, dass dich meine Etüde so berührt hat.
      Gaaaaaaaaaaanz herzlich zurück
      Christiane

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  3. Meiner Ansicht nach bewegt er sich auf einem gesellschaftlichen Parkett, auf dem es um andere Herausforderungen geht, die schönen Künste sind dort zweitrangig, was ja an sich von keiner allzu großen Bedeutung für eine Partnerschaft sein sollte, aber dort kann sie nicht mithalten und deswegen macht er sie „klein“ und verschließt seine Augen vor dem, was sie sich gegenseitig geben könnten.
    Auch wenn keiner von beiden vielleicht einen Prinzen oder eine Prinzessin sucht, das einfach Mensch sein schaffen sie nicht, noch viel weniger das gegenseitige Lehrer-Schüler-Verhältnis.
    Jemandem nicht zu genügen tut immer weh – egal aus welchem Grund.

    Lieber herzlicher Gruß an Dich, Karin

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    • Ja, liebe Karin, da stimme ich dir zu. Das schaffen sie nicht. Und auch, dass es immer weh tut, nicht zu genügen. Aber manchmal streckt man sich nach einer unmöglichen Decke, und das ist auch gut, wenn man es erkennt.
      Liebe Grüße auf dein Dach und danke
      Christiane

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  4. Wenn einer von beiden Partner sich auf / für den anderen herablassen müsste…neeeee, dann stimmt doch schon von vornherein etwas nicht. Man sollte doch einander bereichern, nicht „verarmen“…ein hochinteressantes Thema allemal.

    Danke und VG, René

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  5. Ein „Er“ von wahrer Größe hat dieses Verhalten nicht nötig. Er hat genügend Selbstvertrauen. Ein solcher „Er“ kann zum Bespiel körperlich kleiner sein, als „Sie“ und damit nicht das geringste Problem haben. Für einen solchen „Er“ ist es das normalste der Welt, dass „Sie“ und „Er“ unterschiedliche Interessen, Begabungen, Stärken und Schwächen haben.
    Aber ja, ich denke, dass der Großteil der Männer leider irgendwie noch immer so tickt, wie der männliche Part deiner Etüde.
    Augenhöhe ist einfach nicht immer im Bereich des Möglichen, sagt die Pragmatikerin in mir.
    Ich danke dir für diese Etüde, die sehr tiefe Einblicke gibt – in wessen Seele auch immer.
    Ich wünsche dir ein schönes Wochenende. Liebe Grüße, Berta

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    • Weißt du, wir wissen alle, wie es sein sollte, jedenfalls werde ich nicht müde, das zu glauben. Aber erreichen, erreichen tun wir es nicht, warum auch immer, und das ist manchmal ganz schön bitter. Ich unterstelle dem Herrn in meiner Etüde noch nicht mal böse Absichten, da treffen einfach zwei Welten aufeinander und können nicht gleich viel miteinander anfangen …
      Liebe Grüße an dich und ein schönes Wochenende auch dir!
      Christiane

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  6. Ach ja. Es freut mich deine Etüde zu lesen, die aus dem Leben gegriffen ist. Der Beitrag zu dem Thema, den ich davor woanders gelesen habe, hat mich kopfschüttelnd hinterlassen und mit der Frage, was alles als Humor durchgehen soll/will ……

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  7. Wenn sich jemand über einen anderen stellt, zeigt das nur wie klein derjenige sich fühlt, sonst bräuchte er das ja nicht. Dann käme er auch mit Augenhöhe klar.
    Den Satz mit dem Wasserhahn hab ich mir btw. notiert. Herrlich!
    Grüße, Katharina.

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    • Danke fürs Suchen! Da kann ich mit absoluter Sicherheit garantieren, dass a) der Spruch älter ist als das Buch, und dass b) mein Urheber dieses Machwerk nie gelesen hätte.
      So lange der Kreislauf funktioniert, lieber Werner, erhebe ich keine Einwände.
      Liebe Grüße
      Christiane

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  8. Hier ist ja einiges kommentiert worden, was die Gründe für das herabsetzende Verhalten des Mannes erklären könnte. Nichts dagegen. Ich gebe noch eine Möglichkeit zu bedenken: Vielleicht hat er einen Karrieresprung ins Auge gefasst und braucht dafür eine andere Partnerin. Bisher war sie ihm ganz recht, aber nun braucht er halt eine Frau aus dem Milieu, eine Arrivierte oder sehr Attraktive, die ihm hilft, Türen zu öffnen, oder eine mit Geld oder aus der richtigen Familie mit Connections. Auch Männer „heiraten“ nämlich „nach oben“.
    M.a.W. er könnte einfach eine Trennung wünschen und tut das auf eine Art, die sie zwingt, den schwarzen Peter zu nehmen.

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    • Nichts einzuwenden, nur gebe ich zur Sicherheit eins zu bedenken, ich weiß nicht, wie gut das rübergekommen ist: Die sind nicht oder noch nicht fest zusammen. Das ist mein Fehler, ich habe zwar „Sie war ihm nicht gut genug“ geschrieben und nicht „Sie war ihm nicht mehr gut genug“, aber ich hätte es deutlicher machen können.
      Das ist also keine Trennung (per Mail, bäh, wie stillos), das sind enttäuschte Hoffnungen und eine Fehleinschätzung.
      Und ja, natürlich schlafen sich auch Männer hoch.
      Liebe Grüße
      Christiane

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  9. Schwieriges Thema. Gerade, wenn sich zwei sehr verschiedene Menschen zusammenfinden, braucht es sehr viel Toleranz und auch Stärke. Ich wusste nicht, ob ich mit deiner Protagonistin weinen oder über den Wasserhahn lachen sollte. Eine wunderbar farbige Etüde hast du uns da serviert!

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    • Ja, aber was für eine Bereicherung für beide, wenn es klappt. Und ich finde, es ist den Versuch absolut wert. Auch wenn man sich dabei öfter mal eine blutige Nase holt.
      Danke für dein Mögen!
      Liebe Grüße
      Christiane

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  10. Ein heikles Thema, liebe Christiane.
    Wie oft ist es tatsächlich so, einer fühlt sich dem anderen überlegen und läßt es ihn deutlich spüren.
    Liebe sieht anders an. Sie läßt das andere im Partner als liebenswert erscheinen und macht es nicht nieder…
    Mehr möchte ich nicht dazu schreiben, dazu berührt es mich zu sehr, was Du hier schreibst…
    Ganz herzlich, Bruni am Abend

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    • Du triffst mal wieder den Nagel auf den Kopf, liebe Bruni. „Liebe sieht anders an.“ In der Tat, so ist es.
      Weißt du, oft ist in einer Beziehung ja auch wirklich einer dem anderen überlegen. WARUM DENN AUCH NICHT? Die Frage ist, wie man damit umgeht; und Niedermachen ist ganz bestimmt der falsche Weg.
      Hab Dank und eine gute Nacht 😉
      Liebe Grüße
      Christiane

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  11. SO sehe ich das auch, liebe Christiane!
    Na und, ist doch gut, wenn einer etwas besser kann als der Andere, dafür kann der etwas, was der Andere nie hinbekäme und beiden profitieren voneinander… Wie schön wäre das!

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  12. Pingback: Schreibeinladung für die Textwochen 12.13.19 | Wortspende von Geschichtszauberei | Irgendwas ist immer

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