Hamsterrad | abc.etüden

Die SMS einer Freundin fiepte: „Denk dran, ein Hamsterrad sieht von innen aus wie eine Karriereleiter.“ Berühmte letzte Worte, dachte sie, als sie ihr Handy wegsteckte.
Sie stand am offenen Fenster und sah hinaus, bis ihr plötzlich der Sog auffiel, den die Tiefe auf sie ausübte. Sie hatte doch nicht wirklich gerade ans Aufgeben gedacht, ans Loslassen, ihren Körper unten liegen gesehen, malerisch verkrümmt? Ihr Herz schlug schneller, ihr wurde leicht schwindelig, sie schlug den Fensterflügel zu und lehnte sich dagegen. Gerade noch mal die Kurve gekriegt, verdammt, was sollte denn das?

Draußen verdunkelte die Dämmerung das Herbstfarbenbunt und knipste die Laternen an. Wie lange eigentlich, fragte sie sich nachdenklich, war es her, dass sie nicht ständig fremdgelebt hatte, wie lange war es her, dass sie nicht ständig diese bleierne Müdigkeit gefühlt hatte, wann hatte sie zum letzten Mal so richtig Zeit für sich gehabt und wann war der Spaß an der Aufgabe, der Leistung ausgeblieben?

Sie war nicht länger bereit und fähig, sich diesem Druck auszusetzen, gab sie still zu und fühlte sich sofort leichter. Sie fuhr den Computer herunter, ignorierte die klingelnden Telefone, löschte das Licht und verließ ihren Arbeitsplatz mit unbekanntem Ziel.

 

2017_43.17_zwei_lz | 365tageasatzadayVisuals: ludwigzeidler.de

 

Für die abc.etüden, Woche 43.17: 3 Worte, maximal 10 Sätze. Die Worte stammen in dieser Woche von Sandra Matteotti (denkzeiten.com) und lauten: Laterne, herbstfarbenbunt, loslassen.

 

 

15 Kommentare zu “Hamsterrad | abc.etüden

  1. Hm, ich finde das ist eine gute Geschichte, diese Gedankenflut in kurzer Zeit und dann das Ergebnis mit unbekanntem Ziel, das passt für mich neben der Geschichte als solcher auch zeitlich in diese Kurzform. Ich kann mir das durchaus vorstellen, dass da etwas lange gährt, aber dann geht es zackzack.
    Wenn man die Geschichte weiterdenkt, denke ich, dann ist das Hamsterrad eher ein Hamsterradlabyrinth.
    ||: Sicher kann man ausbrechen, man verlässt den Raum und betritt das nächste Zimmer, das vielleicht nur besser erscheint, es ist vielleicht rot statt blau, oder umgekehrt. Doch eigentlich ist es nur anders und das Rad dreht wieder an, es steht ja noch wenn man es betritt. Aber wenn es läuft, dann dreht es sich schneller und schneller. Je größer desto länger dauert es, bis man nicht mehr Schritt halten kann. Man hat dann keine Wahl zwischen Stürzen und Herausspringen. :||
    Vielleicht ist deshalb das Leben eine Kunst, weil es eine Gratwanderung zwischen Akzeptanz+Weitermachen und Loslassen ist, wir sind eben alle Seilkünstler. Und in den Händen halten wir noch Gewichte, sei es Familie, Vermögen oder Schulden, das soziale Umfeld eben.
    Liebe Grüße ins Wochenende.

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    • Hey, du mal wieder hier, wie schön!
      Meine Geschichte sollte eine Frau abbilden, die erkennt, dass sie eigentlich an der Schwelle zum Sturz steht und daher springt.
      Klar hast du recht, das Leben ist ein Labyrinth. „Ich bin dann mal raus, ich spiel nicht mehr mit“, – schön, wenn man das so einfach sagen kann, die meisten sind weit entfernt davon, ich auch. Aber wenn auf der einen Seite der Waage irgendwann die Gesundheit liegt, die physische und psychische, und auf der anderen Seite das, was du als „Gewichte“ bezeichnest, dann muss man verdammt genau auf sich aufpassen, um nicht bei sich (oder bei den Liebsten) Schulden (ich meine jetzt gerade eher immaterielle) ohne Ende zu machen.
      Neeee, alles ganz sicher nicht leicht.
      Also heiter weiter … 😉
      Schönes Wochenende auch dir, liebe Grüße
      Christiane

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  2. Pingback: Hamsterrad | abc.etüden | ragbag

  3. in der letzten Sekunde die Kurve gekriegt, geht mir spontan als erstes durch den Kopf, liebe Christiane
    Toll geschrieben, so als wäre es eben real passiert.
    Hamsterrad und Karriereleiter können vermutlich tatsächlch kurzfristig verwechselt werden, bzw. einer/e, der/die gerade beim Hochsteigen ist, wird nicht an das Hamsterrad denken, sondern erst dann, wenn der Job bedrückend wird.

    Liebe sonntägliche Grüße von Bruni, nach drei Tagen PC-Pause

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    • Ja, genau, liebe Bruni, so sehe ich das auch: Es gibt eine Grenze, und wenn man darübergerät, dann merkt man, dass etwas faul, d. h. zu viel ist. Man kann es vielleicht nicht (sofort) ändern, aber man weiß es. Und dann kommt irgendwann der Punkt, da muss man sofort etwas ändern …
      Müde Grüße
      Christiane am Sonntag

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  4. ja, sie hatte Glück, entkam der verführerischen Situation und erkannte, daß sie dringend etwas ändern mußte!

    Müde? Weil Abend ist? Oder hast Du Dich auch müde gewandert?

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