19 – Sieben Geister | Adventüden

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Sieben Geister (Katharina, Katha kritzelt)

 

Schneeflocken landen in Kinderlachen, tummeln sich um allgemeines Wohlbefinden. Die Bäuche sind voll, die Beine schwer. Je länger man läuft, desto freier fühlt man sich. Der Hund fährt mit seiner Nase Bahnen in den frisch gefallenen Schnee. Irgendjemand muss den Weg ja ebnen.

Zwölf, zwanzig, fünfzig, hundert, unendlich viel. Alles ist teuer. Das Geld klingelt laut und raschelt überall. Nur leise hört man den Magen einiger Geldbörsen grummeln. Auch dieses Jahr hat der Weihnachtsmann unterwegs Geschenke verloren.

Tick tock. Tick tock. Gleich kommt die Weihnachtsgala im Fernsehen. Die sieht sie jedes Jahr. Früher mit ihrem Mann. Sie schiebt das Fertiggericht mit Gans in die Mikrowelle. Es duftet chemisch und nach Rotkohl. Ein Ping erfüllt die leere Wohnung.

Das kleine Einhorn strahlt rosa, blau und gelb, als es genau im schummrigen Weihnachtsbaumlicht inspiziert wird. Sein Schweif glitzert und schwingt fröhlich hin und her. Eine kleine Dame drückt es an sich und quiekt vor Freude. Sie wird ihn überall hin mitnehmen. Auch in ihre erste eigene Wohnung.

Engumschlungen, liebend, zärtlich. Er streichelt ihre Wange. Sie küsst sanft seine Schulter. Sie liegen vor dem Kamin, eingerollt in das Bärenfell von seinem Großvater. Die Kerzen im Baum und das Feuer im Kamin leuchten nur halb so stark wie ihre Augen.

Leise rascheln seine grünen Nadeln. Seine Äste beben, geht man an ihm vorbei. Es riecht nach Wald, süßlich, herb. Leben. Sterben. Er ist entwurzelt und seine Tage sind gezählt. Draußen könnte er mit seinen Brüdern für eine grünere Welt sorgen, hier drinnen saugt nur jemand.

Sie reicht ihm die Vanillekipferl, er gibt ihr die Teekanne. Die Kindeskinder toben im Hintergrund. Die Kinder ermahnen, halb scherzend, halb erziehend. Sie verbrennt sich am heißen Tee, er krümelt seine Hose voll. Beide lächeln.

 

Adventüden 2019 19 | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

66 Kommentare zu “19 – Sieben Geister | Adventüden

    • Ja, Streiflichter, bitter und süß gleichermaßen. Und von jedem kann ich mir vorstellen, dass es so irgendwo passiert. Hach.
      Ich finde sie toll, alle.
      Liebe Grüße
      Christiane 😁☕🍪✨🕯️🕯️🕯️

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        • Ich denke so was öfter, wenn ich hier durch die Stadt (Großstadt) fahre: Was mag gerade hinter jenem Fenster passieren? Krankheit, Streit, Tod? Ultimatives Glück? Liebe? Langeweile? Familienleben? Einsamkeit?
          Nun ist diese scheinbare Anonymität der Grund, warum Menschen nicht in die Stadt ziehen oder dort bleiben wollen, aber ich fand die Vielfalt der Möglichkeiten immer eher befreiend statt belastend.

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  1. Da sprach ich neulich von einem bunten Blumenstrauß, und lese hier den Blumenstrauß im Blumenstrauß… klasse 7 Geister, auch die Perspektiven sind klasse, einschließlich Baum und Einhorn, da muss man erst mal drauf kommen! Eine tolle Vielfalt!
    Einen schönen Tag wünsche ich!

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    • Ja, gelle? Weihnachtsstreiflichter. Ich finde sie allesamt toll in ihrer Verschiedenheit.
      Auch hier: Dir einen guten Tag! Es ist fast geschafft. 😉
      Liebe Grüße
      Christiane 😁☕🍪✨🕯️🕯️🕯️

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    • Blumenstrauß im Blumenstrauß finde ich toll. 🙂 Danke. Man hat echt das Gefühl einen Adventskalender zu öffnen. Nicht so einen mit Schokolade, sondern die selbstgemachten mit den Säckchen.

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      • Da hast du recht. Und ganz ehrlich, das Ding hier übertrifft meine kühnsten Erwartungen. Wenn die Frau Christiane sagt, dass es gut wird, dann wird es gut. Aber sie hat geschwindelt, denn das war untertrieben.
        Es sind nicht nur die einzelnen Geschichten, es ist das Gesamtpaket, das stimmig ist. Und die Details sind schlichtweg der Kracher.
        Da traut man sich schon gar nicht mehr selbst zu bloggen, das wirkt so unbedeutend dagegen.
        Schöne Restadventszeit noch!

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        • Und wenn Frau Christiane sagt, dass es gut wird, dann ist das erst mal ihre Meinung, die mit deiner/eurer keineswegs übereinstimmen muss. Ich bin allerdings froh, dass die Adventüden so einschlagen, das kann und muss ich zugeben, und natürlich freut mich das sehr. 😁
          Quatsch, was heißt hier „unbedeutend“? Du vergleichst Äpfel mit Birnen.
          Aber danke für die Blumen, ich fühle mich gebauchklatscht und am selbigen gekrault – ach nee, halt, letzteres ist der Fellträger.
          Ja, danke, schau bald wieder rein, es wird nicht schlechter, nur wie gewohnt anders 😉
          Liebe Grüße, auch dir nur das Beste
          Christiane 🍷🎄✨🕯️🐱

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  2. Ich bin weiterhin dafür, dass man bei WordPress an der Möglichkeit einer Art digitalen Applauses arbeiten sollte, denn wenn es diese Möglichkeit gäbe, dann würde ich besagten Applaus jetzt spenden. Stehend. Was für ein großartiger Text! Ich weiß gar nicht, was ich dazu genau sagen soll! Kompliment! 🙂

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  3. Das selige „es war einmal“ auch wenn jetzt nur das Pling der Mikrowelle ertönt, Erinnerungen sind unauslöschlich, haben sich als Glücksmomente fest eingegraben und die Wehmut wird überlagert durch sie. Sie ist so plastisch zauberhaft erzählt diese Etüde und ergreift das Herz. Lieben Dank dafür, Karin

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  4. Normalerweise würde man mit den sieben Geistern die Göttliche Vollendung in Bezug bringen, dargestellt in vielfältigen Verästelungen als Geist des Herrn, Geist der Weisheit, Geist des Verstandes, Geist des Rates, Geist der Stärke, Geist der Erkenntnis und Geist der Furcht des Herrn, d.h. Böses zu hassen.
    Du beschreibst dagegen eher die vorherrschenden Zeitgeister und -Haltungen in verschiedenen Lebensepochen: unbeschwertes Kinderlachen, überbordender Weihnachtskonsum, Weihnachtsgala mit Fertiggericht (welch Gegensatz!), Trostspielzeug bis ins Erwachsenenalter, Sex an Weihnachten vor dem Kamin, geschlagene Bäume statt Umweltschutz und zuletzt doch: Tradition und trautes Heim, Glück allein.
    So „banal“ ist unser Leben, aber trotzdem so schön im Rahmen der uns gegebenen Möglichkeiten.
    Wieder unvergleichlich, Katha. Man muss und sollte es mehrmals lesen!

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  5. Pingback: Tür 19 – Sieben Geister | Adventüden – Katha kritzelt

  6. Das meine Etüde so gut ankommt, freut mich unwahrscheinlich. Vielen Dank fürs Organisieren, liebe Christiane. Die Adventüden zaubern mir jeden Tag ein Lächeln auf die Lippen und ich bin traurig, dass es nur noch so wenige gibt.

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    • Ist wahr, man könnte sich dran gewöhnen, da stimme ich dir zu. 👍
      Andererseits: Wenn jeder Tag besonders wäre, wäre kein Tag besonders. Die Adventüden als Weihnachts-Countdown ergeben für mich schon einen Sinn. 😉
      Ich freue mich schon auf den letzten Schwung Adventüden, ich finde sie alle toll, jede auf ihre Art … (und natürlich auch, weil meine noch kommt) 😁
      Liebe Grüße
      Christiane, ebenfalls entzückt, aber das hast du ja zu Genüge gelesen 😁🐱🎄🕯️✨

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  7. Für mich persönlich am interessantesten ist, wenn ich solche Geschichten lese, dass die wirkliche Tiefe sich mir erst nach mehrmaligem Lesen, und dem Lesen anderer und weiterer Kommentare, erschließt. Diese Geschichte hier ist ein hervorragendes Beispiel dafür. Hätte ich nach dem ersten Lesen niemals alles so gesehen.

    Wirklich interessant.

    René 🎅🎄

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    • Solche Minis muss man sacken lassen, nicht? Und irgendwann dockt es irgendwo in einem an und macht leise Pling. Oder so. Mir ging das auch so.
      Das war die ursprüngliche Intention des Etüdenerfinders, übrigens. Solche Szenen, möglichst kondensiert.
      Liebe Grüße
      Christiane 😁☕🍪🎄✨

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    • Das merke ich auch. Je kürzer desto mehr Spielraum für Perspektiven. Manchmal ist es auch faszinierend, dass andere Aspekte sehen, die man nicht bedacht hat und die fast schon mehr über einen selbst aussagen als den Text. Etüdenpsychologie quasi. 😉 Danke.

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      • Das kenne ich auch. Das passiert mir bei den normalen Etüden so oft, dass sich dann plötzlich die Leute Gedanken über meine Charaktere machen, weil der eine an einer Stelle geschwiegen, der andere aber gehustet hat … blödes Beispiel.
        Und ich sitze dann da und denke: oh, hoppla, ist mir da was entgangen? Und ja, Texte sagen IMMER was über einen selbst aus, und man selbst sieht nie alles … 😉

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