13.12. – Das Ross | Adventüden

Vorbemerkung: Ich schreibe aus der Sicht meines etwa fünfjährigen Ichs, das überzeugt war, dass es »eine Rose« und nicht »ein Ros’« heißen muss, aber »ein Ross«.

 

Das Ross ist entsprungen

und galoppiert über die weiße Wiese. Der Schnee spritzt in alle Richtungen. Schön sieht das aus und warum und woher es entsprungen ist, interessiert mich gar nicht.

Leise rieselt der Schnee

und das Ross ist schon so eingeschneit, dass es kaum mehr zu sehen ist. Vielleicht ist es ohnehin ein Schimmel. Dann könnte es auch Flügel haben und ein Pegasus sein, der sich aufschwingt in den niedersinkenden Schnee. Ich sehe ihm nach. Der Schnee fällt mir ins Gesicht, auf die Augen, den Mund. Schnee schmeckt nach Weihnachten und nach Abenteuer.

Still und starr ruht der See.

Ein bisschen zu still, man könnte dort doch in bunten Mützen eislaufen und auf dem Eis tanzen.

Kling, Glöckchen, klingelingeling …

Einen Schlitten, mit Lametta behängt, sehe ich auch, aber er ist weit weg auf der anderen Seite des Sees. Die Schlittenleute klingeln und winken und ich winke mit meinem Taschentuch zurück.

Es weht kein Wind, aber der Pegasus gleitet doch durch die Luft, schlägt ein paarmal aus, probiert Pirouetten, aus reiner Lebensfreude. Er ist ja auch entsprungen und muss sich ein bisschen austoben. Ich versuche auch eine Pirouette, plumpse in den Schnee und lache über den Sturz.

Der Pegasus dreht noch ein paar Runden und landet dann mit klickenden Hufen auf dem vereisten See. Er schüttelt seine Mähne und es sieht aus, als stünde er inmitten einer Fontäne, die in den Himmel hinauf strebt.

Weihnachtlich glänzet der Wald.

Es ist ein Schneetag, mit grauen Wolken und weißen Schneeflocken, deswegen kann man das Glänzen nicht sehen, aber ich weiß, es ist trotzdem da zwischen den Bäumen und bei den Tieren. Der Wald leuchtet vor Schnee im ganz besonderen Licht der Wintertage.

Jetzt steht der Pegasus ganz still vor mir. Ich glaube, ich soll aufsteigen, wie Nils Holgersson auf die Wildgans.

 

Inspirationen:

Es ist ein Ros’ entsprungen
Leise rieselt der Schnee
Kling, Glöckchen, klingelingeling
Selma Lagerlöf: »Nils Holgerssons wunderbare Reise mit den Wildgänsen«

Autor*in: Myriade                    Blog: La parole a été donnée à l´homme pour cacher sa pensée


Adventüden 2022 13-12 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

Zum Thema Inhaltshinweise/CN/Triggerwarnungen in den Adventüden bitte hier lesen.

Nachdem viele Teilnehmer*innen und Leser*innen das Fetten der vorgegebenen Wörter als störend empfunden haben, wurde darauf verzichtet. In einem Text, der maximal 300 Wörter umfassen durfte, waren (mindestens) drei der folgenden fünfzehn Begriffe zu verwenden:

Adventskalender, Dezemberdilemma, Eintopf, Gebäckdose, Hefe, Lametta, Laubsäge, Liebeserklärung, Kreuzkümmel, Kulturschock, Sternenglanz, Sturz, Taschentuch, Tunichtgut, Weihnachtsputz.

Dieser Text erschien zuerst im Rahmen der Adventüden 2022, einem Projekt von »Irgendwas ist immer«.

 

Waldmensch | abc.etüden

Ich betrete ein Wäldchen. Viele Birken, viele Buchen, die Sonne scheint, der vor mir liegende Weg wirkt licht und grün, ich sehe, dass sich Häuser in die Hänge kuscheln. Wohnen im Wald – wie herrlich, denke ich, und dass uns Deutschen ja sowieso eine intensive Beziehung zum Wald nachgesagt wird und es im Deutschen schier unendlich viele Bezeichnungen für Grüns gäbe. Wir sind irgendwie Waldmenschen, denke ich, lächle und fühle mich in meinem Dahingehen wohl.

Waldmenschen. Es trifft mich wie ein Schlag. »Waldmensch«, das ist die Übersetzung von »Orang-Utan«, einer Affenart, an deren Ausrottung wir Menschen gerade mit aller Macht arbeiten, indem wir für Holz- und Palmölgewinnung ihre Lebensräume vernichten und sie jagen, um sie zu essen oder als Haustiere zu verkaufen. Big Business. Orang-Utans sind die größten heute noch lebenden Baumsäugetiere sowie die einzigen überlebenden Großen Menschenaffen Asiens. Ein paar dürfen in Zoos herumsitzen und sich fortpflanzen, ja, klar, aber leben? Leben?

Ich denke ein bisschen beschämt an meine Mitgliedschaft im NABU, die mir plötzlich wie ein Feigenblatt vorkommt, anständig und bemüht, wie ich nun mal bin, und daran, dass Palmöl heute in etwa jedem zweiten Produkt steckt, das in deutschen Supermärkten zu kaufen ist.

Ich trotte weiter. Der Wald um mich herum leuchtet, Spechte klopfen, es ist wunderschön. Es gibt Zahlen, wie viel Prozent der Bäume aktuell bereits schwer geschädigt sind, die tendenziell steigenden Temperaturen und die Trockenheit machen die Sache nicht besser. Ich überlege, dass ich mich nicht so einfach aus der Welt verkrümeln kann, wie ich demnächst diesen Wald hinter mir lassen werde. Und was das bedeutet.

Früher sah man gefühlt überall diesen Aufkleber mit der (angeblichen) Prophezeiung der Cree-Indianer: »Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.«

Abgelutscht, aber wahr.

 

abc.etüden 2021 38+39 | 365tageasatzaday
Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

Für die abc.etüden, Wochen 38/39.2021: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Wortspende stammt dieses Mal von Werner Kastens mit seinem Blog Mit Worten Gedanken horten. Sie lauten: Prophezeiung, anständig, verkrümeln.

Alles an dieser Etüde stimmt: Der Weg durch den Wald, die Assoziationen, sogar die Sache mit der Prophezeiung, die allgemein als »Weissagung der Cree« verkauft wird, ist mir dort eingefallen. Geht also auch ohne Hund (hallo, Werner).

Die Links, mit denen ich euch jetzt füttern möchte, die musste ich allerdings nachschlagen.

Orang-Utans: Dazu gibt es unglaublich viel Bewegendes, und ihr werdet vermutlich einiges selbst kennen. Ich fange einfach mal ganz simpel mit dem WWF (hier) und mit der Wikipedia (hier) an.
Von der WWF-Seite stammt auch die Aussage mit dem Palmöl (hier lesen).

Hier ist ein weiteres (Schweizer) Projekt zum Schutz von Orang-Utans vor Ort, ich möchte nicht, dass der Link in den Kommentaren untergeht: PanEco – Der SMARTe Regenwaldschutz.

Wald: »Nur noch einer von fünf Bäumen weist keine erkennbaren Schäden an seiner Krone auf«, fasst GEO den aktuellen Waldbericht der Bundesregierung 2021 zusammen. Mehr siehe dort.

Weissagung: Die »Weissagung« ist mitnichten eine Weissagung (und erst recht keine Prophezeiung), sondern ein Zitat einer (späteren) kanadischen Filmemacherin, die einem Volk der First Nations entstammt, hat der »Quote Investigator« Garson O’Toole herausgefunden (hier, engl.). Der Wikipedia-Eintrag (hier) listet außerdem noch ein paar Infos um das Zitat herum auf, z. B. die Verwendung durch Greenpeace, wodurch es in D sehr bekannt wurde.

Ja, ich weiß, ich bin früh dieses Mal, aber ich wollte verhindern, dass eine*r von euch vor mir mit diesem Aufkleber ankommt … 😉

 

19 – Sieben Geister | Adventüden

Zum Thema Inhaltshinweise/CN/Triggerwarnungen in den Adventüden bitte hier lesen.

 

Sieben Geister (Katharina, Katha kritzelt)

 

Schneeflocken landen in Kinderlachen, tummeln sich um allgemeines Wohlbefinden. Die Bäuche sind voll, die Beine schwer. Je länger man läuft, desto freier fühlt man sich. Der Hund fährt mit seiner Nase Bahnen in den frisch gefallenen Schnee. Irgendjemand muss den Weg ja ebnen.

Zwölf, zwanzig, fünfzig, hundert, unendlich viel. Alles ist teuer. Das Geld klingelt laut und raschelt überall. Nur leise hört man den Magen einiger Geldbörsen grummeln. Auch dieses Jahr hat der Weihnachtsmann unterwegs Geschenke verloren.

Tick tock. Tick tock. Gleich kommt die Weihnachtsgala im Fernsehen. Die sieht sie jedes Jahr. Früher mit ihrem Mann. Sie schiebt das Fertiggericht mit Gans in die Mikrowelle. Es duftet chemisch und nach Rotkohl. Ein Ping erfüllt die leere Wohnung.

Das kleine Einhorn strahlt rosa, blau und gelb, als es genau im schummrigen Weihnachtsbaumlicht inspiziert wird. Sein Schweif glitzert und schwingt fröhlich hin und her. Eine kleine Dame drückt es an sich und quiekt vor Freude. Sie wird ihn überall hin mitnehmen. Auch in ihre erste eigene Wohnung.

Engumschlungen, liebend, zärtlich. Er streichelt ihre Wange. Sie küsst sanft seine Schulter. Sie liegen vor dem Kamin, eingerollt in das Bärenfell von seinem Großvater. Die Kerzen im Baum und das Feuer im Kamin leuchten nur halb so stark wie ihre Augen.

Leise rascheln seine grünen Nadeln. Seine Äste beben, geht man an ihm vorbei. Es riecht nach Wald, süßlich, herb. Leben. Sterben. Er ist entwurzelt und seine Tage sind gezählt. Draußen könnte er mit seinen Brüdern für eine grünere Welt sorgen, hier drinnen saugt nur jemand.

Sie reicht ihm die Vanillekipferl, er gibt ihr die Teekanne. Die Kindeskinder toben im Hintergrund. Die Kinder ermahnen, halb scherzend, halb erziehend. Sie verbrennt sich am heißen Tee, er krümelt seine Hose voll. Beide lächeln.

 

Adventüden 2019 19 | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

18 – Nächtliche Gedanken | Adventüden

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Nächtliche Gedanken (Sabine, Wortgeflumselkritzelkram)

 

Heute Nacht treffen sich Weihnachtszauber und Wintersonnenwende, haben ein Stelldichein. Hundegebell höre ich von fern, Kinderlachen trifft mein Ohr.

Mein Gesicht recke ich in den Himmel, breite die Arme aus. Die Schneeflocken schmelzen auf meinen Augenlidern, rinnen herab.

Ich denke an Kaminfeuer und Bärenfell, bauchige Teekannen und Kerzenschein, wohlige Wärme. Ich höre Glockengeläut, rieche die Tannen, die am Waldesrand stehen.

Früher ließen wir uns fallen und warfen Engel in den Schnee.

Ein Gefühl von Frieden wird in mir wach.

Ich lausche, ich fühle – ich bin …

 

Adventüden 2019 18 | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay, Bearbeitung von mir