Adventüden 2021 08-12 | 365tageasatzaday

08.12. – Glitzerstadt | Adventüden

Soso – denkt der kleine Bär – es geht also bald wieder los.
Die Anzeichen sind untrüglich.
Am Himmel formieren sich die ersten dunklen Wolken, die in dem kleinen Bären die Sehnsucht nach Schnee wecken. So schön blau, tiefes dunkles Blau, Sturmwolkenblau.
Aber mit der Sehnsucht kommt auch die Traurigkeit.

Früher kannte er diese Traurigkeit nicht. Erst als er einmal seine Höhle verließ, um den Lichtern zu folgen. Er war so neugierig. Die Lichter sahen anders aus als sonst, wenn es dunkel wurde. Es glitzerte viel mehr. Also schlich er sich eines Abends hinunter in die Stadt. Immer dem Glitzer hinterher.
Er kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Alles war so schön hell beleuchtet. Es duftete nach Leckereien. Kekse, Bratapfel, Marzipan, Honiglebkuchen, Zimt – der kleine Bär wusste gar nicht, wo er zuerst hinschnuppern sollte.
So viele lachende Kinder, aber auch gestresste große Menschen. Sie hasteten von Ort zu Ort. Es schien, als hätten die Großen keine Zeit und keinen Blick für die Schönheit der strahlenden Lichter.

Der kleine Bär wurde immer mutiger, angesteckt vom Lachen der Kinder, und ging auf ein Haus zu. Er musste sich ganz schön strecken, um in das Fenster hineinzusehen. Dort sah er zwei Kinder und zwei große Menschen. Hier war keine Hektik. Er fühlte Geborgenheit und Liebe. Und – das konnte doch gar nicht sein! – hier sah er sich selbst, auf einem Stuhl sitzend.
Der kleine Bär blinzelte und rieb sich die Augen.

Vor lauter Schreck rannte er wieder nach Hause in seine Höhle.
Hier war er alleine. Kein Trubel, keine leckeren Düfte, keine glitzernden Lichter.
Sein Doppelgänger machte ihm noch lange Kopfzerbrechen.
Wie gerne würde er mit ihm eine Schüssel Kartoffelsalat naschen. Aber er war unten in der glitzernden Stadt.
Dem kleinen Bären blieben nur die Sehnsucht und der Schneeregen, der aus den dunklen Wolken herabfiel.


Autor*in: Jane                  Blog: Blood, Tears, Gold & Minds

 

Adventüden 2021 08-12 | 365tageasatzaday
Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

Zum Thema Inhaltshinweise/CN/Triggerwarnungen in den Adventüden bitte hier lesen.

Nachdem viele Teilnehmer*innen und Leser*innen das Fetten der vorgegebenen Wörter als störend empfunden haben, wurde darauf verzichtet. In einem Text, der maximal 300 Wörter umfassen durfte, waren (mindestens) drei der folgenden fünfzehn Begriffe zu verwenden:

Aktentasche, Bratapfel, Doppelgänger, Eistee, Geborgenheit, Glitzer, Kartoffelsalat, Kekse, Kopfzerbrechen, Marzipan, Partitur, Schneeregen, Sehnsucht, Sturmwolkenblau, Weihnachtsschmuck

Dieser Text erschien zuerst im Rahmen der Adventüden 2021, einem Projekt von »Irgendwas ist immer«.

 

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55 Kommentare zu “08.12. – Glitzerstadt | Adventüden

    • Aber natürlich darfst du! Herzlichen Dank für deine traurig-schöne Adventüde! Das erste Adoptionsangebot liegt schon vor! 🧡🧸
      Morgenkaffeegrüße 😁🌨️🧸☕🍪👍

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  1. Einfach, einfach schön….. ich fühle mit dem Teddybär 🧸. Die Perspektive ist klug gewählt und die Stimmung einfach zauberhaft schön. Liebe Gutenmorgenkaffeegrüsse, Barbara ☕️🥯😀

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  2. Im Sinne von „was man nicht kennt, vermisst man nicht?“ Ich mag sie auch. So ein Süßer. Er kann gerne bei mir klopfen, wir könnten einen Marshmellowkakao zusammen trinken und wir würden über Doppelgänger philosophieren. 🙂

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  3. Eine herzallerliebste Bärengeschichte.
    Und nun packt er sein Köfferlein, besucht reihum die Etüdenverrückten und füllt sein Herz mit Geschichten, die er von Haus zu Haus trägt.
    Hier würde man ihn vermutlich auf eine Runde Maumau einladen, der Plüschotter kloppt inzwischen richtig gewieft die Karten

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  4. Oh wie wunderschön und doch so traurig, irgendwie. Die Wahrnehmung, das Begreifen und die Erkenntnis… ich bin dafür, dass er auf die Reise geht… nur Mut kleiner Bär…. Ich muss an die Zauberwelten in den Weihnachtsfenster denken, die ich schon als Kind geliebt habe und die es zum Glück heute noch gibt…. wie schön…. Eine Notiz an mich, wieder innehalten und auf die kleinen Bären achten, davon gibt es bestimmt ganz viele 🙂
    LG Doro

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  5. Pingback: Weihnachtspause | Irgendwas ist immer

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