Die Verabredung | abc.etüden

 

Sie saß im Restaurant und wartete auf ihn.

Fünf Minuten.
Na ja, fünf Minuten, was war das schon. Sie jedenfalls war fast immer pünktlich.

Zehn Minuten.
Sie sah ständig auf ihr Handy. Nichts. Sie war doch keine belanglose Verabredung, die man mal eben so ignorieren konnte, oder?

Fünfzehn Minuten.
Nichts. Keine Nachricht, kein Thomas. Das Plätschern der Jazz-Lounge-Bar-Musik nervte sie. Gelangweilt las sie alles, was ihr in die Finger fiel, und erfuhr, dass das Restaurant Hochzeiten im kleinen wie im großen Rahmen ausrichtete. Aha. Das machte ihr das Warten nicht sympathischer.

Zwanzig Minuten.
Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige, sagt man. Sollte sie ihn anrufen oder whatsappen? War das nicht zu aufdringlich? Aber wenn er im Auto saß, konnte er eh nicht rangehen.

Fünfundzwanzig Minuten.
Sie fiel innerlich in sich zusammen. Wenn sie etwas verunsicherte, dann mangelnde Verlässlichkeit. Warum passierte es immer wieder, dass sie geduldig Brücken baute und nach einem die Hand ausstreckte, der darüber hinwegsah, ihre Mühen gering schätzte oder einfach nicht fähig war, darauf einzugehen? Was machte sie falsch?

Dreißig Minuten.
Es gab eine Grenze zwischen einladend und aufdringlich, und die hatte sie scheinbar überschritten. Wenn Thomas sich nicht innerhalb von fünf Minuten meldete oder auftauchte, würde sie ihn als Papiertiger abschreiben. Einer mehr, der große Sprüche von Zweisamkeit klopfte und sich im Alltag als Reinfall erwies. Nicht mit ihr.

Fünfunddreißig Minuten.
Sie würde nicht weinen. Nicht hier. Ihr Glas Wein war leer, die Kellner schauten schon. Sie würde die Toilette aufsuchen, zahlen und gehen und zu Hause seinen Namen aus Herz und Telefonbuch löschen.

Achtunddreißig Minuten.
Die Tür flog auf, ein Mann stürzte herein, als der Kellner bereits neben ihr stand.
„Michaela“, stieß er hervor, „Gott sei Dank!“

Sie sah ihn auf sie zukommen. Ihr Herz wurde weit und sie verbarg die Tränen hinter einem Lächeln.

 

abc.etüden 2020 04+05 | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay, bearbeitet von mir

 

Für die abc.etüden, Wochen 04/05.2020: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Worte stammen dieses Mal von Donka mit ihrem Blog OnlyBatsCanHang und lauten: Papiertiger, belanglos, plätschern.

Ich bin durchaus nicht der Meinung, dass es sich hier um ein Happy End handelt, eher um so ein „Gerade noch mal die Kurve gekriegt“-Gefühl – was denkt ihr?
Wie fühlen sich Männer in so einer Situation, ihr Herren?
Ich bin gespannt auf eure Anmerkungen.

 

24 – Die Cookie-Oma | Adventüden

Zum Thema Inhaltshinweise/CN/Triggerwarnungen in den Adventüden bitte hier lesen.

 

Die Cookie-Oma (Christiane, Irgendwas ist immer)

 

»Und vergiss nicht, Oma Anne zu sagen, wie toll du ihre selbst gebackenen Plätzchen findest!«

Melanie verabscheute die obligatorischen Verwandtenbesuche über Weihnachten. Von wegen Weihnachtszauber: Am ersten Feiertag kamen ihre Eltern von weit, das war ehernes Gesetz. Mit einem Berg Geschenke (nun ja, danke) und Plätzchen, die selbstverständlich bei ihnen blieben. Als ob sie, Melanie, nicht backen könnte! Als ob über Weihnachten in dieser Familie jemals jemand Hunger gelitten hätte!

Ihr Sohn maß sie im Vorbeilaufen mit dem eisigen Blick des Spätpubertierenden. »Wenn ich entscheiden müsste, was ich den Vögeln im Garten hinstreue, dann wäre das ganz sicher nicht Oma Annes Gebäck«, tönte er.

Ach, wo war die Zeit geblieben, als dieses Kind mit einem Kuscheltier zufriedenzustellen gewesen war? Da werkelte sie Stunde um Stunde in der Küche, um ihre Lieben mit Naschereien verwöhnen zu können, und was tat dieser Banause? Erzählte ihr was von vegan und Nussallergie.
»Wenn überhaupt, dann hast du eine Nussunverträglichkeit«, hatte sie gekontert, »wäre ja auch kein Wunder, wenn man sich die Menge Nutella anschaut, die du so in dich hineinschaufelst!«

Okay.

So unflexibel wollte sie nicht sein, obwohl Großmutters Lebkuchen immer die besten bleiben würden. Online hatte sie bei einer COOKIE-OMA angesagte Plätzchenrezepte gefunden. Aber Bananen-Tonka-Plätzchen, Früchtetaler und Schokoladen-Orangen-Riegel? Himbeer-Kokos-Herzen? War das wirklich die Alternative?
Sie hatte diesem gehypten Zeug dann doch nicht getraut, frustriert ihren ewig gleichen Zimtsternen, Vanillekipferl und Spitzbuben den Vorzug gegeben und sich ein wenig für ihre Feigheit geschämt.

Draußen hupte es. Bestimmt die Eltern.

Zwanzig Minuten später starrte sie fassungslos auf die mitgebrachten Weihnachtsplätzchen.

»Ich habe ein neues Projekt«, verkündete ihre Mutter fröhlich. »Seit Carl im Ruhestand ist, beschäftigen wir uns nämlich mit gesunder Ernährung! Vor Weihnachten fand ich Backen passend. Auf Instagram heiße ich übrigens ›Cookie-Oma‹, toll, nicht? Kind? Du sagst ja gar nichts? Ist dir nicht gut?«

 

Adventüden 2019 24 | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

Ich möchte mich bei euch bedanken. Bei den Schreibenden der Adventüden natürlich zuerst, aber ebenso bei allen, die jeden (oder fast jeden) Tag vorbeigekommen sind, die gelesen, gelikt und vor allem kommentiert und sich eingebracht haben, und die mir damit gezeigt haben, dass ihnen die Etüden etwas bedeuten – und die Arbeit, die ich hineinstecke. Das bedeutet mir etwas.
Mir ist schon klar, dass einige von euch bereits in der Weihnachtspause sind, aber vielleicht lest ihr es ja trotzdem. Danke.

 

FROHE TAGE EUCH ALLEN, ob ihr feiert oder nicht!

 

Dieser Blog geht heute irgendwann ebenfalls in den Feiertagsmodus: Er schließt nicht, aber ich lasse ihn liegen, bis ich Lust habe, mich darum zu kümmern … Habt eine gute Zeit und passt auf euch auf!

Oh, und wenn ihr morgen Zeit habt: Elke hat mir eine Nachzügler-Etüde versprochen, und ich freue mich schon darauf. Also schaut rein!

Coming up next: Auf jeden Fall ein Adventüden-Resümee, aber wann ist noch nicht sicher.

 

UPDATE: Elke hat eine Nachzügler-Etüde eingereicht und auf mein Bitten erst heute (25.12.) veröffentlicht. Wer also noch nicht genug „Adventüden“ gelesen hat, der findet sie hier:

https://transsilabia.wordpress.com/2019/12/25/nachhaltigkeitsmarkt/

Es lohnt sich!

 

Falls wen die Lust packen sollte … die Rezepte. Achtung, ich habe keins davon selbst ausprobiert! Und nein, das ist keine (unbezahlte) Werbung für die Zeitschrift, die hatten nur die schönsten Fotos.

 

Bananen-Tonka-Plätzchen (vegan)

Früchtetaler (vegan)

Himbeer-Kokos-Herzen (vegan)

Schokoladen-Orangen-Riegel (vegan)

 

Spitzbuben

Vanillekipferl

Zimtsterne