Wie die meisten Jahre hätte ich es fast vergessen: Heute hat mein Blog Geburtstag, und wie immer frage ich mich, warum ich vor neun (NEUN!) Jahren nicht meinem Gefühl für Struktur nachgegeben und am 1. September mit meinem Blogexperiment begonnen habe. Wäre auch viel leichter zu merken gewesen, denn REGISTRIERT hatte ich mich schon erheblich früher. Tja.
Er sitzt neben dem Stuhl und starrt mich an. Dann komm halt auf meinen Schoß, sage ich zu ihm, aber du wirst es nicht mögen, ich brauche beide Hände, ich kann dich nicht dauernd kraulen. Ein federleichter Satz und ein gewisser Fellträger sitzt zwischen mir und dem Laptop, kauert sich hin und schnurrt. Du willst ja nur sehen, was ich über dich schreibe, sage ich. Damit könntest du recht haben, kommt prompt die Antwort.
Der bepelzte Kopf sinkt auf mein Handgelenk, eine Pfote krallt sich liebevoll in meinen Arm. Hatte ich schon mal irgendwo erwähnt, dass er es in einem unbeobachteten Augenblick geschafft hat, ein Systemprogramm zu starten, also fast? »Möchten Sie zulassen, dass das Programm Veränderungen an Ihrem Computer vornimmt?« NEIN! Wo ist mein Beruhigungstee, Kater, jetzt ist aber Sense, was hast du noch alles aktiviert, als ich in der Küche war? Nur ein Malheur, aha. Wer’s glaubt. Geh und leg dich in dein Johanniskraut in den Garten bei Nachbars, das macht auch glücklich. Wie, das ist Baldrian? Komm, erzähl mir nix, ich werd’ doch noch Gelb und Rosa auseinanderhalten können.
Die Großpackung gebarfter Mäuse ist jedenfalls ausgeblieben. Bis jetzt.
Wahrheitsgemäß genug, frage ich ihn und verwuschele sein Fell. Er kneift die Augen zu.
Wo war ich? Ach ja, der Bloggeburtstag. War kein besonders gutes Jahr für den Blog, nicht nur wegen meines verunfallten Knöchels, der zwar gut heilt, mich aber bislang erfolgreich daran gehindert hat, Hamburg und Umgebung erneut mit Kamera, Regencape, Schokoriegel, Karte und Wasserflasche unsicher zu machen und hier darüber zu berichten. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, aber ich dachte, das würde wesentlich einfacher gehen. Ich komm einfach noch nicht so weit wie zuvor. Okay, ich habe das erste neue Museum dieses Jahres erobert (das Ernst Barlach Haus), wobei An- und Rückfahrt anstrengungstechnisch die größere Herausforderung war. Toller Tag auf jeden Fall. Aber ich habe Pudding statt Muskeln in den Beinen, was nicht ausbleibt, wenn man fast den ganzen Tag sitzt (und arbeitet) und keinen Sport treibt. Nicht gut, und dabei habe ich noch drauf geachtet, mich mehr zu bewegen. Außerdem schwillt mein Knöchel bei und nach einer Belastung immer noch gefühlt maßlos an. Ja, geht später wieder weg, auch zügig, aber gut für die Motivation ist das nicht. Ja, ich müsste mehr tun. Ja, ich kriege normale Schuhe schon wieder einigermaßen zu. Ach, ich bin … mit der Gesamtsituation unzufrieden.
In das Grünzeug vor meinem Fenster flattert eine Blaumeise. Er wird sofort hellwach, denn das sind seine geschworenen Feinde, die machen beharrlich Radau, sobald sie mitkriegen, dass er auch nur eine Pfote vor die Tür setzt. Kümmer dich nicht um die, sage ich zu ihm, du weißt doch, die sind eh doof, diese Geflügelten, und völlig humorlos. Er seufzt tief auf. Kateregos sind ja so empfindlich.
Und eigentlich ist das auch nicht meine Lieblingsbeschäftigung, meine Befindlichkeiten hier auszubreiten, die Dürre in meinen Gedanken einzugestehen, dass ein paar halbgare Ideen oder Sätze mehr oder weniger eintrocknen, bevor sie es in die Tastatur schaffen, weil ich sie so belanglos finde, so abgeschmackt, so unglaublich irrelevant. Wenn es nicht mal mich interessiert, wen interessiert das denn dann überhaupt? Damit schießt sich dann natürlich jedwede Kreativität ins Knie, da hilft auch kein ach so verheißungsvoller Hühnergott als Talisman – ach, jammer, ich will wieder laufen können, verdammt, ich will wieder die Strecken gehen können, wo ich den letzten gefunden hatte, alles soll gut sein, wenigstens so wie vorher … wo übrigens auch nichts »gut« war, nur anders. Natürlich sollte ich dann darüber schreiben, was alles nicht »gut« ist, schon klar, aber die Form dafür fehlt mir. Noch.
Fest steht jedoch, und ich war erleichtert, als mir klar wurde, dass etwas anderes gar nicht in die Tüte kommt, dieser mein Blog ist sowohl (m)eine Experimentierplattform als auch die Heimat der Etüden als auch die Heimat der Montagsgedichte, und das wird auch so bleiben.
Er steht auf und reckt sich. Na, sage ich, und jetzt? Kleine Runde? Soll ich dich rauslassen? Du könntest dich von dem ordnungsgemäßen Zustand der Nachbarin überzeugen, falls sie wieder das Küchenfenster aufgelassen hat. Er sieht mich unschlüssig an und springt auf den Boden. Die alte Dame liebt ihn irgendwie, kann aber im Allgemeinen nicht viel mit Tieren anfangen. Sie erinnert mich an meine Mutter: Häkeljacke aus Eigenproduktion, Schürze und Holzregale Marke Eigenbau aus den Fünfzigern mit Konserven und Eingekochtem im Keller, wie ich neulich beobachtet habe, als ich ihr geholfen habe, den Wäschekorb reinzutragen. Der Rücken, wissen Sie, es ist alles so anstrengend, wenn man älter wird. Apfelkompott stammt vermutlich vom eigenen Baum, ich habe ihr Angebot, mich bei den Falläpfeln zu bedienen, wie jedes Jahr dankend abgelehnt, einmal und nie wieder, ich mag sie nicht. In dem Baum nisten im Frühling die Blaumeisen. Der Fellträger bezieht regelmäßig einen Aussichtsposten neben ihrer Haustür, speziell nachts bei Regen. Neulich habe sie mit ihm gesprochen, berichtet sie mir, sie sei oft nachts wach. Ich sehe hin und wieder ihre Taschenlampe durchs Haus geistern. Und, frage ich, was hat er geantwortet? »Mau!«, sagt sie ungewohnt energisch, stutzt und lacht ein bisschen. Ein Charmebolzen, dieser Kater, ich wusste es schon immer.
Der obligatorische Satz zur Statistik, weil ich das sonst nirgendwo festhalte: Dieser Eintrag ist Nummer 1.620, vor diesem Eintrag hatte ich 73.787 Kommentare, wobei 30.716 von mir sind (meist antworte ich auf jeden Kommentar; der Rest dürften mehrheitlich Pings sein).
Er beschließt, schlafen zu gehen. Oben, ich bin ihm wohl zu unruhig. Er wirft mir einen langen Blick zu – Hast du gesehen, dass ich gehe? –, und ich nicke. Na dann.
Zwei mal drei macht vier, widdewiddewitt, und drei macht neune. Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt. Ich hab … einen Blog, der heute neun Jahre alt wird, und wenn mir nicht der Himmel auf den Kopf fällt, was man nie ausschließen kann, wird es auch noch ein zehntes Blogjubiläum geben. Herzlichen Langstrumpf, äh, Glühstrumpf, äh, Glückwunsch, kleiner Blog, hoch und lange mögest du leben!
Quelle: Pexels
Adventüden: 14 bisher. Nur noch bis Ende nächster Woche. DANKE an die einen – und an die anderen: Hallo! Time fast over! NUR NOCH BIS ENDE NÄCHSTER WOCHE!
Solltet ihr es nicht gemerkt haben (was ich mir nicht vorstellen kann): Dies ist mein längst überfälliger Beitrag zum diesjährigen Etüdensommerpausenintermezzo!